Von den Tücken leidenschaftlicher Liebe - Eine Frühlingsgeschichte

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~ * ~ * ~
Es war Liebe auf den ersten Blick.
In den besten Jahren einer Frau ist das nicht ungewöhnlich. Es kommt immer wieder vor, besonders wenn es Frühling wird.
Dass Frauen für visuelle Reize sehr empfänglich sind, ist allgemein bekannt. Und eben das macht sie auch extrem liebesfähig.
Da braucht man sich nichts vorzumachen.

Es wurde also Frühling und mit dem Frühling schaut die Frau bewusster hin. Ich schaute mich in meinem Umfeld um und da passierte es.
Mein Blick verhakte sich und ließ sich nicht mehr lösen. Ich blieb gefangen in dem charakteristisch sehnsüchtigen Verlangen, das den Zauber dieser Liebe ausmacht. Das Gefühl war mir vertraut, das war schon früher so gewesen.
Im letzten Jahr, und im Jahr vor dem letzten Jahr, und in den Jahren, als ich jünger war.

Ich schaute also hin und taxierte, tat vorübergehend, als sei ich gar nicht wirklich interessiert und entfernte mich ein wenig, um der Stimme der Vernunft auch eine Chance zu geben.
„Nun mach schon, das ist die wirklich große Liebe“, schubste mich jedoch die andere Stimme.
Es war die Stimme aus dem Bauch, die immer so schlecht abzuschalten war, die beharrlich blieb und bohrte, dass ich mich zu Recht verliebt zu haben schien. Mein Gegenüber war es wert, so sehr gemocht zu werden, dass es im ganzen Körper kribbelte.

„Bleib vernünftig“, sprach da wieder die Vernunft dazwischen und ich verstand wie üblich nicht, warum es diese beiden Stimmen geben musste. Vor allem diese Stimme hier, die ganz offenbar nicht wusste, was Liebe wirklich war.

Ich näherte mich wieder und zwinkerte ein wenig, lächelte und stellte mir die Zukunft vor, wenn wir Tag für Tag zusammen wären. Wir beiden, untrennbar verbunden.
Nun gut, vielleicht nicht wirklich jeden Tag,
zumindest aber an den Tagen, an denen man auch gut nach draußen gehen konnte. Nur im Haus herum zu hocken, in der Stube, das war auf Dauer gar nicht gut für die Beziehung.

Ich ließ ihn nicht mehr aus den Augen, umrundete ihn mehrfach unauffällig und nahm mir dann ein Herz – ich musste endlich einen Anfang machen. Ich berührte ihn einfach einmal, ganz kurz nur, vorsichtig und zärtlich, um ein Gefühl zu kriegen für die Nähe, die ich mir von ihm versprach. Ja, das fühlte sich sehr gut an - und er wirkte attraktiv, das musste man ihm neidlos zugestehen.

Doch dann geriet mein Blick geriet ins Straucheln.
Trauer mischte sich in die Gefühle des bis eben noch so wunderbaren Frühlings. Irgendetwas stimmte nicht, das spürte ich, je länger ich ihn ansah. Meine Zweifel wuchsen und wurden schließlich übermächtig, je mehr ich ahnte, dass sie nicht unbegründet waren. Es wäre ja auch viel zu schön gewesen, hätte diese Liebe sich erfüllen können.

Nein, das hier war genauso wie es früher immer schon gewesen war.
Im letzten Jahr, und im Jahr vor dem letzten Jahr, und in den Jahren, als ich jünger war: er war eindeutig nicht für mich bestimmt.
Im Grunde hätte ich das ahnen müssen, aber offenbar war ich nicht fähig, aus den Erfahrungen des letzten Jahres, und des Jahres vor dem letzten Jahr, und aus den Jahren, als ich jünger war, zu lernen.
Es war wie immer, wenn es Liebe auf den ersten Blick gewesen war;
wenn mein Herz vor lauter Freude hüpfte kaum dass ich ihn sah und sich nicht beruhigen ließ
und wenn es von der Zukunft träumte, die so sehr verlockend schien:
wir würden nicht zusammen passen.
Das wurde immer deutlicher, je länger ich hier vor ihm stand, zu ihm herüber sah und ihn mit Blicken voller Zärtlichkeit bedachte.
Ich war genauso wenig bindungsfähig, wie er bindungsfähig war,
doch bei mir ging das schon lange so.

Ich sah verstohlen um mich, um abzuschätzen, ob Psychologen in der Nähe waren. Sie waren öfter außerhalb der Praxis unterwegs, als man für möglich halten sollte.
Hier aber war eindeutig niemand.
Ich war allein. Und so ging der Abbruch einer großen Liebe ohne Diagnose einer Störung seelischen Erlebens vor sich.
Trotzdem tat es weh. Ich hätte gleich von Anfang an auf die Stimme der Vernunft in meinem Innern hören sollen, die mir sagte, dass das hier nichts werden konnte. Er hatte nicht die Traummaße, mit denen ein Zusammenleben funktionieren würde; die Maße, die die Liebe erst zur perfekten Liebe machen würden und ihr die echte Chance auf eine Zukunft geben würden.

So elegant und attraktiv und so einmalig schön er war, er war zu klein für mich. Ich war eine große Frau und zu klein ging wirklich gar nicht. Das war schon immer so gewesen, im letzten Jahr und im Jahr vor dem letzten Jahr und in den Jahren als ich jünger war, ohne dass ich kleiner war: die wirklich große Liebe war wieder einmal längst an andere vergeben, es gab sie nicht auf Lager und auf Bestellung schon mal gar nicht.

~ Warum nur … ?
… war ich derart groß gewachsen
und warum nur kauften sie den schönsten Schuh, den es in diesem Frühling gab,
nicht größer und in größerer Stückzahl ein,
diese verdammt bornierten Schuhgeschäfte,
die in Jahrzehnten immer noch nicht in der Lage waren, zu verstehen,
dass es viele Frauen mit sehr großen Füßen gab
und dass diese Frauen mit sehr großen Füßen
genauso gerne wirklich schicke Schuhe tragen wollten,
wie die Frauen mit den kleinen Füßen?" ~

© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen April 2013

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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