Der Alltag in der ambulanten Pflege: Mitarbeiter wünschen sich mehr Zeit
Pflege im Minutentakt

Viele pflegebedürftige Dortmunder werden täglich von einem Pflegedienst besucht, der Stadt-Anzeiger begleitete zwei Mitarbeiter.   | Foto: Symbolbild: AST
  • Viele pflegebedürftige Dortmunder werden täglich von einem Pflegedienst besucht, der Stadt-Anzeiger begleitete zwei Mitarbeiter.
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Der Arbeitstag beginnt für Claudia S. und Ralf P. (Namen von der Redaktion geändert) um 5.45 Uhr. Dann finden sich die Krankenschwester und der Altenpfleger-Azubi im Büro eines ambulanten Pflegedienstes in Dortmund ein.

Es folgt die Übergabe, das heißt, sie bekommen Informationen zu den Patienten, ob in der Spätschicht oder beim Bereitschaftsdienst in der Nacht irgendetwas vorgefallen ist, der Patient krank ist oder sogar ein Notarzt gerufen werden musste. Sie nehmen die notwendigen Medikamente, Unterlagen und Schlüssel mit, dann geht es auf die Morgentour.
„Seit kurzem haben wir neue Diensthandys. Auf denen müssen wir uns einloggen, wenn wir mit der Pflege bei einem Kunden beginnen“, erklärt Claudia. Noch müssen sich erst alle an die neue Technik gewöhnen. Sie misst beispielsweise die Zeit, die für die verschiedenen Tätigkeiten vorgegeben ist. Ist sie abgelaufen, dann piept es.
25 Minuten hat die Krankenschwester für die nächste Kundin um kurz vor 7 Uhr. In dieser Zeit muss sie die schwerkranke und bettlägerige Frau im Bett waschen, ihr das Frühstück zubereiten, die Sauerstoffflasche auffüllen, eventuell einen Verband wechseln. All das wird auch vor Ort in die Pflegemappe eingetragen. „Wir gehen rein, und ab da läuft die Zeit. In der Zeitspanne heißt es für die Kundin, wach werden und da zu sein. Wir versuchen, keine Hektik auszustrahlen, doch die Kunden merken das natürlich.“

Hohe Anforderungen

Während Claudia die Patientin versorgt, erzählt Ralf seine Geschichte. Nach einer schweren Krankheit verlor er seine Stelle und macht nun eine Umschulung zum Altenpfleger. „Mir gefällt es gut“, sagt er nach fast zwei Jahren Ausbildung. Insgesamt drei Jahre lernt er den Beruf, „wird dabei fast ein halber Doktor“ wie er scherzhaft sagt. „Das ist viel Fachwissen, das man haben muss, viele anatomische Kenntnisse, Wissen über Ernährung und Hygiene und so weiter. Viele Leute glauben das gar nicht, dass die Anforderungen an den Beruf hoch sind.“

Ambulant ist abwechselungsreich

Nach seiner Ausbildung will er in einem ambulanten Pflegedienst arbeiten. Seine Erfahrungen bei einem Praktikum in einem Seniorenheim waren nicht gut. Die ambulante Pflege findet er abwechslungsreicher. „Da ist jeden Tag was anderes und die viele Fahrerei macht mir nichts aus, die finde ich sogar entspannend. Außerdem lerne ich in der Ausbildung schon viele verschiedene Dinge im Alltag.“
Bei der Morgentour läuft Thomas mit der Fachkraft mit, führt verschiedene Tätigkeiten unter Aufsicht aus. Die Runde geht bis etwa mittags, dann kommt der Mittagsdienst, der in erster Linie mit Insulinspritzen beschäftigt ist und abends die Kunden fürs Bett vorbereitet. So gegen 22 Uhr abends ist dann Schluss für die Pflegekräfte, bis auf die Person, die nachts Bereitschaft hat. Sie kann jederzeit einen Notruf bekommen.

Alles eng getaktet

"Wenn es während der Frühdiensttour einen Notfall gibt, kommt natürlich die ganze Planung durcheinander", erzählt Claudia, "ich muss dann natürlich bleiben bis der Notarzt da ist und die Ersthilfe leisten. Dabei ist alles schon so eng getaktet, dass einfach nichts passieren darf.“ Doch leider sind solche Notfälle nicht so selten.
Für die nächste Patientin sind fünf Minuten vorgesehen. Blutzucker messen, Insulin spritzen, dokumentieren. Die Kundin klagt über morgendlichen Schwindel – Claudia fragt nach. Während Ralf die Kundin versorgt, macht Claudia die Dokumentation. Zwischendrin piept das Handy – die Zeit ist um. Eigentlich müssten die beiden schnell weiter, doch die Kundin möchte noch etwas besprechen. Soviel Zeit muss sich Claudia dann nehmen. Geduldig hört sie zu und versucht das Problem zu lösen.

Pfleger kennen Kunden lange

„Insgesamt mehr Zeit für die Pflege“, würde sie sich wünschen. Dann hätte man auch mal Zeit dafür, zum Beispiel die Einstichstelle der Insulinspritzen näher zu inspizieren. Ist da alles in Ordnung? Oder ist die Stelle am Bauch verhärtet? „Das Zwischenmenschliche bleibt auf der Strecke“, sagt die Krankenschwester. Sie kennt ihre Kundinnen und Kunden zum Teil schon sehr lange, hat eine Beziehung zu ihnen aufgebaut. Das ist anders als im Krankenhaus, wo die Patienten nach einigen Wochen schon wieder weg sind.
„Mein Freundeskreis ist schon sehr übersichtlich“, meint die ausgebildete Krankenschwester. Nach dem Frühdienst ist sie geschafft, macht jeden Tag Mittagsschlaf. Abends ausgehen – das geht höchstens mal am Wochenende.
Die nächste Kundin muss Kompressionsstrümpfe angezogen bekommen. Sie sitzen sehr stramm und reichen bis zum Oberschenkel. Sieben Minuten Zeit sind dafür vorgegeben, inklusive Dokumentation. Sind die Strümpfe neu, oder die Beine stark geschwollen, dauert es länger. Dann verspätet sich die Pflege bei den folgenden Patienten – ein Teufelskreis.

"Ich liebe meinen Beruf"

Dennoch: „Ich liebe meinen Beruf, ich liebe auch die Verantwortung, die ich trage“, sagt Claudia. „Auch das Vertrauen, dass die Leute uns entgegenbringen. Aber manchmal gehe ich auch geknickt nach Hause. Zum Beispiel, als der Ehemann einer Kundin gestorben ist. Die Frau saß in der Wohnung und weinte und ich hatte keine Zeit, sie einfach mal in den Arm zu nehmen und ihr zuzuhören.“
Claudia und Ralf würden sich für die Verbesserung ihrer Arbeit mehr Zeit für die Pflege wünschen: „Die Zeitvorgaben müssten einfach mal realistisch sein. Den Beruf attraktiver machen, etwas besser bezahlen, attraktive Arbeitszeitmodelle anbieten, weniger Stress, den Druck wegnehmen", sagt Claudia. „Aber die Pflege macht mir immer noch Spaß, hört sich vielleicht verrückt an. Man muss da Lust zu haben.“

Autor:

Antje Geiß aus Dortmund-City

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