Kommunalpolitische Empörung über Regionalplan
Der Dorstener „Baulandskandal“ entpuppt sich als skandalöses Verhalten der Kommunalpolitiker

Es gibt kein Recht auf „Flächenfraß“ – im Gegenteil !

DORSTEN. Schwere Geschütze fährt die Dorstener CDU-Ratsfraktion gegen den Regionalverband Ruhr als übergeordnete Regionalplanungsbehörde auf, die man wegen angeblichen „verfassungsrechtlichen Verstoßes gegen die kommunale Planungshoheit“ sogar verklagen will, mit voraussichtlicher Zustimmung der SPD-Fraktion. Von einem behaupteten „schlimmen Baulandskandal“ ist mit markigen Worten die Rede, weil der neue Regionalplan als rechtsverbindliche Planungsvorgabe die völlig überzogenen Bauflächenausweisungen von ca. 100 ha im überholten Flächennutzungsplan Dorsten von 2009 auf ein verträgliches Maß beschränken will - entsprechend dem prognostizierten Bevölkerungsrückgang auf unter 70.000 Einwohner und gemäß den gültigen Gesetzesvorgaben und Nachhaltigkeitszielen der Raumordnung, die auch für die Stadt Dorsten gelten.

In Wirklichkeit offenbart sich in dem kommunalpolitischen Protest die überkommene Denkweise des unendlichen und unersättlichen  Bevölkerungs- und Siedlungsflächenwachstums der expansiven 1970-Jahre, die den Klima- und Artenschutz massiv gefährdet und den Aspekt der Nachhaltigkeit ignoriert. Das ist der eigentliche Skandal, der auf die Stadt selber zurückfällt. Kaum eine andere Stadt im Ruhrgebiet hat in den zurückliegenden Jahren so viele neue Wohnbau-und Gewerbeflächen mit erheblichem Landschaftsverbrauch zugestanden bekommen wie die Stadt Dorsten, die in den vergangenen  Jahrzehnten dadurch ihre Einwohnerzahl um 15.000 Einwohner steigern konnte, überwiegend durch Zuzüge aus den schrumpfenden Revierstädten Essen, Gelsenkirchen, Gladbeck und mehreren Städten des Kreises Recklinghausen – ohne Rücksicht auf Verluste.

Damit ist die Dorstener Behauptung widerlegt, die Großstädte im Ruhrgebiet würden gegenüber den Randgemeinden wie Dorsten durch den Regionalverband bevorzugt. Insbesondere die flächenintensiven Eigenheimsiedlungen an den grünen Ortsrändern in der Lippezone - die inzwischen für Normalverdiener unbezahlbar sind - und die ineffizient genutzten Gewerbegebiete in Dorsten fressen sich immer weiter in die Landschaft. Sie versiegeln und betonieren die zu schützenden Böden und landwirtschaftlichen Anbauflächen. Außerdem erhöhen sie die Kosten für neue Infrastruktur und steigern den Pendelverkehr per PKW aus den bewohnten Randbereichen und behindern so die nötige Verkehrswende.

Erst kürzlich haben Wissenschaftler und Naturschützer Alarm geschlagen, weil der Klima- und Artenschutz es zwingend erfordert, das Thema „Flächensparen“ auf allen Planungsebenen ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. Denn ohne Flächenschutz misslingt der Klima- und Artenschutz. Doch das notwendige Umdenken hat die Köpfe der politischen Entscheidungsträger in Dorsten und anderswo offenbar noch nicht erreicht. Planungskorrekturen sind jedoch unerlässlich, anstatt „stinksauer“ von „empfindlichem Eingriff in die kommunale Planungshoheit“ zu schwadronieren.

Dramatischer Freiflächenverbrauch im nördlichen Ruhrgebiet und Münsterland

Jeden Tag werden in NRW ca. 10 -15 Hektar Boden (das sind bis zu 150.000 qm) in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt), davon 25% allein im Regierungsbezirk Münster mit dem nördlichen Ruhrgebiet. Hier liegt der Siedlungsflächenverbrauch mit 14 qm pro Tag je 1000 Einwohner fast doppelt so hoch wie in NRW mit 8 qm pro Tag je 1000 EW. Das seinerzeit angestrebte Reduktionsziel der Landesregierung NRW von 5 ha für 2020 ist damit völlig verfehlt worden, ganz zu schweigen von einem ehrgeizigen Ziel der Halbierung nunmehr bis 2030 und einem anzustrebenden Netto-Null-Verbrauch bis 2050 durch Flächenkreislaufwirtschaft.

