Erschütterte Freundschaft - Advent

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Liebe Freundin,

in der Advents- und Weihnachtszeit ist es besonders schlimm.
Das war auch in den letzten Jahren so.
In den Jahren seit dem Abbruch unserer Verbindung.
Wenn die Tage kürzer werden und die Dunkelheit so früh hereinbricht,
dann erinnere ich mich immer wieder an die Stunden,
in denen wir zusammensaßen, um zu reden.
Wir hatten häufig eine kleine Kerze an, weil ich das so gemütlich fand;
ein Teelicht, damit das Licht im Raum nicht ganz so grell war.
Die Lampe in der Ecke war gedimmt, so ließ es sich gut reden, weil die Atmosphäre stimmte.

Das letzte Dezembertreffen in 2007 war besonders schön.
Als die Stunde um war, standen wir am Fenster.
DU hast Dich einfach neben mich gestellt.
So, als sei das völlig selbstverständlich.
Gemeinsam haben wir den Schnee bewundert, der draußen
vor dem Fenster fiel und die Stadt so weihnachtlich verzaubert hat.
Du hattest Zeit.
Zeit, die Du Dir für mich genommen hast.
Du hättest sie Dir nicht genommen,
wenn ich Dir nicht auch etwas wert gewesen wäre.
In diesem Augenblick, in dem mir deutlich wurde,
dass Du mit der Nähe zueinander keine Schwierigkeiten hattest,
weil Du so erstaunlich dicht neben mir gestanden hast,
wurdest Du zu einer echten Freundin.
Die Freundschaft war dadurch besiegelt, dass DU mir nicht mehr gegenüber standest,
sondern neben mir.
Da war Gemeinsamkeit. Ein nettes Miteinander.
Es war mein schönstes Weihnachtsfest. Ich spürte wieder Frieden,
weil da eine Freundin war, deren Wärme mich tatsächlich auch erreichen konnte.
Und jetzt?

Diese Woche bin ich noch einmal an Eurem Haus vorbeigekommen.
Ich war auf dem Weg zum Schreibwarengeschäft mit den vielen netten Kleinigkeiten und auf dem Weg zum Markt.
Du warst zu Hause, was mich sehr gewundert hat,
weil die Klinik doch noch keine Weihnachtspause hatte.
Dein kleiner Floh stand vor der Tür. Er sah verfroren aus.
Die Scheiben waren noch vereist,
obwohl es schon 10.00 Uhr gewesen ist.
Du hast ihn nicht bewegt, aber er sah aus,
als wolle er sich gern bewegen.
Er wartete auf Dich.
So wie ich seit Jahren warte.
Auf einen Gruß von Dir.
Auf ein Zeichen des Bedauerns.
Auf die Bereitschaft, sich endlich zu erklären.
Auf ein schlichtes Lebenszeichen - und auf Deine Wärme.
Vor allem aber auf die erlösende, unkomplizierte Freundlichkeit,
die ich damals jedes Mal erleben durfte,
wenn wir uns auf gleicher Ebene begegnet sind.
Du warst ein wunderbarer Mensch!

Als ich an Deinem Haus vorüberfuhr, war da keine Wärme mehr.
Nicht einmal jetzt in der Adventszeit.
Während alle anderen Häuser in der Straße weihnachtlich geschmückt sind, liegt Euer Haus wie tot.
Es lebt noch immer nicht, obwohl Ihr schon so lange darin wohnt.
Keine Sterne in den Fenstern,
kein Adventkranz an der Tür,
keine Lichterkette in den Sträuchern
und keine bunten Kugeln, wie sie manche an den Gittern ihrer Fenster haben,
die auch für Eure Gegend typisch sind, weil man damals so gebaut hat.
Nichts, was zeigen würde, dass Du am Leben teilnimmst und vor allem an der Weihnachtszeit.
Dieses tote Haus, das bist nicht DU.
Du warst vollkommen anders. Du warst voller Leben.

Ich hoffe nicht, dass es mit dem Jahr zu tun hat,
in dem Du mich dann einfach weggeschickt hast, obwohl Du wusstest, dass es mir nicht gut ging.
Wir hätten einfach alles miteinander klären sollen;
besprechen, was gewesen ist.
Aber irgendwie konntest Du ganz offenbar nicht mehr zurück.
Nicht über Deinen Schatten springen und Dich nicht entschuldigen.
Obwohl Du noch zuvor gesagt hast, Du könntest Dich entschuldigen,
wenn es Streit gegeben hat.
Du hast es nicht getan, obwohl ich mich bei Dir entschuldigt hatte.
Was wäre denn daran so schwer gewesen?

