DIE LINKE: "Marine drängt Flüchtlinge ab!"

Seenotrettung im Mittelmeer: Für viele Flüchtlinge gibt's auf dem Tender WERRA das erste warme Essen seit Tagen. Sieht so "Flüchtlingsabwehr" aus? / Foto: Bundeswehr
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  • Seenotrettung im Mittelmeer: Für viele Flüchtlinge gibt's auf dem Tender WERRA das erste warme Essen seit Tagen. Sieht so "Flüchtlingsabwehr" aus? / Foto: Bundeswehr
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Die Abschlusskundgebung des Ostermarsches 2016 fand in Düsseldorf statt. Für die Partei DIE LINKE redete Dr. Alexander Neu- und zwar sich selbst um Kopf und Kragen.

Kaum zu glauben, was er- dokumentiert in einem Video- dort zum Besten gab, aber er sagte tatsächlich:

Zitat Dr. Neu: "Wenn es um Menschenrechte geht, wie so häufig gesagt wird, warum bekämpfen wir nicht die Fluchtursachen sondern die Flüchtlinge? Nichts anderes ist EUNAVFOR MED, die EU- Mission im Mittelmeer, um Flüchtlinge seeseitig, wie es so heißt, seeseitig abzudrängen von Europa, also sie wieder aufs offene Meer hinauszuschicken!"

Eine schier unglaubliche Behauptung. Also stellte ich Herrn Dr. Neu dazu einige Fragen- öffentlich:

Sehr geehrter Herr Dr. Neu,
[...] "Mit dieser Ihrer Aussage behaupten Sie nichts anderes, als dass die 24 an EUNAVFOR MED beteiligten Nationen ( AUT, BEL, BGR, CYP, CZE, ESP, EST, FIN, FRA, GER, GBR, GRE, HUN, ITA, LAT, LIT, LUX, MAL, NED, POL, POR, ROM, SLO, SWE ) und die im Einsatz befindlichen europäischen Marinen- darunter auch die Deutsche Marine- wider das Seerechtsübereinkommen, das Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See und das Abkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See agieren und somit gegen das Völkerrecht verstoßen.

Als Bürger bin ich geneigt, einem Bundestagsabgeordneten, der zudem dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags angehört, zunächst einmal zu glauben. Von daher erschreckt es mich doch sehr, wenn ich von offiziellen Stellen gegenteiliges höre. Demzufolge hätte z.B. allein die Deutsche Marine bisher doch 12.508 Menschen im Mittelmeer gerettet, die jeweils in italienische Häfen verbracht wurden.

Ich möchte Sie deshalb bitten, Ihren Vorwurf zu belegen:

a) Marineschiffe welcher Nation haben Flüchtlingsboote abgedrängt?
b) Wann ist das geschehen?
b) Wie viele Fälle sind Ihnen bekannt?
c) Gibt es Zeugenaussagen, Bild- oder Videomaterial über diese Vorgänge?

Vielen Dank für Ihre Mühe.

Antwort von Dr. Alexander Neu:

Sehr geehrter Herr Gross,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich freue mich sehr, dass Sie meinen Aussagen folgen und konkrete Nachfragen haben. Dass zeigt Ihr Interesse an dem Thema."

"Sie zitieren mich mit den Worten

"[..] "Wenn es um Menschenrechte geht, wie so häufig gesagt wird, warum bekämpfen wir nicht die Fluchtursachen, sondern die Flüchtlinge?

Nichts anderes ist die EUNAVFOR MED, die EU- Mission im Mittelmeer, um Flüchtlinge seeseitig, wie es so heißt, seeseitig abzudrängen von Europa, also sie wieder aufs offene Meer hinauszuschicken." [..]".

Dazu folgendes:

1. EUNAVFOR Med, der NATO-Ägäis-EInsatz oder auch das EU-Türkei-Abkommen sind keine humanitären Rettungsaktionen, sondern Flüchtlingsfernhaltungsmaßnahmen. Es sind keine Maßnahmen zum Schutze der Menschenrechte. Sie erfüllen die gleiche Funktion wie die Zäune auf der sog. Balkanroute."