Täglich werden so immer noch Freiflächen in einer Größenordnung von 14 Fußballfeldern für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen, zuvorderst durch die Gemeinden! Die Ausbreitung der Siedlungsgebiete zerstört die Lebensräume von Tieren und Pflanzen in bedenklichem Ausmaß und beschleunigt die Klimakatastrophe. Die überwiegende Ausrichtung der Städtebaupolitik in Dorsten auf freistehende Ein- und Zweifamilienhäuser im Grünen ist die flächenintensivste und landschaftsschädliche Bauweise, die einer nachhaltigen Zukunft entgegensteht

Überzogene Flächenausweisungen im überholten Flächennutzungsplan Dorsten

Nicht jede Wohnungs- und Grundstücksnachfrage von außerhalb muss im zersiedelten Stadtgebiet Dorsten befriedigt werden, weit über den lokalen Eigenbedarf hinaus. Nachhaltigkeit geht vor Rendite-Interessen. Deshalb hat der für die Regionalplanung zuständige Regionalverband Ruhr in intensiven Gesprächen mit allen Städten eine einheitliche flächenschonende Methode mitsamt Kriterien zur Ermittlung des realistischen Flächenbedarfs und der Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung einvernehmlich abgestimmt – entgegen der von Dorsten behaupteten Gesprächsverweigerung der Regionalplaner. Zuvor hatten die Kommunalpolitiker noch die Zeitverzögerung des Regionalplanes infolge der intensiven Diskurse der Regionalplaner mit den Städten beklagt.

Für einige Städte wie Dorsten ergab sich dabei ein planerischer Überbedarf in ihren Flächennutzungsplänen oder im alten Regionalplan, also das Erfordernis der Rücknahme einiger geplanter Siedlungsflächenreserven in der Größenordnung von insgesamt 17 ha für Dorsten. Dazu ist die Stadt Dorsten jedoch nicht bereit und beruft sich fälschlich auf „Vertrauensschutz“, weil der überholte Flächennutzungsplan ca. 96 ha neue Siedlungsflächen vorsah bzw. insgesamt 120 ha ungenutzte Flächenreserven enthielt. Diese Dimensionen widersprechen aber heutigen Erkenntnissen zum Flächen- und Artenschutz, zu der jede Kommune im Ruhrgebiet und weltweit ihren lokalen Beitrag leisten muss, wenn unser Planet gerettet werden soll. Das geht nicht ohne veränderte Planungsziele mit reduziertem Landschaftsverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke.

Irrationaler Konkurrenzkampf um Flächen und Einwohner

Der langjährige irrationale Konkurrenzkampf benachbarter Städte um Flächen und Einwohner als teures Nullsummenspiel zu Lasten der schützenswerten Landschaft soll somit beendet werden, indem sich die Städte bei ihren Flächenplanungen künftig untereinander planerisch abstimmen. Im alten Dorstener Flächennutzungsplan, dessen 15-jährige Laufzeit in 2 Jahren endet, erstrebte die Stadt in altem Denken dagegen laut Eingangstext immer noch einen „interkommunalen Wettbewerb um stabile Einwohnerzahlen“. Da die Stadt wegen des demografisch bedingten Geburtenrückgangs und Sterbefallüberschusses bis 2030 bzw. 2040 von 15% bis 20% Bevölkerungsrückgang und damit nur noch von 65.000 bis 69.700 Einwohner ausgehen muss, sucht die Stadt nun unzulässiger Weise nach Kompensationsmöglichkeiten durch weitere Zuzüge von außerhalb.

Kommunale Planungshoheit mit Kirchturmspolitik verwechselt?

