Alternativ und selbstverwaltet: Vom Nachbarschaftshaus zum balou

Alternativ und bunt - das war das Nachbarschaftshaus in Wambel. | Foto: balou
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In 40 Jahren hat sich nicht nur in Dortmund viel verändert: 1977 herrschte in der Stadt noch fast Vollbeschäftigung, in der Bundesrepublik eine politische Aufbruchstimmung.

Seit dem Ende von Kohle, Stahl und Bier muss sich Dortmund neu erfinden. Die Schere zwischen arm und reich geht weiter auseinander, Stadtviertel werden zu sozialen Brennpunkten. Aber egal ob arm oder reich: jeder Mensch hat das Bedürfnis sich auszuleben, intensive Erfahrungen zu machen und Freiräume auszuleben, auch wenn das je nach sozialem Status in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen geschieht.

Es lag einfach in der Luft: Viele Dinge einfach mal auszuprobieren, in selbst verwalteten und basisdemokratisch organisierten Kulturzentren, abseits von ausgetretenen Pfaden, das war der Trend.

Im Nachbarschaftshaus in Wambel trafen sich Schreibgruppen, es gab Musikunterricht, Konzerte, Lesungen, Diskussionen, Ausstellungen und mehr. Das war bunt, unorganisiert und manchmal chaotisch. Von Anfang an dabei waren so umtriebige Persönlichkeiten wie Klaus Commer und Leo Lebendig, damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Hans Jürgen Troegel.

„Die Ergebnisse und Auswirkungen der Debatte um eine neue Kulturpolitik kamen im Ruhrgebiet ziemlich verspätet an. In Berlin, Nürnberg, Hamburg, Zürich und anderswo entstanden bereits ab Mitte der 70er freie Kulturzentren – zum Teil aus der Hausbesetzerszene heraus. Dortmund erreichte diese Welle erst Anfang der 80er Jahre. Damals wurden einige heute nicht mehr wegzudenkende Einrichtungen gegründet: das Theater Fletch Bizzel, das Künstlerhaus, das von Dortmunder Musikern, Künstlern und Theatermachern als Arbeitshaus gleichermaßen geschätzte Kulturhaus Neuasseln oder das Nachbarschaftshaus Wambel. Zudem bildete sich der „Dortmunder Kulturrat“ als Zusammenschluss aller Sparten der freien Kulturszene.“ Das schreibt Michael Blatt, Kulturreferent des Jazz-Clubs domicil, rückblickend im Magazin des Hauses zum 40. Geburtstag.

Die Idee des balou, das 1977 als „Nachbarschaftshaus Wambel“ goboren wurde, war von Beginn an, „Räume“ für verschiedene Gesellschaftsschichten und Generationen zu bieten und individuelle Entfaltungsräume zur Verfügung zu stellen. Die Realisierung dieser Idee war nicht immer einfach.

Der ursprüngliche Gedanke eines Hauses, von Menschen für Menschen selbst organisiert und verwaltet zu sein, ist immer noch, trotz aller Änderungen, ein maßgeblicher Baustein für den balou e.V. und für die Idee eines Freiraumes in einer Gesellschaft. Freiräume gibt es nicht ohne Arbeit - sie müssen geschaffen und erhalten, sie müssen erkämpft und verteidigt werden.

Das balou ist zu einem Stadtteilkulturzentrum gewachsen. Etwa 1000 Erwachsene und 500 Kinder besuchen jede Woche die Angebote des Hauses und finden hier interessante Möglichkeiten der Selbstbetätigung. Im Bereich der Erwachsenenbildung ist das Angebot breit gefächert und begleitet das gesamte Leben – Vom Säuglingskurs für Eltern und Babys bis zu speziellen Angeboten für Senioren.

Für Familien gibt es Krabbel- und Spielgruppen, Kinderturnen, Musikgarten und zahlreiche PeKip Angebote. Das Angebot wird ergänzt durch Möglichkeiten der Naturerfahrung für Familien im Rahmen von Exkursionen oder Experimentierwerkstätten.

In der Jugendkunstschule steht für Kinder ab sechs Jahren ein differenziertes Angebot in der tänzerischen, der musikalischen oder der künstlerischen Früherziehung bereit. Die Kinder können verschiedene Bereiche ausprobieren um ihre Begabungen herauszufinden, die dann anschließend vertieft werden können.