( Wenn die EUNAVFOR MED- Mission eine "Flüchtlingsfernhaltungsmission" ist, dann läuft sie aber völlig schief, denn statt Flüchtlinge fernzuhalten rettet sie ohne Ende Menschen und bringt sie nach Europa. Auch der Einsatz der STANDING NATO MARITIME GROUP 2 (SNMG2 ) machte erst eine funktionierende Seenotrettung in der Ägäis durch Griechenland und die Türkei möglich )

"Flüchtlingsrettungsmaßnahmen und -operationen sähen in der Auftragsdefinition sowie in der Operation grundlegend anders aus"

( Mal abgesehen davon, dass die Seenotrettung sehr wohl im Antragstext unter Punkt 3 "Auftrag" erwähnt wird ( --->"Zudem gilt für alle im Rahmen von EUNAVFOR MED eingesetzten Schiffe die völkerrechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung für in Seenot geratene Personen fort" ), wie "grundlegend anders" sähe es denn aus, wenn die deutschen Einheiten Seenotrettung "mit Mandat" praktizieren würden?

--> Wenn die Deutsche Marine nicht vor hätte, Menschen zu retten, weshalb sind dann ihre Schiffe eigens mit speziell angefertigten sanitären Anlagen für einen Massenbetrieb ausgestattet?

--> Weshalb haben die Einheiten zusätzlich hunderte von Schwimmwesten, Decken, Matratzen, Overalls und Schuhwerk an Bord?

--> Weshalb fahren sie in ihrer angeblichen "Flüchtlingsfernhaltungsmission" hunderte von Kindermalbüchern und Stofftieren spazieren?

--> Weshalb befinden sich Ethiker und Sprachmittler an Bord?

--> Und wieso haben sie bis heute dann schon mehr als 20.000 Menschen aus dem Wasser gezogen und nach Italien gebracht? )

"2. Weder im Antrag der Bundesregierung zum Einsatz der EU-Mission EUNAVFOR Med noch Im EU-Ratsbeschluss (GASP) 2015/778 vom Mai 2015 ist die Seenotrettung explizit als Auftrag formuliert. Es wird zwar auf die allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung verwiesen, jedoch nicht die Seenotrettung als Auftrag formuliert. Warum eigentlich nicht? Auch entsprechenden Nachfragen im Verteidigungsausschuss und im Rahmen einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion vom 9. März 2016 /´(18/7837) wurde schwammig und ausweichend geantwortet."

( Es steht auch nicht im Mandat, dass die Soldaten mehrfach pro Minute atmen müssen. Selbstverständlichkeiten benötigen kein Auftragsformular. Seenotrettung ist nicht nur per geltendem Recht immer zwingend geboten, es ist für jeden Seemann- egal welcher Nationalität, egal, unter welcher welcher Flagge sein Schiff auch immer fährt,- eine ethische und moralische Verpflichtung. Da der Hinweis auf die Seenotrettung dennoch und zusätzlich im Antragstext unter "Aufgaben" aufgeführt ist, ist jede Diskussion darüber überflüssig- um nicht zu sagen: hochgradig albern! )

"3. Im Begründungsteil des Antrages der Bundesregierung zu EUNAVFOR Med wird u.a. die Aufgabe beschrieben:

"(...) Umleitung von Schleuserschiffen im südlichen und zentralen Mittelmeer, seewärts der Küstenmeere der betroffenen Küstenstaaten".

Diese verquaste Aussage konnte oder wollte die Bundesregierung nicht qualifiziert entschlüsseln. Darunter kann man vieles verstehen, eben auch das seeseitige Abdrängen - also auf das offene Meer hinaus. Wie gesagt, die Bundesregierung ist nach meinem Kenntnisstand bis heute eine Klarstellung dieser Formulierung schuldig - dies hat wohl seine Gründe".

( Das hat Gründe: Ich wäre angesichts solcher Fragen auch genervt. Aber ich will gerne für Aufklärung sorgen:

1. Der Text spricht deutlich von "Schleuserschiffen" und nicht von "Flüchtlingsbooten". Schon aus dem Kontext wird deutlich, was hier gemeint ist.
2 Mit "betroffenen Küstenstaaten" ist nicht Italien gemeint, sondern die afrikanischen Küstenstaaten. Hintergrund: Immer wieder werden Flüchtlingsboote eine Zeit lang von Schleppern in separaten Booten bzw. Schiffen begleitet. Hier soll die Aufgabe sein, diese Schlepper aus Sicherheitsgründen a) von den Flüchtlingsbooten zu separieren und b) seeseitig abzudrängen, damit sie sich nicht wieder zurück in ihre Hoheitsgewässer flüchten können. Das hat bereits einige Male stattgefunden und mehrere Schlepper wurden der italienischen Justiz zugeführt )

"Wenn Sie meine Formulierung präzise lesen, ..."