Ich wäre Dir sehr gern begegnet,
als ich an Eurem Haus vorbeigefahren bin.
Aber weißt Du was?
Ich hätte große Angst, Dir zu begegnen.
Ja, ich hätte Angst.
Angst,
weil ich Dich immer noch gut leiden mag.
Angst,
dass alles wieder aufsteigt.
Angst,
dass Du mich immer noch
mit massiver Härte von Dir schieben würdest.
Und Angst,
dass es nie wieder gut sein darf,
obwohl ich weiß, dass es nie wieder gut wird.

Es ging mir hinterher sehr schlecht.
Ich leide körperlich, bin ständig nur erschöpft.
Mein Körper zeigt mir durch Burn-out-Symptome,
dass ein Verarbeiten nicht möglich ist.
Das Trauma raubt die Kraft.

Du fehlst mir sehr.
Andere Menschen könnten diese Lücke gar nicht füllen,
weil jeder Mensch in seiner Weise einzigartig und deshalb nicht ersetzbar ist.
Wenn ich mir zu Weihnachten nur eines wünschen dürfte,
dann, dass es wieder gut sein darf.
Dass wir wieder zwanglos miteinander reden können.
Dass wir wieder miteinander lachen können, wie damals in den Sitzungen.
Dass wir mal einen Kaffee miteinander trinken gehen.
Jahr für Jahr zu Weihnachten habe ich mir das gewünscht.
Vier Jahre lang.

Vier Jahre lang war ich bereit, die Sache zu besprechen, damit Verzeihen möglich bleibt.
Ich wollte es persönlich mit Dir klären, um Dir Schwierigkeiten zu ersparen.
Du hast Dich hartnäckig verweigert und plötzlich Deine Macht herausgekehrt.
Mit unverständlich gnadenloser Härte bist Du mir begegnet;
einem Menschen, der immer Mensch gewesen ist und Freundschaft ernst genommen hat.

Jetzt aber kann ich nicht mehr.
Jetzt ist es dafür zu spät.
Ich konnte nicht mehr länger warten, weil die Zeit abläuft.
Diese Zeit nennt man Verjährung.
Ich habe gegen Dich die Klage eingereicht.
Ob sie Dir schon zugestellt ist, weiß ich nicht.
Es musste sein, ich wäre sonst daran erstickt.
Ich brauchte diesen Schritt, damit das Trauma, das Du mir verursacht hast, ein Ende finden kann.
Es tut mir leid.

Liebe Freundin,
ich wünsche Dir, wie in den letzten Jahren auch, ein frohes Weihnachtsfest.
Wenn Dir die Klage noch nicht zugegangen ist, wirst Du es sicher froh verbringen können.
Wenn doch, dann wirst Du nachvollziehen können, wie schlecht es mir ergangen ist.
Es wird Dir offiziell bekannt gegeben.
Vier Jahre Leben mit dem Wissen um einen schlimmen zwischenmenschlichen Betrug
und mit dem Wissen um die Dinge, die einem Menschen sehr schwer schaden können,
ist mehr, als eine depressiv erkrankte Seele tragen kann.

Wie es weitergehen wird, bleibt abzuwarten.
Das muss jetzt die Staatsanwaltschaft klären.
Es wird sicherlich belastend für Dich werden und eine Menge Arbeit für Dich sein,
die alten Akten durchzusehen und Dich zu verteidigen.
Bitte denk‘ daran, ich habe es vermeiden wollen und Dir das auch geschrieben; in 2009.
Nie warst Du gesprächsbereit. Du hast Dich strikt herausgezogen.

Dass es nie wieder gut wird, weiß ich jetzt.
Zum ersten Mal in meinem Leben gibt es etwas, das nie wieder gut wird.
Und diese Erfahrung hat mich ausgerechnet meine Therapeutin machen lassen.
Ein anfangs so wunderbarer und warmherziger Mensch.

Du, liebe Freundin !

© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen, Dezember 2012

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Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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