Musiker können sich für kleines Geld einen der Musikräume mieten und ihren Unterricht organisieren. Zeichnen und Malen ist ein wichtiger Bereich für den Selbstausdruck bei Kindern und Jugendlichen. Vielen fällt das immer schwerer, weshalb ein Besuch beim Mangakurs, beim Zeichnen und Malen oder bei großem malerischen Interesse in der Malklasse ab zehn Jahren sinnvoll sein kann.

Im Bereich Ballett tanzen Kinder und Jugendliche – von drei bis 21 Jahren, vom Balletfloh bis zur Meisterklasse. Die renommierte Ballettlehrerin Irina Goubernik und ihre Kolleginnen schulen dabei Körper und Geist in Klarheit und Ausdruck. Weitere Angebote im Bereich der „JKS“ sind: Akrobatik, Yoga oder Aikido.

Die Angebote der kulturellen Bildung für Erwachsene bewegen sich auf einer breiten Ebene von Exkursionen zur Documenta, zu den Römern nach Köln oder zur Kaiserpfalz nach Paderborn über eine Schreibwerkstatt beim Autor Sascha Prankschke. Hinzu kommen Nähtreffs, sowie Malerei, Zeichnung und Aquarell. Dort gibt es viele Möglichkeiten der Begegnung und des intensiven kulturellen Austausches mit anderen.

Gesundheit, Bewegung und Fitness prägen in starkem Maße die Vormittag und Abende im balou. Da hört man stampfende Musik beim Zumba, Deep Work oder Piloxing oder eher ruhigere Klänge bei Biogym oder Barre Concept. Das Angebot im Bereich „Bewegung und Fitness“ hält aber auch „Klassiker“ wie „BOP“, Wirbelsäulengymnastik oder Pilates vor. An jedem Tag der Woche, vormittags und nachmittags, können (Fernöstliche) Entspannungsmethoden erlernt werden: (Hatha)Yoga, Tai Ji, Qi Gong, Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung. Als Präventionskurse werden die allermeisten von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst.

Tanz, afrikanisches Trommeln oder ein Gesangsworkshop finden sich ebenso im Programm wie ein PC Führerschein und Gedächtnistraining. Für die Generation 60 + gibt es spezielle Angebote in allen Sparten des Programms.
Ein ganz besonderes Angebot innerhalb des balous bietet Birgit Gahmann mit ihren Tanzkursen im Bereich „Latin“ und orientalischer Tanz. Immer mittwochs findet im Café das sehr gut besuchte „bailar y mas“ statt, ein von der Dortmunder Salsaszene selbst organisierter Tanzabend.

Im Erdgeschoss befindet sich das „café balou“ - ein 300 m² großer Veranstaltungsraum mit professioneller Gastronomie. Das Café ist der zentrale Raum für das Kulturangebot des Hauses. Seit über 20 Jahren wird dort die Galerie balou kuratiert. Als eines der ersten Häuser in Dortmund hat das balou lokalen und regionalen Künstlern eine öffentliche Plattform geboten.

Die Kulturangebote des Cafés reichen vom Kindertheater bis zum Musikfrühstück am Sonntag. Das Café selbst ist nachmittags geöffnet und wird von vielen Familien und Eltern besucht, die auf ihre Kinder warten. Besonders beliebt ist das Café für Privatfeiern. Seit 2016 können dort sogar Ambientetrauungen gebucht werden.

Das balou ist keine große öffentliche Institution mit gesicherter Finanzierung.
Betrieben wird es von einen kleinen Verein. Mit Kultur kann man kein Geld verdienen. Die Stadt Dortmund und das Land NRW fördern das balou, doch 80 Prozent der Kosten muss das balou selbst erwirtschaften. Das macht es nicht leicht, den Blick immer nach vorne gerichtet zu halten.

Das älteste soziokulturelle Zentrum Dortmunds ist auch gleichzeitig heute noch eine der wenigen Kultureinrichtungen, in der jeder Raum zur Entfaltung seiner Fähigkeiten findet.

Autor:

Lokalkompass Dortmund-City aus Dortmund-City

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