( Oh... Entschuldigung! Aber wie liest man ein Video? )

"...so werden Sie feststellen, dass ich nicht behaupte, dass EUNAVFOR Med oder gar die Bundeswehr Schiffe faktisch seeseitig abdrängt, sondern ich den entsprechenden Begründungsteil des Antrages der Bundesregierung als Aufgabe zitiere"

( Im Antrag der Bundesregierung steht: "EUNAFOR MED ist eine Flüchtlingsmaßnahme zur seeseitigen Abwehr von Flüchtlingen"? )

"Ich kritisiere somit den Auftrag und die Aufgaben - dass Fernhalten von Flüchtlingen - von EUNAVFOR Med."

( Hier wird also etwas kritisiert, was es faktisch nicht gibt )

"Wenn die alltägliche praktische Arbeit bei der Bundesmarine im Mittelmeer sich dennoch durch Seenotrettung im Wesentlichen kennzeichnet, so zeigt dies, dass die SoldatInnen an Bord mehr Menschlichkeit im unmittelbaren Kontakt mir Flüchtlingen haben als die politischen Entscheider in Brüssel und Berlin".

( Also rettet die Deutsche Marine [ nicht die "Bundesmarine"- die gibt es bereits seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr! ] Ihrem Glauben gemäß klammheimlich und ohne Wissen der Bundesregierung einfach mal so Menschenleben, obwohl sie das gar nicht soll? Das is ja 'n Ding! Hoffentlich fällt das niemandem im Kanzleramt und im Verteidigungsministerium auf. Das kann dann aber mächtig Ärger geben! ... )

Noch mal: Dr. Neu hat also nie behauptet, EUNAVFOR MED- Schiffe würden Flüchtlinge abgedrängen? Er habe nur aus dem Antragstext zitiert? Dann hören wir doch mal zu ( ~ ab Minute 1:50 ):

Zum Video

( Jetzt habe ich mich aber mächtig um Präzision bemüht: Ich habe präzise zugehört und präzise jedes Wort gelesen. Und komme zu dem sehr bedauerlichen Fazit:

Dr. Alexander Neu, Obmann der Partei DIE LINKE im Verteidigungsausschuss hat diese völlig inakzeptablen Vorwürfe erhoben und als Tatsache dargestellt.

Sein angebliches "Zitat" aus dem Antragsmandat, das er hier verwendet haben will, ist nichts anderes als ein Hirngespinst, eine unverschämte Verdrehung der Tatsachen!

Schlimm genug, wenn man sich solcher Lügen bedienen muss, um seine politischen Ziele zu erreichen. Viel schlimmer als das aber ist die Tatsache, dass Dr. Neu jegliche Einsicht fehlt. Vielleicht wäre in der Vergangenheit hilfreicher gewesen, statt Militärparaden in Moskau besser unsere Soldatinnen und Soldaten an Bord der EUNAVFOR- Schiffe im Mittelmeer zu besuchen )

"4. Dass die deutsche Marine eigenen Angaben zu Folge über 12.500 Menschen gerettet hat, wird von mir auch als wichtige humanitäre Maßnahme anerkannt. Ob auch andere Truppensteller derart massiv Seenotrettung betreiben, kann ich nicht beurteilen".

( Das ist mir klar, wie soll Dr. Neu das auch beurteilen können? EUNAVFOR MED ist ja so geheim, dass die EU Naval Forces ihre tägliche Arbeit an Bord und die Seenotrettungsfälle nur bei Twitter veröffentlichen und so nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugänglich machen, der zufällig über einen PC oder ein Smartphone verfügt. Aber wer besitzt so was schon? Bundestagsabgeordnete doch bestimmt nicht )

"Dass ändert jedoch nichts an dem Fakt, dass sich die EU und die Bundesregierung bis heute weigern, die Seenotrettung als Auftragsbestandteil zu definieren"

( Es ändert aber etwas an einem anderen Fakt: Zum Beispiel meinen bisherigen Respekt gegenüber promovierten Akademikern )

Mit freundlichem Gruß

Und so sehen die "Flüchtlingsfernhaltungsmaßnahmen" und "seeseitigen Abdrängungen von Flüchtlingsbooten" der EUNAVFOR MED in der Realität aus:

Video über den Bordalltag auf der FRANKFURT AM MAIN.

Die komplette Kommunikation mit Dr. Neu

Amtragstext der Bundesregierung

Seenotrettung im Mittelmeer: Für viele Flüchtlinge gibt's auf dem Tender WERRA das erste warme Essen seit Tagen. Sieht so "Flüchtlingsabwehr" aus? / Foto: Bundeswehr
Dr. Alexander Neu ( DIE LINKE ): "EUNAVFOR MED ist eine Flüchtlingsfernhaltungsmaßnahme" / Foto: DIE LINKE
Autor:

Peter Gross aus Bochum

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