Nachteilig betroffen sind die erwähnten Nachbarstädte Essen, Gladbeck und einige weitere aus dem Kreis Recklinghausen als „Verliererstädte“, auf deren Entwicklung Dorsten bei der Abwerbung von Einwohnern wenig Rücksicht nimmt. Kommunale „Planungshoheit“ dient aber nicht dem lokalen Egoismus und der Kirchturmspolitik, sondern ist auch einer regional und interkommunal ausgewogenen nachhaltigen Raumordnung verpflichtet. Darauf zu achten und den Interessenausgleich zwischen den Städten herzustellen, ist die gesetzliche Aufgabe des RVR als Regionalplanungsbehörde. Das Protestgeschrei aus der Stadt Dorsten, die hierbei die dicksten Stücke vom Flächenverteilungskuchen einfordert, ist geradezu peinlich, weil unsolidarisch.

Seltsames Verständnis von Planungsrecht und Planungshierarchie in Dorsten?

Den Notwendigkeiten der Nachhaltigkeit sollte sich die uneinsichtige Stadt Dorsten nicht mit rabiatem politischem Protest und mit (aussichtslosen) Klagedrohungen entziehen, sondern sich selber an die verfassungsmäßige Ordnung im Rahmen der gestuften Planungshierarchie halten, anstatt auf falsch verstandene Planungsfreiheit in ihrem städtischen „Hoheitsgebiet“ zu pochen. (Sie würde es ja auch keinem Bürger zugestehen, auf seinem Grundstück beliebig bauen zu dürfen, ohne dass die städtische Baugenehmigungsbehörde ihm dazu Vorgaben im öffentlichen Interesse sowie im Nachbarschaftsinteresse und im städtischen Gesamtinteresse macht).

Das unveränderte Bestreben der Dorstener Kommunalpolitik nach weiterem unbegrenzten Siedlungs- und Bevölkerungswachstum ist völlig aus der Zeit gefallen und nicht gesetzeskonform sowie umweltschädigend – und obendrein gegenüber den schrumpfenden Nachbarstädten unsolidarisch. Außerdem zeugt es von einem fragwürdigen Rechtsverständnis. Denn die hier beschworene „kommunale Planungshoheit“ kann nur im Rahmen der geltenden Gesetze und der Planungshierarchie ausgeübt werden. Eine totale Baufreiheit nach eigenen städtischen Gesetzen („Dorstener Landrecht“) gibt es nicht, sondern die Stadt Dorsten als nachgeordnete Planungsebene hat nach § 1 Abs. 4 Baugesetzbuch die gesetzliche Pflicht, den Flächennutzungsplan an die übergeordneten Ziele der Raumordnung und Landesplanung anzupassen. Im so genannten „Gegenstromprinzip“ wird sie dazu vorher angehört, allerdings ohne den Anspruch, ihre Maximalforderungen mit politischem Druck durchboxen zu können.

Planungshoheit als Umweltverpflichtung

Das NRW-Umweltministerium weist in seinem Flächenportal ausdrücklich darauf hin, dass die Planungshoheit der Gemeinden eine besondere Verpflichtung für den Flächen- und Bodenschutz beinhaltet. „Aufgrund der Planungshoheit sind die Städte und Gemeinden die wahren Schlüsselakteure beim Flächenmanagement.“ Die kommunale Planungshoheit ist also auch eine Umweltverpflichtung.

„Um die Landwirtschaft im Ruhrgebiet zu sichern, dürfen unsere Flächen nicht weiter in größerem Umfang für Wohnungsbau, Verkehr, Industrie und Gewerbe verloren gehen“, so lautet auch die Forderung der Landwirtschaftskammer NRW beim runden Tisch des RVR zum Thema Bodenschutz: „Bei Planungsentscheidungen sollte so sparsam wie möglich mit diesen fruchtbaren Böden umgegangen werden.“ (Oder geht es manchen Dorstener Landwirten um die „fünfte Fruchtfolge“ durch lukrativen Verkauf ihrer Anbauflächen an Bauwillige?)

Erwogene Klage der Stadt ohne jede Erfolgsaussichten

Die erwogene Klage der Stadt gegen die rechtsverbindlichen planerischen Zielvorgaben des Regionalplanes hat deshalb aus den zuvor genannten Gründen keinerlei Aussicht auf Erfolg, denn die Gesetzeslage ist eindeutig:

• Das Bundesraumordnungsgesetz schreibt im § 2 (2) eine Begrenzung der Flächeninanspruchnahme im Freiraum vor, um die Funktionsfähigkeit der Böden zu sichern. Insbesondere die erstmalige Inanspruchnahme unversiegelter Freiflächen ist zu verringern, durch vorrangige Maßnahmen der Innenentwicklung und Nachverdichtung.

