Christoph Böll verwandelt U-Bahnstation in einen Projektionsraum

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Nachdem Christoph Böll im letzten Jahr im Hagener Museum Osthaus eine aufwendigen Retrospektive eines Großteils seiner Filme präsentierte, verwandelt er ab dem 03. Juni bis zum 21. Juni die Zwischenebene der U-Bahnstation "Schauspielhaus“ in einen Projektionsraum und zeigt täglich rund um die Uhr in Loops eine Auswahl seiner jüngeren Filme. Er möchte sie damit auch einem Publikum näher bringen, das ansonsten weniger mit Museen und mit seinen Filmen zu tun hat.

Der 1949 in Köln geborene Christoph Böll - Neffe des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll ("Mit der Familie habe ich aber sonst nichts zu tun.") - zog 1970 nach Bochum und begann ein Germanistik- und Geschichtsstudium an der Ruhr-Universität Bochum. Seine eigentliche Heimat wurde schnell ein studentischer Filmklub, der Studienkreis Film oder kurz: SKF. "Das war ein schöner Treffpunkt für alle, die keine Lust hatten zu studieren," erinnert er sich noch heute. Böll wurde bald Geschäftsführer des SKF. "Und die hatten eine schöne Super-8-Kamera." Sein Interesse an praktischer Filmarbeit wuchs und wurde zum zentralen Schaffen seines Lebens. Während dieser Zeit an der RUB entstanden bereits 25 Super-8-Film-Produktionen, die bald auf internationalen Filmfestivals in New York, Paris, Köln und Bochum gezeigt wurden. In den 80er-Jahren hatte der Filmemacher Christoph Böll fast schon Kultstatus erreicht. Nach diversen Kinoproduktionen, wie "Der Sprinter" (1984), die Geschichte eines schwulen, schmächtigen Leichtathleten, der sich plötzlich in eine dicke Kugelstoßerin verliebt, was aber beiden kein Glück bringt, und der FilmSatire "Sissi und der Kaiserkuss" (1990), eine Demontage des Sissi-Mythos, der 1992 auf der Berlinale uraufgeführt wurde, wandte sich Böll mehr dem Dokumentarfilm zu ganz im Sinne von Sergej Eisensteins Wahrheits-Postulat: „Für mich ist es ziemlich egal, mit welchen Mitteln ein Film arbeitet, ob er ein Schauspielerfilm ist mit inszenierten Bildern oder ein Dokumentarfilm. In einem guten Film geht es um die Wahrheit, nicht um die Wirklichkeit“.
Eine unfassbar aufwendige Recherche betrieb Böll für seine Filme über den legendären Bochumer Kunsthistoriker Max Imdahl. In seinem siebenstündigen, zehnteiligen Schlieker-Porträt, für das er den Maler mit der Kamera 2 Jahre bei der Arbeit beobachtete, „erzählt“ Christoph Böll die Entstehungsprozesse der Kunstwerke. Er visualisiert den Weg von der Idee über die Ausführung hin zum Endprodukt – und das ohne Begleittext und erklärende Wortpassagen.
Daneben beschäftigte Böll sich zunehmend auch mit experimentellen Darstellungen von z. B. Industriearchitektur und "der Ästhetik des Sinnvollen".

"Kirmes" heißt einer der vier von Christoph Böll im Kunstraum-unten gezeigten Filme. Mit dieser Auftragsarbeit der TÜV Rheinland AG ging ein lange gehegter Wunsch von Böll in Erfüllung. Er befestigte für „Kirmes“ eine Kamera an der Kabine eines Riesenrads und filmte die Fahrten: Die Kamera hebt ab, der Boden ist bald nicht mehr zu sehen, Lichter verschwimmen, alles dreht sich. Ein Karussell aus Farben und Musik. Dazu montierte und überblendete er, was er sonst noch auf einer Kirmes gedreht hatte. Ein Kaleidoskop-Effekt vergrößert und intensiviert die Bewegungen im Bild weiter. Heraus gekommen ist ein spannendes Spiel mit Farben und Formen, Abstraktem und Konkretem. Unterlegt war der wirbelnde Bilderstrudel anfänglich mit Musik von Gustav Mahler. Zwei Musiker, die den Film gesehen hatten, komponierten einen ganz neuen Soundtrack. Es handelte sich um Steve Schroyder, einst Mitglied der Elektropop-Pionierband "Tangerine Dream", und Zeus B. Held von der Krautrockband "Birth Control". Somit liegt heute der Film in zwei Musikversionen vor und es ist jedesmal ein anderer Film. Was zeigt, wie ein und derselbe Film verschiedene Wahrnehmungsmöglichkeiten transportieren kann.
Für Thyssen-Krupp entstand im Zeitraum zwischen 2004 und 2006 die Trilogie "Sinnlichkeit Stahl", eine Hochglanz-Huldigung an die Technik, an die Stahlproduktion und an die "Ingenieurskunst als kreativen Akt". Die Verbindung von Technik und Kunst, von archaischem Handwerk und hochspezialisierter Arbeitsteilung, die Ambivalenz des Kulturraums Ruhrgebiet präsentiert Christoph Böll in diesem Film besonders anschaulich. Der Zuschauer beobachtet wie aus dem flüssigen Stahlrohstoff ein Produkt entsteht. Er fühlt sich an die Schmiede des Hephaistos in der antiken Mythologie erinnert, erfährt die vier Elemente der griechischen Weltvorstellung, erlebt den Prozess der Stahlherstellung als physischen Moment. Gezeigt wird die kaleidoskopische Version in vollständiger Länge als auch ein Ausschnitt der Originalversion.
In „Tanz“ entführt uns Böll an einen Ort, der für uns normalerweise unzugänglich ist: In den Dauerregen im Innern eines Kraftwerkkühlturms.
Christoph Böll schafft poetische Bilder, die immer wieder den Bezug zum Zuschauer und seinem Leben herstellen. Er will das Wesen der Dinge und der Menschen erfassen. Mal beobachtet die Kamera diskret, mal taucht sie ein in einen Wirbel. Es scheint kein Thema zu geben, das sich nicht für einen Christoph-Böll-Film eignen würde. Und so befinden sich Filme in Arbeit über ein Zisterzienser-Kloster, über den Exilkunstsammler Thomas Schumann und über den Extremsportler Ulli Winkelmann der 2009 in der Altersklasse 50-60 auf Hawaii den „Ultraman“ gewann.

03. Juni - 21. Juni 2016
Öffnungszeiten: Mo - So, 00:00 - 24:00 Uhr

www.kunstraum-unten.de
www.kunstraum-bochum.de

Autor:

Gisbert Danberg aus Bochum

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