Eröffnung Ruhrtriennale: „Die Götter verlangen zu viel“

Der göttliche Apollo auf Erden mitten im Volk. Er hat sich hier mal, als Ziegenhirte getarnt, vor göttlicher Missgunst versteckt. Foto: AlexaL.
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  • Der göttliche Apollo auf Erden mitten im Volk. Er hat sich hier mal, als Ziegenhirte getarnt, vor göttlicher Missgunst versteckt. Foto: AlexaL.
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Umjubelte Ruhrtriennale-Eröffnungs-Premiere in der Jahrhunderthalle

Dass die Jahrhunderthalle einfach ein grandioser Spielort ist und Inszenierungen dort eine ganz besondere Aura haben, bewies sich letzten Freitag mit der Ruhrtriennale-Eröffnungspremiere „Alceste“ einmal mehr. Festival-Intendant Johan Simons verließ sich als Regisseur zurecht auf die Wirkung der atmosphärischen Riesenhalle. Die im Gegensatz zu klassischen und modernen Opernhäusern eine weitere Dimension auf dem Zeitstrahl der Geschichte zulässt: Hätte man hier drin vor 40 Jahren einem Malocher erzählt, dass „hier mal Oper spielen würde“ - Drastischere Antworten hätte Tana Schanzara nicht erfinden können.

Heute kann die Jahrhunderthalle mit sensationeller Akustik (neben hypermodernen Technik-Könnern auch tausendfach Klang-brechende industrielle Dachkonstruktion) leicht mit eigens dafür konstruierten Musentempeln à la Bayreuth mithalten. Hier sind die Sitzplätze deutlich bequemer, das Publikum aber inzwischen ebenso international buntgemischt. Aber immer noch „normaler“ und deshalb interessanter. Man kommt schnell ins Gespräch, mit allen:


Auf den "Bochumer Hügel"

Zur Festival-Premiere auf den „Bochumer Hügel“ pilgerte unter anderem Landesmutter Hannelore Kraft samt ihrer Vize Sylvia Löhrmann, Bundestagspräsident Norbert Lammert und viele weitere Promis aus Politik, Kultur und Gesellschaft. Darunter Bochums Schauspieler Achim Luger (wie überall mit „Hallo, Vater Beimer“ begrüßt), Komödiantin-Moderatorin Anke Engelke, aber auch WDR-Talkerin Bettina Böttinger. Und das längst gewachsene Kultur-Publikum aus dem ganzen Revier.

Emotional und aufwühlend

Auf alle wartet ein musikalisch und szenisch hochemotionaler Abend mit fantastischen Sängern, dem wunderbaren Chor MusicAeterna und dem unglaublichen B`Rock Orchestra unter Leitung von Barock-Spezialist Réne Jacobs. Auf dem Boden der langen, auf Domkirchen-Maß verkleinerten Halle 1 hat Ausstatter Leo de Nijs eine dunkelglänzende, spiegelglatte Leucht-Fläche definiert. Die kann schwarzer Todesfluss oder Spiegelfenster in die Unterwelt sein oder thessalische Dorfplatz-Platia vollgestellt mit weißen Blockstühlen.

Christoph Willibald Glucks selten gespielte Oper „Alceste“ entstand in der wilden Umbruchszeit der Aufklärung, deren große Schlagworte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ das Gerüst der dreijährigen RT-Ära des Intendanten-Glückfalls Johan Simons bilden. Gluck, zu seiner Zeit ein wahrer Erneuerer, traute sich, eine Frau aus Fleisch und Blut statt der üblichen unfehlbaren Götter-Figuren zur Titelheldin zu machen. Und wählte damit ein heißes Thema: Denn durch Willkür und Launen eben jener Götter (gemeint: der Herrschenden) wird ein ganzes Land samt Königsfamilie ins Unglück gestürzt. Nach der griechischen Tragödie von Euripides opfert die junge Königin Alceste ihr Leben im Tausch den Göttern, damit ihr Mann Admeto weiter (als guter Herrscher) am Leben bleiben kann.