Daraus abgeleitet sieht auch das Baugesetzbuch im § 1(5) vor, dass die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen soll. Die neue Bodenschutzklausel im § 1a(2) schreibt den sparsamen und schonenden Umgang mit Grund und Boden vor. Die zusätzliche Inanspruchnahme von Freiflächen für bauliche Nutzungen soll verringert statt weiter ausgedehnt werden. Und die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlicher Flächen soll begründet werden.

• Im Baugesetzbuch steht der Bodenschutz über allem. Denn im ersten, allem voran gestellten Paragraphen heißt es nicht nur „mit Grund und Boden soll sparsam umgegangen werden“, sondern auch, dass „die Möglichkeiten […] durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen“ sind.

• Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt im § 1 (2) bis (6) ebenfalls die Erhaltung landwirtschaftlicher Böden zur Erfüllung ihrer Funktionen im Naturhaushalt vor. Insbesondere Freiräume im siedlungsnahen Bereich sind zu erhalten und gewachsene Kultur- und Naturlandschaften vor Zersiedelungen und Beeinträchtigungen zu bewahren. Nicht zuletzt das Bodenschutzgesetz schreibt in §§ 1 und 2 die nachhaltige Sicherung der Funktionen des Bodens und die Vermeidung der Beeinträchtigung seiner natürlichen Funktionen vor.

• Der Landesentwicklungsplan NRW verpflichtet die kommunalen Träger der Bauleitplanung, im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes auf eine flächensparende kompakte Siedlungsentwicklung mit der geringstmöglichen Inanspruchnahme des Freiraumes hinzuwirken. Deshalb strebt der Landesentwicklungsplan den Erhalt und die Entwicklung des Freiraumes sowie den Bodenschutz an. Der Freiraum ist grundsätzlich zu erhalten und seine ökologische, soziale und wirtschaftliche Bedeutung entsprechend zu sichern. Der Freiraumschutz hat wesentlichen Einfluss auf das Klimageschehen, so dass sich die Siedlungsentwicklung der Gemeinden innerhalb der regionalplanerisch festgelegten Siedlungsbereiche vollziehen soll. Der 13 Jahre alte Dorstener Flächennutzungsplan geht jedoch darüber hinaus.

Übergeordneter Regionalplan als städtisches Ärgernis ?

Der neue Regionalplan für das gesamte Ruhrgebiet schreibt dementsprechend eine flächensparende und nachhaltige, kompakte Siedungsentwicklung vor und verpflichtet die Träger der Bauleitplanung, Bodenversiegelungen zu begrenzen. Denn seit 2009 ist die Vegetationsfläche im Ruhrgebiet (RVR-Gebiet) um rund 20.000 ha zurückgegangen während die Siedlungs- und Verkehrsfläche zugenommen hat. Insbesondere der Verlust an landwirtschaftlichen Flächen im Ruhrgebiet in einer Größenordnung von über 156 qkm (=15.630 ha) ist enorm; das waren allein zwischen 1994 und 2010 über 1.000 ha pro Jahr. In allen 53 Kommunen des Ruhrgebiets hat die Wohnbaufläche seit 2009 trotz Bevölkerungsrückgangs zugenommen. Zudem sind die Verkehrsflächen für den Straßenverkehr in 52 der 53 Kommunen der Metropole Ruhr am deutlichsten gewachsen.

In der Emscher-Lippe-Region (nördliches Ruhrgebiet) mit ihren fast 400 qkm Siedlungsflächen (= fast 40% der Gesamtfläche) stieg der Flächenverbrauch in den zurückliegenden Jahren um fast 4% auf über 4.400 qm pro Tag (bzw. 4 qm Pro Tag je 1000 Einwohner). Im dichten Siedlungsbrei des Ruhrgebietes gibt es besonders starken Nutzungsdruck auf das nicht vermehrbare Gut Fläche. Trotzdem weist der neue Regionalplan Ruhr des RVR insgesamt über 9.000 ha neue Gewerbe- und Wohnbauflächen (überwiegend im Freiraum) aus, wie die Umweltverbände kritisieren. Doch Städten wie Dorsten scheint das immer noch nicht auszureichen, statt sich an den sehr sinnvollen Nachhaltigkeitszielen des Regionalplanes für flächensparendes Bauen weitsichtig zu orientieren.

