Das musikalische Geheimnis einer U-Bahnstation

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Pennsylvania Station. Die beschäftigste U-Bahnstation Nordamerikas liegt mitten in Manhattan, New York. Es ist ein Freitagabend im kühlen Januar. Alle 90 Sekunden steigen 1000 Leute aus den Zügen. Geschäftsmänner in gestriegelten Anzügen und Koffern, die mit geradem Blick und strammer Haltung durch die Station rasen. Grüppchen junger Frauen in Highheels und modischen Klei-dern, welche sich ins New Yorker Nachtleben stürzen. Touristen mit Zugplan in der Hand, die verwirrt um sich schauen. Torkelnde Betrunkene und Obdachlose, die um Geld betteln. Die Station ist überfüllt – man entdeckt die verschiedensten Typen von Menschen aus ganz un-terschiedlichsten Schichten der Gesellschaft. In dem ganzen Trubel hektisch laufender Menschen und lautem Zuglärm macht sich ein rhyth-mischer Sound bemerkbar. Menschen sammeln sich vor einer sechsköpfigen Band zusammen, die funkige Jazzmusik spielt. Die Band macht sich ihre eigene kleine Bühne, indem sie ein circa drei mal zwei Meter großes Plakat mit deren Bandnamen „Underground Horns" an ein Treppengeländer hängen und einen alten, braunen, offenliegenden Koffer vor sich legen; darin liegen CDs und Dollarscheine. Die Bandmitglieder zwischen 25 und 47 Jahre alt, sie spielen live, Saxophon, Posaune, Tuba und Schlagzeug. Die Uhr über dem McDonald's-Restaurant daneben zeigt 21:20 Uhr an. Die groovige Jazzmusik bringt die Leute zum tanzen, filmen und lachen. Betrunkene tänzeln mit verschobenem Grinsen im Gesicht und Schnaps in der Hand um die Band herum. Eine Mutter schiebt ihr Kind im Kinderwagen rhythmisch zur Musik hin und her. Alle werden von der Musik mitgezogen, nicken mit dem Kopf oder tippen den Fuß zum Beat. „Es ist nicht immer leicht, an einem Ort wie diesem zu spielen, aber das Geld stimmt", erwähnt der 25-jährige Posaunenspieler Kevin, während er in einer kurzen Spielpause hastig an seiner Zigarette zieht. Das Internet hat jedoch Macht über die Musik ergriffen. Diverse Internetplattformen, wie zum Beispiel YouTube, erlauben es fast jeden Titel kostenlos abzuspielen. „Viele große Plattenfirmen wie TVT Records und EMI Music haben dicht gemacht – aufgrund mangelnder CD-Verkäufe. Kein Mensch geht mehr in den Laden und kauft sich ein Album für 12,99 Dollar wie vor 10 Jahre", sagt Kevin gefrustet. Vor den Underground Horns liegt jedoch ein offener Koffer, in dem sie ihre Alben für zehn bis zwanzig Dollar anbieten. Bandmitglied Welf, gleichzeitig auch Leiter und Manager der Band, erklärt: „Dadurch, dass die Leute uns live spielen sehen, wollen sie einen Teil ihrer Erfahrung mit nach Hause nehmen und kaufen dann eine CD." Das größte Einkommen erhielten sie über den CD-Verkauf und dem Geld, das ihnen die Leute in den Koffer werfen, fügt ein anderes Bandmitglied hinzu. Die alte Uhr über McDonald’s zeigt nun 21:50 Uhr. Seit 21:20 Uhr haben 25 Menschen Geld im Wert von je ein bis fünf Dollar in den Koffer geworfen, drei Passanten haben eine CD gekauft. Die Band erklärt stolz, weshalb sie so gut ankommen: „Wir verdienen in den U-Bahnstationen viel mehr als zum Beispiel in einem Club. Den Leuten steht es ja frei, uns zuzugucken. Wenn es ihnen gefällt, kaufen sie eine CD oder schmeißen uns ein paar Dollar in den Koffer als Dank-eschön und Support." Die Band hofft, dass sie bald „entdeckt" werden. Spielen in der U-Bahnstation ist wie ein „of-fenes Casting", findet Kevin. Ein Auftritt brachte ihnen sogar eine freie Reise nach Ägypten ein. „Es war ein ganz normaler Tag, an dem wir wie immer an unserem Platz spielten. Auf einmal spricht uns eine sichtlich wohlhabende Frau an, sie sei ja so begeistert von unserer Band und wolle uns für ihre Hochzeit in Ägypten buchen. Wir geben ihr unsere Business Karte und denken uns nicht viel dabei. Die Frau meldete sich doch tatsächlich, um uns zu buchen” erzählt ein Bandmitglied mit weit offenen Augen. „Es wurde alles bezahlt, der Flug, das Hotel, das Essen und natürlich wurden wie für das Performen sehr gut bezahlt. Schon alleine das Erlebnis, auf einer Hochzeit, welche in einem riesengroßem Zelt inmitten der Pyramiden stattfindet, zu spielen, wird unvergesslich bleiben." fügt Bandmitglied Okai begeistert hinzu. Um bekannt und gebucht zu werden, nutzt die Band auch das Internet. Nach jedem Song wird laut applaudiert; dann tritt ein Bandmitglied nach vorne und schreit in die Menge: „Findet uns auf Twitter, Facebook oder geht auf unsere Internetseite. Wir sind die Underground Horns!" Manager und Bandleader Welf stellt noch einmal klar, dass das „live performen" den meisten Erfolg erbringt: „Unsere YouTube-Videos haben über Tausend Hits, jedoch werden wir selten wegen der Videos kontaktiert. Die meisten Kontakte machen wir, wenn wir live irgendwo spielen." Das Performen in einer U-Bahnstation hört sich für den einen oder anderen bemitlei-denswert an. Doch für die Underground Horns ist es ein Ort, an dem sie ihre Leidenschaft zur Musik ausüben, genug Geld zum Leben einnehmen und auf die Chance hoffen, doch noch entdeckt zu werden.

Autor:

Vivien Grefen aus Gelsenkirchen

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