"Man wird demütig" - Bottroper helfen in Tansania

Von früh morgens bis in den Abend hinein operieren die Mediziner aus Deutschland. Nur an einem Tag in den zwei Wochen ihres Aufenthaltes haben sie frei.
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Es sind Hunderte, die auf dem Gelände des kleinen Krankenhauses in Sumbawanga warten, wenn das Ärzteteam von Interplast anreist. Die Stadt im Südwesten Tansanias zählt rund 100.000 Einwohner - und fast alle sind arm, ohne Perspektive und medizinisch unterversorgt.

In dem Bus, der nach langer und strapaziöser Anreise in den Ort rollt, sitzen auch der Bottroper Mediziner Dr. Wilhelm Heckelei und Martina Kuhlmann, OP-Schwester am Knappschaftskrankenhaus. Beide opfern fast jedes Jahr einen Teil ihres Urlaubs, um den Menschen vor Ort zu helfen. 350 Patienten in zwei Wochen, 120 Operationen, zwei Tonnen Material, das nach Sumbawanga gebracht wird - die Zahlen zeigen deutlich, wie nötig diese Hilfe ist.

Dr. Wilhelm Heckelei ist nicht nur Chirurg, er ist auch Fachmann für plastische und Handchirurgie. "In Tansania gibt es so gut wie keine Fachärzte", erzählt er. Die Kranken, die zum Beispiel unter Narbenwucherungen, Kiefer-Gaumen-Spalten oder Verbrennungsnarben leiden, bekommen nicht nur keine Hilfe, zu allem Überfluss werden sie oft von der Gemeinschaft ausgegrenzt. "Sie werden versteckt, für die Familie ist es eine Schande", weiß der Mediziner. "Wenn wir diesen Menschen mit einer Operation helfen können, ist das für sie wie ein neues Leben." Immer wieder denkt er dabei zum Beispiel an ein 17-jähriges Mädchen, deren Kiefer-Lippe-Gaumen-Operation er durchgeführt hatte. "Als ich ein Jahr später wiederkam war sie verheiratet."

Oder der Fall Jeanette. Die 31-jährige hatte schwerste Verbrennungen erlitten, das Narbengewebe hatte ihre Beine verkürzt. Acht Monate lebt die junge Frau in einem Zelt, die Familie hatte sie verstoßen. In der Operation konnten die Ärzte die Vernarbungen so weit lösen, dass Jeanette wieder stehen und laufen konnte. "Im nächsten Jahr hat sie im Krankenhauskiosk gearbeitet", freut sich Dr. Wilhelm Heckelei. Verbrennungen seien sehr häufig, berichtet er. "Die Menschen dort leben in Einraumhütten, in denen wird auf offenem Feuer gekocht und direkt daneben geschlafen. Einmal im Schlaf umdrehen, und sie liegen in den Flammen."

Täglich ist das Team aus Deutschland, das aus Operateuren, Schwestern, Pflegern, Anästhesisten und Technikern besteht, von früh morgens bis in die Nacht hinein im Einsatz. Operiert wird an drei Tischen gleichzeitig. "Das ist eine Knochenmühle", sagt Heckelei. Und nicht nur das. An europäische Standards und Ausrüstung ist in dem Krankenhaus in Tansania nicht zu denken. Mit Spenden konnte eine Waschmaschine angeschafft werden, auch das Röntgengerät hätte es ohne Unterstützung nicht gegeben. Operiert wird mit Stirnlampen, denn Stromausfälle gehören zum Klinikalltag. "Man wird demütig", bringt es Wilhelm Heckelei auf den Punkt, und Martina Kuhlmann sagt: "Das Leid der Menschen geht ans Herz. Das zerreißt einen." Für die Neuen im Team sei es "erstmal schwierig."

Bereits vor vielen Jahren hat der Bottroper Arzt angefangen, sich in der Dritten Welt für Kranke und Verletzte zu engagieren. "Ich bin damals von meinem Chef im Krankenhaus in Duisburg gefragt worden, ob ich Interesse hätte, zu einem Einsatz zu fahren", erzählt Wilhelm Heckelei. Anfangs war er in Pakistan, Vietnam und Sri Lanka, später reiste er nach Madagaskar und Ghana. Seit 2008 ist Heckeley in Tansania tätig, zwei Jahre später kam er zum ersten Mal nach Sumbawanga."Da habe ich das Projekt gefunden, bei dem ich bleibe", sagt der Mediziner.

Die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort ist eng. "Mit ihnen steht und fällt das Projekt", sagt der Bottroper. "Bevor wir kommen, werden die Patienten von einem Arzt vor Ort rekrutiert. sie werden dann geordnet nach Diagnosen vorgestellt."
Wenn Wilhelm Heckelei von so einem Einsatz in Tansania zurück nach Deutschland kommt, ist die Erschöpfung groß. "Dann schlafe ich erstmal eine Woche", schmunzelt er. Viele Worte über seinen Antrieb, dort zu helfen, wo es so nötig ist, verliert er nicht, da wird der Doktor ziemlich schweigsam. Irgendwie ist es für ihn selbstverständlich. Und schon im Oktober geht es wieder los.

INFO

Die Mitglieder von Interplast Germany führen unentgeltlich plastisch-chirurgische Operationen in Entwicklungsländern durch. Die behandelten Patienten leiden unter Gesichtsfehlbildungen, Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, Handfehlbildungen, schweren Verbrennungsnarben, Tumoren der Haut und des Kopfes, Defekten durch Unfälle oder Kriegsfolgen und sonstigen Erkrankungen, die in das Fachgebiet der Plastischen Chirugie fallen.
 Die Arbeit von Interplast Germany basiert auf freiwilligem unentgeltlichem Engagement der Mitglieder. Die entstehenden Kosten werden durch Spendengelder sowie den Jahresbeitrag der Mitglieder finanziert. Info

Autor:

Judith Schmitz aus Bottrop

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