Yanis Varoufakis: Unser Nein in 6 Stichpunkten - Wahr oder falsch? Faktencheck zu den Verhandlungen mit Griechenland

"Gewisse Kreise beharren darauf, das Ergebnis der Volksabstimmung mit dem Verbleib des Landes im Euro zu verknüpfen. Sie sagen sogar, ich habe einen geheimen Plan, das Land aus der EU hinauszubringen, wenn für das NEIN gestimmt werden wird. Sie sagen wissentlich die Unwahrheit.", so der Ministerpräsident Alexis Tsipras in seiner Rede an das griechische Volk am 1. Juli 2015.
  • "Gewisse Kreise beharren darauf, das Ergebnis der Volksabstimmung mit dem Verbleib des Landes im Euro zu verknüpfen. Sie sagen sogar, ich habe einen geheimen Plan, das Land aus der EU hinauszubringen, wenn für das NEIN gestimmt werden wird. Sie sagen wissentlich die Unwahrheit.", so der Ministerpräsident Alexis Tsipras in seiner Rede an das griechische Volk am 1. Juli 2015.
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Warum wir für das Referendum ein NEIN empfehlen - in sechs kurzen Stichpunkten:

1. Die Verhandlungen sind festgefahren, weil Griechenlands Gläubiger (a) sich weigerten unsere unbezahlbaren Staatsschulden zu reduzieren und (b) darauf bestanden, dass sie "parametrisch" von den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft, ihren Kindern und Enkeln zurückgezahlt werden sollen.

2. Der IWF, die US-amerikanische Regierung, viele andere Regierungen weltweit und viele unabhängige Ökonomen glauben, - so wie wir - dass die Schulden umstrukturiert werden müssen.

3. Die Eurogruppe hatte vor Kurzem (November 2012) eingeräumt, dass die Schulden umstrukturiert werden sollten, weigert sich aber, sich zu einer solchen Schuldenumstrukturierung zu verpflichten.

4. Seit der Ankündigung des Referendums hat das offizielle Europa Signale gesendet, dass es bereit sei, eine Schuldenumstrukturierung zu diskutieren. Diese Signale zeigen, dass auch das offizielle Europa zu seinem eigenen "finalen" Angebot mit Nein stimmen würde.

5. Griechenland wird im Euro bleiben. Guthaben bei griechischen Banken sind sicher. Die Gläubiger haben die Strategie der Erpressung gewählt, die auf der Bankenschließung beruht. Die gegenwärtige Sackgasse ist auf diese Entscheidung der Gläubiger zurückzuführen und nicht die Schuld der griechischen Regierung, weil sie die Verhandlungen abgebrochen hat oder irgendwelche griechischen Überlegungen zu einem Grexit und Devaluation. Griechenlands Platz in der Eurozone und in der Europäischen Union ist nicht verhandelbar.

6. Die Zukunft bedarf eines stolzen Griechenlands in der Eurozone und im Herzen Europas. Diese Zukunft verlangt, dass die Griechinnen und Griechen am Sonntag laut NEIN sagen, dass wir im Euroraum bleiben und dass wir, mit der von diesem NEIN ausgestatteten Befugnis Griechenlands Staatsschulden sowie die Verteilung der Lasten zwischen den mehr und den weniger Besitzenden neu verhandeln.

Wahr oder falsch? Faktencheck zu den Verhandlungen mit Griechenland

Die Bundeskanzlerin und besonders Vize-Kanzler Gabriel geben sich empört: Wie konnte die griechische Regierung das großzügige Angebot der „Institutionen“ ablehnen? Wo ihnen die „Institutionen“ doch so entgegen gekommen sind und gar keine Kürzungen der Renten gefordert hatten! Warum sind sie mitten in den Verhandlungen einfach aufgestanden und gegangen und haben nicht weiterverhandelt?

Schauen wir genauer hin:

1. "Wir waren doch noch mitten in den Verhandlungen!"

Das ist falsch:

Die Institutionen legten ihr Angebot als "final offer", als letztes Angebot vor (Quelle: reuters). Es wurde am Donnerstag, 25. Juni, vorgelegt und sollte bis Samstag, 27. Juni, 11 Uhr Brüsseler Zeit, gelten. Es wurde dann als "take-it-or-leave-it" Option, als "friss-oder-stirb-Option", an die Finanzminister der Eurozone gegeben (Quelle: FT-Blog).