Bundesbauministerin:
"Ausreichend Bauland vorhanden ohne zusätzlichen Flächenverbrauch“

Die Bundesbauministerin hat Ende März eine aktuelle Studie nach Befragung von 3.000 Städten und Gemeinden vorgelegt, mit dem Ergebnis: „Es gibt ausreichend verfügbares Bauland in Deutschland für aktuell 200.000 neue Wohnungen, sowohl in ländlichen Gegenden als auch in Ballungsräumen, insgesamt 100.000 Hektar baureife und potenziell bebaubare Flächen. Das Ziel für jährlich 400.000 neue Wohnungen und 100.000 Sozialwohnungen lässt sich erreichen, ohne dabei viel zusätzliche Fläche zu verbrauchen. Wir können es uns ökonomisch und ökologisch nicht leisten, Flächen zu verschwenden.“

Die Ministerin wirbt für eine kluge Nutzung von Brachflächen und Baulücken. In Städten mit besonders viel Nachfrage müsse man auch auf bereits genutzten Flächen bauen. Das bedeute, Gebäude aufzustocken, Dachgeschosse ausbauen und Keller als Souterrain umgestalten, Discounter und Innenhöfe zu überbauen, bebaubare Verkehrsflächen nutzen sowie das Bauen in zweiter Reihe. etc. Die Ministerin: „Land zum Bauen ist genug da. Jetzt kommt es auf den gemeinsamen Willen an, so viel bezahlbares Wohnen wie möglich auf den Wohnungsmarkt zu bringen.“ Bei dichterer Bebauung lassen sich auf den vorhandenen Flächen bis zu 2 Millionen Wohnungen inklusive Sozialwohnungen auch für die Ukraine-Flüchtlinge bauen. Das bedeutet eine Abkehr vom bevorzugten Eigenheimbau für Besserverdiende mit weiterem Landschaftverbrauch allein zu deren Nutzen.

Flächensparendes Bauen laut Regionalplan

Das scheint bei manchen Kommunen wie auch in Dorsten noch nicht angekommen zu sein, die trotz Wachstumsgrenzen einfach mit geradezu borniertem Wachstumsdenken so weiterbauen wollen wie bisher? Die Planungspolitik wäre dann in Dorsten von zukunftsfähiger und ökologisch nachhaltiger Stadtentwicklung weit entfernt. Umweltbelange wie Klimaschutz/Klimaanpassung und der Schutz der Biodiversität dürfen jedoch für neue Siedlungsflächen nicht weiterhin zur Seite geschoben werden. Vielmehr ist jetzt die Kreativität der Kommunalpolitiker und ihrer Stadtplaner zu kompakten Bauweisen gefragt, dazu gibt der Regionalplan Orientierung. Die von der Dorstener CDU vehement eingeforderten Gespräche zwischen Stadt und Regionalplanern sollten deshalb ausschließlich um das Thema Flächenschutz statt Flächenerweiterung geführt werden, um hierzu gemeinsame Problemlösungen zu erreichen.

Unter aktivem Flächenschutz versteht der Regionalplan flächensparendes Bauen durch Aktivierung von Baulücken mit Vorrang der Innenentwicklung bei gleichzeitiger Entsiegelung und Rekultivierung von Flächen sowie vorsorgendem Bodenschutz, indem die Funktionsfähigkeit der Böden erhalten und der Freiraum geschont bleibt. Vor allem sollen landwirtschaftliche Flächen als wesentliche Produktionsgrundlage mit ihrer hohen Wertigkeit erhalten bleiben und vor dem Zugriff durch andere Nutzungen geschützt werden (unabhängig von etwaigen Verkaufsinteressen der Landwirte und Grundbesitzer, als deren Sprachrohr sich die Dorstener CDU offensichtlich versteht).

Aufschrei der Dorstener Immobilienspekulanten?

