Erschütterte Freundschaft - Therapie des Schreibens

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Liebe Freundin,

„heute vor zwei Jahren“, so hat jemand auf Lokalkompass geschrieben, „hielt ich ein Stück Papier in der Hand, immer und immer wieder starrte ich es an, suchte den Sinn, fand diesen nicht, versuchte zu verstehen, denn auch ohne Sinn erwartete man(n) von mir, dass ich verstehe … es hat nichts zu verstehen gegeben … einfach nur akzeptieren mußte ich es … es hörte einfach etwas auf, und Etwas anderes, begann… doch beides gleichzeitig im Kopf ließ diesen fast zerspringen…“
Ich zitiere diesen Text, weil er mir zutiefst aus der Seele spricht und weil ich selbst nicht besser ausdrücken könnte, was ich damals gespürt habe und noch immer spüre, auch wenn es jetzt fünf Jahre her ist. Dass der Kopf zerspringen will und wollte, weil es zu viel war, als dass er alles fassen konnte, was über mir hereinbrach; gleichzeitig und trotzdem nach und nach ... Immer wieder habe ich versucht, das alles zu sortieren, doch es war zu viel, als dass es in mir bleiben konnte. Es passte nicht in mich hinein. Und es passt noch immer nicht.

Ich weiß nicht, ob Du Lokalkompass schon kennst. Es ist die Internetplattform des Stadtspiegel, die im Juni 2011 eingerichtet worden ist, um Bürgern der Stadt die Möglichkeit eigener Berichterstattungen zu geben. Es war ein Strohhalm, den auch ich in der Dunkelheit zu fassen kriegte; ein dünner Halm, der zwischen meinen Fingern hängen blieb, als ich in der trüben Brühe in allen Richtungen nach Halt suchte.

Es war gut, dass ich ihn fand, denn er wurde dort zu einem Sprachrohr, wo die wachsende Fassungslosigkeit über das Erlebte und über die Ignoranz verantwortlicher Stellen derart sprachlos machte, dass nur noch das Schreiben blieb.
Er wurde dort zu einem Sprachrohr, wo die Luft zum Atmen wegblieb, weil ich von der Komplexität erlebten Unrechts mehr und mehr erdrückt wurde.
Er wurde dort zu einem Sprachrohr, wo erwartet wurde, dass ich zu akzeptieren hatte, was in einer solchen Fülle nicht zu akzeptieren war und ist.
Und er wurde dort zu einem Sprachrohr, wo immer deutlicher erkennbar wurde, wie sehr einem Patienten Strukturen fehlen, die eine durch therapeutisches Handeln erfahrene Schädigung als eine solche ernst nehmen. Ich blieb allein.

Lokalkompass ist Selbsthilfe geworden, weil Schreiben Verlagerung bedeutet. Traumatische Erfahrungen auf fiktive Personen zu übertragen, hilft, eine Distanz zu schaffen, die auf anderem Weg nicht herzustellen ist. Meine Sammlung der Erzählungen ist mittlerweile ausgesprochen umfangreich geworden. Sie gibt einen interessanten Abriss einer Lebensspanne zwischen hoffnungsvoll begonnener Behandlung meiner Depression und dadurch erlittener Posttraumatischer Belastungsstörung. Dein Handeln und die schlimmen Folgen vereint in ungezählten Buchstaben und Worten, die einen roten Faden durch die Dunkelkammer meines Lebens ziehen, die Du mir eingerichtet hast. Es ist jetzt nicht mehr ganz so dunkel, weil der rote Faden im fünften Jahr nach dem Abbruch unserer Verbindung angefangen hat, zu leuchten. Er weist mir einen Weg. Vielleicht führt er hinaus. Ich werde sehen…

„…und auch wenn man sagt, man soll sowas nicht wünschen“, schrieb der eingangs angesprochene Jemand auf Lokalkompass weiter, „…einen solchen Schmerz … wird irgendwann … vielleicht einmal … den treffen, der… verantwortlich zeichnete…“
Ich schätze diesen Jemand und seine Erzählung sehr und ich hoffe, dass mir der Verfasser dieser Zeilen zugesteht, dass ich sie hier zitiere, weil sie für Dich und mich vergleichbar zutreffen. Das hier ist der Link. Ich sende ihn Dir zu, damit Du nachvollziehen kannst, worauf ich mich beziehe: http://www.lokalkompass.de/essen-ruhr/kultur/heute-vor-24-monaten-d382461.html/action/posted/1/#comment1190645

Ja, vielleicht wünsche ich mir auch, dass Du einmal in meine Lage kommst, damit Du verstehen kannst, wie extrem mich quält, was Du verursacht hast. Ich weiß bis heute nicht einmal, ob Du mir glaubst, welche Folgen alles nach sich zog und wie viel Leben ich verloren habe. Meine Kinder sind inzwischen junge Männer, ohne dass ich mitbekommen habe, wie die Entwicklung vor sich ging. Ihre Anwesenheit, ihre Freude, ihre Sorgen und ihre Nöte verloren sich im dichten Nebel meines Kopfes, als ich in der Dunkelkammer festsaß.
Auch andere tun sich offensichtlich schwer und weigern sich, zu glauben, dass das Handeln eines Therapeuten in ein Trauma führen kann. Weil sie sich vor der Einsicht drücken, dass ihr Handeln sehr schwer schaden kann und weil sie es vielleicht nicht zugeben dürfen, um in den eigenen Reihen nicht als Nestbeschmutzer dazustehen.

