Roger Vontobel inszeniert Hauptmanns "Rose Bernd" am Schauspielhaus

Rose Bernd (Jana Schulz) wird von ihrer Umwelt in Scham und Verzweiflung getrieben. | Foto: Declair
  • Rose Bernd (Jana Schulz) wird von ihrer Umwelt in Scham und Verzweiflung getrieben.
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Der Dramatiker Gerhart Hauptmann war zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Geschworener tätig und als solcher mit dem Fall einer 25-jährigen Kindsmörderin befasst. Dies war Anregung für eines seiner besten Theaterstücke: „Rose Bernd“.
In Bochum regnet es in der rund zweistündigen Aufführung fast unaufhörlich goldenen Glitter auf die Bühne. Dabei ist Rose eben gerade kein Sterntaler – ihr wird nicht Gutes mit Gutem vergolten.
Ihr Ziehvater Christoph Flamm (Olaf Johannessen) beginnt eine Affäre mit ihr. Als sie ungewollt schwanger wird, wittert Frau Flamm (Katharina Linder) die Chance auf ein Adoptivkind. Roses Vater (Matthias Redlhammer) drängt seine Tochter zur Eheschließung mit August Keil (Nils Kreutinger). Der soll Roses verarmte Familie finanziell sanieren.
In dieser Situation darf Roses Beziehung zu Flamm natürlich keinesfalls bekannt werden – die repressive Sexualmoral der Zeit,die Rose zutiefst verinnerlicht hat, macht die junge Frau erpressbar.
Das nutzt Arthur Streckmann(Michael Schütz) aus. Er vergewaltigt die junge Frau und behauptet auch noch, sie habe ihn verführt.
So benutzen sie alle Rose für ihre Zwecke. Diese Gegengeschichte zum „Sterntaler“-Märchen der Gebrüder Grimm verbindet die „Rose Bernd“-Inszenierung mit einem anderen Drama: Georg Büchners „Woyzeck“. Dort erzählt eine ältere Frau eine ungemein pessimistische Version des Märchens.
„Rose Bernd“ hat eine Menge Bezüge zu Büchners berühmtem Drama. Die beiden Titelfiguren erregen das Mitgefühl des Zuschauers, wie es literarischen Figuren selten gelingt. Die Anspannung des Publikums ist während der Aufführung von „Rose Bernd“ fast mit Händen zu greifen.
Rose tötet schließlich ihr eigenes Baby, auch um ihm die Ächtung zu ersparen, die ihm als unehelichem Kind droht.
In der eindrucksvollsten Szene äußert Rose, wie sehr sie sich schäme. Ihr Vater wirft ihr vor, selbst früher über Mädchen, die gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben, den Stab gebrochen zu haben und nun selbst zum gefallenen Mädchen geworden zu sein.
Die strikte Sexualmoral und die starre soziale Schichtung im Drama sind deutschen Zuschauern heute eher fremd. Ein Zugang sind jedoch die ständig spürbare Angst, das Gesicht zu verlieren, und vor allem das Leid, das entsteht, wenn Menschen an ihren selbstgesteckten Ansprüchen scheitern.
Rose verletzt die Loyalität zu ihrer gehbehinderten Ziehmutter, wenn sie mit Flamm schläft. Sie schwört einen Meineid, weil sie sich schämt. Ein Leben in Würde ist für sie nicht mehr in Reichweite.
Gute Krimis handeln davon, was Menschen tun, wenn sie derart in die Enge getrieben werden.
In der Rolle der Rose Bernd begeistert Jana Schulz einmal mehr das Bochumer Publikum. Ihre physische Präsenz ist schier unglaublich.
Sehr zu empfehlen ist das Programmheft, das verschiedene Zugänge zum Stück eröffnet und mit beeindruckenden Szenenfotos punktet. – Eine Anregung zur weiteren Beschäftigung mit dem Stoff.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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