Dorsten als teure und bei Auswärtigen beliebte Wohnstadt will am Rande des Ruhrgebietes offenbar eine von den übergeordneten Planungsvorgaben abweichende „Extrawurst“. Unter dem Vorwand der mit Wohnraum zu versorgenden Ukraine-Flüchtlinge und des allgemeinen Mangels an bezahlbaren Wohnungen (insbesondere in den großen Revierstädten) sowie eines „angespannten Grundstücksmarktes“ will man in Wirklichkeit weiterhin einkommensstarke Einwohner aus den schrumpfenden Ruhrgebietsstädten zahlreich ins grüne Umland nördlich der Lippe auf überteuerte Baugrundstücke locken. Dies ist auch im Interesse der preistreibenden Immobilienwirtschaft, denn die Spekulanten möchten das schon eingeplante „Bauerwartungsland“ aus dem überholten Flächennutzungsplan allzu gerne profitabel vermarkten angesichts der exorbitant steigenden Grundstücks- und Immobilienpreise. Die Dorstener CDU sollte sich aber nicht zu deren Sprachrohr machen. Denn die fehlenden Sozialwohnungen in den Großstädten lassen sich nicht durch teure flächenzehrende Eigenheime in den ländlichen Randstädten ersetzen, mögen auch viele Auswärtige hier hochpreisige Baugrundstücke nachfragen.

Bei der Aufstellung des neuen Regionalplanes Ruhr - als rechtverbindliche Planungsvorgabe für die Kommunen - befolgt die regionale Planungsbehörde dagegen konsequent die übergeordnete Zielvorgabe von Bund, Land und EU, den anhaltenden Flächenverbrauch für Siedlungszwecke in allen Kommunen zu reduzieren, um die ansonsten gefährdeten Ziele des Klima- und Artenschutzes zu erreichen. Bis 2030 (eigentlich schon bis 2020) sollen alle Kommunen deshalb ihren unverträglichen Siedlungsflächenverbrauch halbieren statt ausweiten und die bauliche Entwicklung im Verhältnis von 3:1 zwischen Innen- und Außenbereich umsteuern. Langfristig ist der Flächenverbrauch für Siedlungszwecke sogar auf netto Null (mittels Flächenkreislaufwirtschaft) zu reduzieren. Das gilt auch uneingeschränkt für die Dorstener Planungspolitik.

Schaffung von bezahlbaren Wohnraum geht auch flächenneutral

Der Naturschutzbund NABU kritisiert den durch die Kommunen ausgeübten Siedlungsdruck auf die Regionalplanung: „Die vorgelegten Planungen schaffen auf dem angespannten Wohnungsmarkt keine Abhilfe, weisen sie doch wieder genau das aus, was in den Städten und Ballungsgebieten, aber auch vielfach in den Kreisen gar nicht gebraucht wird – Einfamilienhaus-Siedlungen auf dem Land statt Mehrfamilienhäuser und Geschosswohnungsbau in der Stadt!“ Dem zukünftigen, unbestreitbaren und überwiegenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum werde die Planung damit in keiner Weise gerecht. Zudem ignoriere sie die aktuellen Erfordernisse und tatsächlichen Entwicklungen systematisch. Nur eine nachhaltige Stadtentwicklung wird den Ansprüchen der Bürger auch in Zukunft gerecht. Die Städte der Zukunft sind kompakt uns schützen Freiräume. Die Bundesregierung hat dafür eigens ein Förderprogramm aufgelegt: „Auf weniger Platz leben“.

Vielleicht sollten sich die Dorstener Kommunalpolitiker einfach mal mit dem Bestseller des Buchautors Daniel Furshop beschäftigen, mit dem Titel: „Verbietet das Bauen – Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß“. Wenn laut Lokalpresse auch der Dorstener Bürgermeister Tobias Stockhoff sich stattdessen nach einer Baudezernenten-Konferenz der Kreisstädte an einer kritischen Stellungnahme des Kreises zum „enttäuschenden“ Vorgehen des RVR (Regionalverband Ruhr) beteiligen will, so verwundert dies auch deshalb, weil der Kreis eigentlich für den Schutz von Natur und Landschaft im Kreisgebiet zuständig ist und nicht dem Siedlungsdruck der Städte nachgeben sollte.