Bei Gluck durchlebt sie durch die „Freiheit, sich zu opfern“ aber auch die ganz privaten Qualen einer Mutter, die dafür ihre kleinen Kinder zurück lassen muss. Voller Angst, dass eine neue Frau dann ihre Kinder schlecht behandelt. Admeto (stimmlich und szenisch ausgezeichnet: Thomas Walker) will das Menschenopfer seiner Gattin nicht annehmen. Tochter und ihr jüngerer Bruder werden zwar getröstet, doch wenn Mutter Alceste von „letzter Umarmung“ singt, dreht sie die Kinder weg von sich und läuft davon.


Priester, Gott und Götterbote

In Simons Inszenierungen gibt es oft eine Art Spielmacher, der mehrere Rollen verkörpert. Das ist hier der großartige Bariton Georg Nigel. Er ist für alles Emotionale und Irrationale zuständig. Als launischer Gott Apollo tanzt er im mattgoldenen Kleid (tolle Kostüme von Greta Goiris) zur Overtüre fröhlich hüpfend über die ganze Spiegelbühne und schubst dabei auch schon mal die vielen weißen Plastik-Stapelstühle um, die das Königreich ein wenig heruntergekommen wirken lassen.

Mit gewaltigem Stimmumfang singt Nigel auch den schrillen Priester, der den bösen Orakelspruch zu überbringen hat. Und wenn die Götter sprechen, bebt die Erde; So fallen denn auch mit großem Getöse mehrere Dutzend weitere Billig-Stühle von der Decke auf das schon vorhandene Schock des Bühnenbilds. Die großartig agierenden und musikalisch hinreißenden Sänger des MusicAeterna-Chores zeigen sich als „Volk“ erschüttert vom hartem Götter-Spruch. Das Publikum ahnt, durch uralte Musik eingestimmt: Keiner will sein Leben für den König geben: „Die Götter verlangen zuviel!“.

Brigitte Christensen als verzweifelte Alceste berührt mit ihrer warmen, wunderschönen und herzzerreißenden Vokalität tief im Innersten. Ihre Wandlung von der energischen Königin zum – frei selbstbestimmten - Opfer bewegt über die Jahrhunderte seit Gluck hinweg. Auf dass sich das Leiden nicht noch länger als die mehr als drei Stunden Original-Länge hinzieht, schnappt sich der zynische Priester triumphierend Alcestes Arm und führt sie fest untergehakt in die Unterwelt.

Fast könnte man meinen, Regisseur Simons mag kein Happy End. Bei Gluck sind dann als unglaubwürdiges Happy Ende die Götter vom Opfermut so angetan, dass die liebende Mutter und Gattin doch am Ende aus der Unterwelt zu Mann, Kindern und Volk zurück kehren darf.

Aber auch Gluck hat seinerzeit keine wirkliche Jubelfeier komponiert. So halten sich die Feierlichkeiten in Grenzen und Simons läßt - statt der üblichen Schreit-Tänzer - zum musikalischen Finale die Kinder, ganz alleine Hand in Hand im fahlen Außenlicht des einstigen Bochumer Vereins-Geländes, über den schwarz glänzenden Spiegelfluss (am mitten im Geschehen sitzenden Orchester) wie über einen Abgrund tollen und tanzen... Und spätestens da wird uns heute wirklich kalt ums Herz. Langanhaltender, donnernder Applaus für die überzeugende Ensemble-Leistung auf und hinter der Bühne in einer vollbesetzten Jahrhunderhalle, das Publikum beklatschte stehend den gelungenen Festival-Auftakt. (cd)

Weitere Termine: 20. / 25. und 27. August um 20 Uhr und an den Sonntagen 21. und 28. August schon um 17 Uhr. Karten: www.ruhr3.com/alc und an den üblichen Vorverkaufsstellen.

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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