Selbsthilfe
„Zucker ist mein Alkohol“
Bevor Susanne M. (Name von der Redaktion geändert) im Jahr 2008 zu OA (Overeat Anonymous) kam, brachte sie über hundert Kilo auf die Waage. Sie war unzufrieden, unglücklich, frustriert. Erst nach zwei Schicksalsschlägen, dem Scheitern ihrer Ehe und dem Tod ihres Vaters, fand sie den Weg in die Selbsthilfegruppe. Nach gut einem Jahr Ernährungsumstellung hatte sie ihr Idealgewicht erreicht. 53 Kilo wiegt sie seitdem.
Vorher hatte sie all das absolviert, was Übergewichtige in der Regel versuchen, um abzunehmen: Sie machte unzählige Diäten, mit dem üblichen Jojo-Effekt. „Ich hatte mich dick diätet.“ Schon als Kind fühlte sie sich zu dick, obwohl sie eigentlich normalgewichtig war. „Essen war ein ganz wichtiger Punkt in unserer Familie. Liebe und Zuwendung gab es auch über das Essen. Es war essentiell, dass immer genug Lebensmittel da waren. Der Süßigkeitenschrank war immer gut gefüllt.“
Heute weißt Susanne, dass sie in ihrer Kindheit eine Ess-Störung aufgebaut hat, auch ihre Mutter war immer massiv übergewichtig. „Ich habe gegessen, um traurige Gefühle zu versüßen, habe gegessen, obwohl ich gar keinen Hunger hatte. Als Erwachsene habe ich Schokolade wie Brot gegessen, weil ich unter Strom stand.“ Der Körper gewöhnte sich an die stetige Zuckerzufuhr. „Ich wurde zur Sklavin des Zuckers.“
Nachdem ihr Mann sich einer anderen Frau zugewandt hatte, hat sie gar nichts mehr gegessen, drei Wochen lang: „Ich kam ins magern.“ Dann erzählte ihr eine Freundin vor der Selbsthilfegruppe. „Ich habe mich sofort da zu Hause gefühlt, die hatten eine Lösung zum Abnehmen und dafür, das Gewicht zu halten.“ Endlich gab es eine Bezeichnung für ihren Zustand und einen Ansatz: „Die haben gesagt, dass sie suchtkrank sind.“ Somit konnte sie selbst erkennen, dass sie auch Betroffene ist.
Jeden Freitag ging sie nun in die Selbsthilfegruppe, nach vier Monaten suchte sie sich eine „Sponsorin“, eine Art Coach. Sie lebte wie ein abstinenter Alkoholiker, verzichtete ab sofort und bis heute auf Zucker und Weißmehl. „Ich habe mich für den Weg ‚Messen und Wiegen‘ entschieden.“ Morgens isst sie ein Müsli mit viel frischem Obst, mittags einen Salat, Kohlenhydrate, Eiweiß und gedünstetes Gemüse, Obst zum Nachtisch. Abends gibt es nochmal das Gleiche, nur ohne Nachtisch. „Essen darf ich alles. Aber ich weiß, wenn ich Zucker und Mehl esse, dann werde ich gierig. Deshalb lasse ich das weg. Zucker ist für mich wie Alkohol. Ich lasse auch Alkohol und Nikotin weg, um mich vor der Suchtverlagerung zu schützen“.
Alles was Susanne isst, schreibt sie in ein kleines Buch, wiegt ihre Portionen genau ab. Von ihrer Sponsorin, mit der sie täglich telefoniert, bekommt sie Tipps, Zuspruch und Unterstützung. Man ist nicht mehr allein, man muss das alles nicht mehr alleine meistern, man hat ein tragendes Netzwerk“, erklärt sie. Mittlerweile hat sie gelernt, sich gesund zu ernähren: „Ich musste lernen, mich wieder richtig sattzuessen. Statt vieler Snacks gibt es nun drei richtige ausgewogene Mahlzeiten am Tag.“
Darüber hinaus gibt ihr die Gruppe bestimmte Hilfen an die Hand: Jeden Morgen eine Tagesmeditation, jeden Abend eine Dankesliste für all die Sachen, die gut sind im Leben. „Bei der Esssucht fällt man oft in so ein Denken, dass alles schlecht ist, dass es einem nicht gut geht. Das ist so ein Drama-Opfer-Denken“, erklärt sie. Heute hat sie verstanden: „So wie ich bin, bin ich gut genug. Ich muss nicht perfekt sein.“
Die Selbsthilfegruppen von OA funktionieren nach dem Prinzip der Anonymen Alkoholiker. Sie arbeiten mit den auch dort angewendeten 12 Schritten. Die Gruppen sind offen für Menschen mit allen Formen von Essstörungen. Es gibt keine Mitgliedsbeiträge oder Gebühren, die Gruppen finanzieren sich über freiwillige Spenden. In Dortmund treffen sich die OA donnerstags abends um 19.30 Uhr im Wilhelm-Hansmann-Haus oder dienstags nachmittags um 16.30 Uhr privat. Weitere Infos unter overeatersanonymous.de oder unter Telefon 0176/34635671.
Autor:Lokalkompass Dortmund-City aus Dortmund-City |
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