Ein Mord im Adlerturm?

Neue Erkenntnisse über das Skelett vermittelte Chefarzt Dr. Bernd Dietrich Kotthagen dem „KinderJugendbeirat Museum Adlerturm“. | Foto: Schmitz
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  • Neue Erkenntnisse über das Skelett vermittelte Chefarzt Dr. Bernd Dietrich Kotthagen dem „KinderJugendbeirat Museum Adlerturm“.
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Ende der 1980er-Jahre wurde in den Fundamenten des Adlerturms am Ostwall ein Skelett aus dem Mittelalter entdeckt. Ungewöhnlich ist der Fundort: Wurde der Mensch Opfer eines Mordes? Neue Erkenntnisse lösen einige Fragen, werfen aber auch neue auf.

Mit modernsten Methoden wurde das Skelett nach allen Regeln der Kunst - oder besser: der Wissenschaft - im Städtischen Klinikum untersucht. 3D-Scan, Röntgengerät, Computertomografie – alles kam zum Einsatz. So erscheint der Tote in einem völlig neuen Licht.
„Der Tote ist jünger als gedacht“, erklärt Dr. Georg Eggenstein, Ausstellungskurator und Archäologe. Bisher ging man von einem Lebensalter von 60 bis 65 Jahren aus, aber: „Er wird etwa 25 Jahre alt gewesen sein.“ Das Skelett zeigt keine Anzeichen von Mangelerscheinungen. Der Tote dürfte recht gesund gewesen sein. Er hatte eine Schussverletzung erlitten, die aber vermutlich nicht für seinen Tod verantwortlich war, da sich der betroffene Knochen wieder regeneriert hatte.
Auch das Gesicht konnten die Wissenschaftler rekonstruieren. Der Schädel, der nur zur Hälfte erhalten ist, wurde am PC vervollständigt. Die Zähne sind wenig abgenutzt. Allerdings fehlen die Weisheitszähne. „An der Art, wie die Schädelnähte verwachsen sind, kann man erkennen, wie alt der Tote in etwa war. Auch der Zahnzement hat uns da weitergeholfen. Ähnlich wie bei einem Baum bilden sich dort Ringe mit fortschreitendem Alter“, erklärt Georg Eggenstein.
Besonders auffällig ist der Fundort der mittelalterlichen Leiche. „Es ist rätselhaft, dass sie nicht auf einem Friedhof beerdigt wurde“, so der Kurator. „Das ist sehr ungewöhnlich, besonders im Mittelalter.“ Die Möglichkeit, dass der Mann bei einem Kampf, etwa einer Belagerung, gestorben ist und „vergessen“ wurde, kann der Archäologe ausschließen. „Wir haben zwei Tongefäße und eine Schreibtafel gefunden, die auf eine bewusste Beerdigung schließen lassen.“
Möglich ist, dass der Tote nackt war, da keine Kleidungsüberreste gefunden wurde; auch keine Bestandteile aus Metall. Außerdem wurde er im Bereich der Fundamente gefunden. „Es muss also jemand in den Turm eingedrungen und hinabgeklettert sein, um ihn dort zu beerdigen.“
Der Mann ist aber nicht der einzige Tote im Adlerturm. Es wurde eine dritte Hand gefunden, die aus der gleichen Zeit stammt, aber weit weg vom männlichen Skelett gefunden wurde. „Diese könnte ein so genanntes Leibzeichen sein. Das wurde einem Toten abgenommen, wenn dieser bei einem Prozess „anwesend“ sein musste. Die andere Möglichkeit ist, dass zwei Skelette vergraben waren, und die restlichen Knochen verschwunden sind oder geraubt wurden.“
„Ich halte es durchaus für möglich, dass man ihn nach seinem Tod verschwinden lassen wollte. Vielleicht haben diejenigen, die ihn dort begraben haben, die Gefäße und die Tafel deshalb mit ihm begraben, weil sie nichts übrig lassen wollten, was an ihn erinnern könnte“, so Georg Eggenstein. Möglich wäre durchaus ein Mord; genau so gut kann es aber auch sein, dass der Tote jemand war, der ein Verbrechen verübt hat. Dann wäre er möglicherweise ebenfalls nicht auf einem Friedhof beerdigt worden.
Vielleicht war er auch kein Christ und stand somit außerhalb der damaligen städtischen Gemeinschaft. „Dortmund war Hansestadt, viele Menschen kamen von außerhalb, um hier Handel zu treiben, teilweise von weither“, beschreibt der Archäologe die damalige Situation Dortmunds. Dafür spräche auch das rekonstruierte Gesicht, dessen Form für Europa ungewöhnlich ist. „Wir tippen auf den Orient oder Nordafrika.“ Das wäre auf jeden Fall eine Sensation, so der Kurator weiter. „Er könnte ein fremder Kaufmann gewesen sein, dessen Tod verschleiert werden sollte.“
Also doch Mord? Oder sogar zwei Morde? Fragen, die möglicherweise bald beantwortet werden: Das Museum Adlerturm, das zur Zeit geschlossen ist, wird am 4. November wiedereröffnet. Vorher gibt es schon in der Museumsnacht am 29. September eine Gelegenheit, das Skelett zu sehen.

Autor:

Tobias Weskamp aus Dortmund-Ost

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