Zersiedelung als Kostenproblem:
„Siedlungsentwicklung muss neu gedacht werden“

Vielleicht sollten sich die Stadt Dorsten und der Kreis Recklinghausen an die Aussagen des NRW-Umweltministeriums halten: „Denn nicht nur aus ökologischer Sicht, sondern auch mit Blick auf den demografischen Wandel und der anhaltenden Krise der öffentlichen Haushalte sind die Kommunen gezwungen, die Siedlungsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte kritisch zu hinterfragen. Die anhaltende hohe Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke stellt ein gravierendes Problem auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung dar.“ Und weiter heißt es aus dem Ministerium:

„Eine weiterhin hohe Inanspruchnahme neuer Flächen auf der „grünen Wiese“ ist angesichts einer Bevölkerung, die nicht nur immer weniger, sondern auch älter und bunter wird, wenig nachhaltig. Der demografische Wandel und eine Ausdifferenzierung der Lebensstile führen gleichwohl zu einer qualitativen Veränderung der Wohnraumnachfrage. Die weitere Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrsfläche außerhalb bestehender Siedlungskerne erweist sich zudem immer mehr als Kostenproblem für die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. Die Kommunen schränken so ihren eigenen Handlungsspielraum massiv ein. Eine auf Vorratshaltung ausgerichtete Angebotsplanung ist für die Kommunen nicht mehr tragbar und auch nicht zukunftsfähig“.

Einfamilienhaus-Neubaugebiete als landschaftszerstörende „Schlafstädte“

Vielleicht schauen die Dorstener Kommunalpolitiker einfach mal in das Schulbuch für die Umweltschulen, dort heißt es: „So fressen sich die Städte in ihr Umland, die Speckgürtel entstehen oder - im Fachjargon: Die Suburbanisierung nimmt ihren Lauf. Neue Wohn- und Gewerbegebiete werden aufgebaut; neue Straßen sind erforderlich, damit die Pendler ihre Arbeitsstätten erreichen; der Verkehr nimmt zu, mit allen Folgen, die das hat. Dabei gehen landwirtschaftlich produktive Flächen verloren, bzw. Lebensräume für Tiere und Pflanzen (das Grün, nach dem wir uns sehnen), werden zerschnitten“. Und für die Kommunen hat das hohe Folgekosten. Viele Kommunen entwickeln Schlafstädte und lassen die Einfamilienhaus-Neubauten sogar bis in den Stadtkern vordingen.

Fehlendes Problembewusstsein?

Ist es das, was die Dorstener Kommunalpolitiker anstreben? Die ehemalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze bemerkte zutreffend: „Flächenverbrauch ist ein schleichendes Problem. Es mangelt am nötigen Problembewusstsein.“ Daran sollten die Dorstener Kommunalpolitiker dringend arbeiten, sonst bekommen sie erhebliche Zukunftsprobleme in ihrer Stadt! Die Zeiten sind vorbei, wo Natur und Fläche in der Landschaft als vermarktbare „Restfläche“ betrachtet wird, die der Mensch bedenkenlos überbauen kann mit Gewerbe- und Wohnanlagen und Straßen – und dafür Natur, Acker und Wald sowie Bäume weiterhin opfern kann.

Erinnert seien die Dorstener „Stadtväter“ hier an einen weitsichtigen Aufruf des Berliner Professors Walter Rossow von 1959 auf einer wegweisenden Tagung des Werkbundes in der Nachbarstadt Marl: „Die Landschaft muss das Gesetz werden. Für Architektur, Stadtplanung und Landesgesetzgebung.“ Schon damals wurden die Landzerstörung und die „Bodengierigkeit“ angeprangert wegen der akuten Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen Erde, Wasser, Land und Luft sowie der Vegetation. In Dorsten werden im 21. Jahrhundert umgekehrt die Regionalplaner und Landschaftsschützer an den Pranger gestellt, die sich für diese Schutzgüter als Lebensgrundlagen in der Stadt einsetzen? Und das ausgerechnet durch diejenige christliche Partei vor Ort, die sich die „Bewahrung der Schöpfung“ auf ihre Fahnen geschrieben hat?

Wilhelm Neurohr, März 2022

Hinweis: Eine Vertiefung zum Thema des Flächenverbrauchs durch kommunale Siedlungspolitik ist der Halterner Flächenstudie des Autors von März 2021 zu entnehmen, die sich auch auf Dorsten übertragen lässt. Als pdf-Datei kostenfrei erhältlich unter Wilhelm.Neurohr@web.de

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

Webseite von Wilhelm Neurohr
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