Ich aber lasse mich nicht täuschen. Ich weiß ja, dass das geht und wie das geht und bin deshalb für Euch ein unbequemer Mensch. Wenn aus den eigenen Reihen niemand Nestbeschmutzer sein darf, werde ich eben die Funktion übernehmen müssen, indem ich darüber schreibe, wie Behandlung und Schädigung erklärbar ineinander greifen. Erklärbar wohlgemerkt! Dabei ist mir absolut bewusst, wie ausgesprochen langsam es erst ins Bewusstsein dringt, dass Psychotherapie tatsächlich schaden kann und wie mühsam erst begriffen wird, dass Risiken und Nebenwirkungen ernsthaft Beachtung finden müssen.
Es lohnt, dafür zu kämpfen und ich habe angefangen, statt mich einschüchtern zu lassen.

Wie viele Menschen vor mir haben schon verzweifelt dafür kämpfen müssen, vorzutragen, dass eine Schädigung erfolgt ist…
Wie viele Einzelschicksale stehen hinter der Erkenntnis, die sich langsam durchsetzt und von der jetzt endlich einmal offiziell in einer Fachzeitschrift zu lesen war.
Und wie viele von ihnen haben diese Schädigung nicht überlebt, weil sie sich das Leben nahmen. Zu Tode gekommen durch die Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie. Fast wäre ich dabei gewesen; wenn ich nicht Tag um Tag hart dafür gekämpft hätte, auch noch das Ende dieses Psychokrimis zu erfahren. Und wenn ich meinen Mann und meine Kinder nicht gehabt hätte, die immer zu mir standen und meine Anwesenheit zumindest körperlich noch dringend brauchten, auch wenn der Geist kaum da und die Seele abgestorben war. Wenn ich Glück habe, wird das mit Dir Erlebte in einem Fachbuch öffentlich, denn inzwischen habe ich Kontakte, die in dieser Hinsicht wichtig sind. Mit einer Schädigung Gehör zu finden, wird in der Psychotherapie immer wichtig bleiben!

Mittlerweile geht auch dieses Jahr zu Ende. Es ist ein Jahr, in dem sich viel ereignet hat und das für Dich vermutlich ziemlich scheußlich anfing. Ich werde Heiligabend sicher wieder in die Kirche gehen, in die Christmette um 23.00 Uhr, so wie im letzten Jahr. Ich kann dann zur Ruhe finden und die Gedanken fließen lassen.
Ganz sicher aber werde ich dieses Mal über Fragen der Gerechtigkeit nachdenken; darüber, wann es im Leben wirklich fair zugeht und ob es nicht Menschen gibt, die immer die Verlierer bleiben werden, weil sie in der falschen Rolle festsitzen, die man ihnen angeheftet hat, ob sie wollten oder nicht.
Ich werde auch darüber nachdenken, wann jemand im Sinne der Gerechtigkeit vorschriftsmäßig spricht, schreibt und handelt und was Gerechtigkeit eigentlich bedeutet; und zwar für alle, die an ein- und derselben Sache beteiligt sind: für die Opfer genauso wie für die Verantwortlichen. Manchmal wechseln innerhalb eines Ereignisses die Rollen der Täter und der Opfer, weil letztlich jeder zum Opfer des anderen wird und sich gleichzeitig dadurch zu einem Täter macht, dass er nicht stillhält, sondern kämpft; der eine um sein Ansehen, der andere um sein Recht.

So wie Du und ich;
oder so wie ich und Du.

Gerecht ist jedoch nicht, das Handeln des Ursprungstäters rein zu waschen und deshalb ist mein Kampf auch längst noch nicht beendet. Das Leben wird auch weiterhin sehr spannend bleiben.
Und bei alledem frage ich mich, wie es Dir gehen mag. Und wie ein Psychotherapeut mit dem Wissen leben kann, dass sein Handeln schädigte und unter Umständen sogar Menschen in suizidale Handlungen und in den Tod getrieben hat. Vermutlich doch nur durch Verleugnung; indem er den Anteil seines Handelns ausblendet und sich immer wieder einredet, dass der Patient schließlich eine Depression hatte, die Ursache des Suizids gewesen ist. Das mag er sich so lange einreden, bis es ihn eines Tages selber einholt und die eigene Seele einknickt. Ich kenne einen solchen Fall…

Liebe Freundin,
ich wünsche Dir ein frohes Weihnachtsfest. Vielleicht schreibe ich irgendwann wieder einmal. Wenn es zum roten Faden in der Dunkelkammer passt, der gerade eben wieder ein ganz kleines bisschen heller leuchtet, weil mein Lebenswerk wächst und immer umfangreicher wird...

Simone

© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen, Dezember 2013

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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