Die Eurogruppe hat nach der Ankündigung des Referendums in Griechenland im Format 19 minus 1 getagt: Der griechische Finanzminister war nicht eingeladen.

2. "Es wurden keine Rentenkürzungen gefordert" (Juncker: "There are no pension cuts")

Das ist falsch:

Die Institutionen fordern, dass der Zuschlag für Niedrigrenten abgeschmolzen werden soll. Das ist eine Rentenkürzung.

Das Renteneintrittsalter soll auf 67 Jahre erhöht, Frühverrentung erschwert und durch Abschläge bestraft werden. Das ist eine Rentenkürzung.

Die (gekürzten) Garantierenten sollen bis 2021 eingefroren werden. Das ist angesichts steigender Preise eine Rentenkürzung.

Die Krankenkassenbeiträge für Rentnerinnen und Rentner sollen erhöht und alle besonderen Förderungen gestrichen werden. Das ist eine Rentenkürzung.

Die Arbeitgeberanteile an der Rentenfinanzierung sollten nicht wieder auf das Vorjahres-Niveau angehoben werden. Bisher wurden die Renten mit 700 Millionen aus dem Staatshaushalt gestützt. Das soll in Zukunft nicht mehr möglich sein. Das ist – weil die Gesamtsumme nicht steigen kann – eine Rentenkürzung.

Die Institutionen fordern, dass das erste Maßnahmenpaket sofort umgesetzt wird, so dass im Jahr 2016 weitere Einsparungen im Umfang von 1 Prozent des Brutto-Inland-Produktes hinzukommen. Das wären mehr als 1,8 Milliarden Euro, die für die Tilgung von Schulden bei den Renten eingespart werden müssten. Das ist auch eine Rentenkürzung.

Dazu kommt: Innerhalb der letzten fünf Jahre wurden die Renten in Griechenland bereits um fast die Hälfte gekürzt (44 Prozent).

3. "Das finale Angebot der Institutionen war sozial ausgewogen und gerecht", es "nahm Rücksicht auf soziale Härten" (SPD.de)

Das ist falsch:

Eine Sonderabgabe auf Unternehmensgewinne von über 500.000 Euro haben die "Institutionen" nicht genehmigt. Und Subventionen für Heizöl für arme Familien sollen gestrichen werden. Das ist nicht sozial ausgewogen.

Eine soziale Mindestsicherung soll es zwar geben, aber gleichzeitig sollen die Ausgaben für Sozialleistungen um 900 Millionen Euro gekürzt werden. Das kann nicht sozial ausgewogen sein.

Die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst sollen weiter gesenkt werden. Mit einem neuen Gesetz sollen auch Massenentlassungen möglich werden. Es wurde abgelehnt, Gewerkschaften wieder in ihre Rechte einzusetzen und Tarifverhandlungen zuzulassen. Das kann nicht zu sozial gerechten Löhnen führen.

Die Mehrwertsteuer soll erhöht werden. Das ist niemals sozial ausgewogen, weil Menschen mit niedrigem Einkommen prozentual mehr bezahlen.

Steuererleichterungen für die griechischen Inseln – auf denen die Infrastruktur oft schlecht und das Leben härter ist – wurden abgelehnt.

Bisher konnten Bankguthaben bis zu 1500 Euro nicht gepfändet werden. Das wollen die "Institutionen" ändern. Zinsen auf die Rückzahlung von Steuerschulden sollen gestrichen werden. Das ist nicht sozial ausgewogen.

Eine geplante Steuer auf Glücksspielgewinne wird von den "Institutionen" nicht akzeptiert. Wer hat Geld für Glücksspiel?

Dazu kommt: In den letzten fünf Jahren ist das mittlere Einkommen in Griechenland bereits um 40 Prozent gesunken, die Arbeitslosigkeit ist auf 28 Prozent gestiegen und die soziale Ungleichheit ist größer als in den anderen Ländern der Europäischen Union.

4. "Die Vorschläge sollten die Wirtschaft stärken" - das Programm "enthielt ein Wachstumspaket von 35 Mrd. Euro zwischen 2014 und 2020." Sogar die "Möglichkeit einer Schuldenerleichterung im Rahmen eines neuen Hilfsprogramms wurde erwogen".

Das ist falsch:

Die Privatisierung der Energieversorgung und zentraler Flughäfen schwächt die griechische Wirtschaft.

Die Subventionen für Dieselkraftstoff an Landwirte sollen gestrichen werden. Dabei muss Griechenland dringend unabhängiger von Lebensmittel-Importen werden.

Verringerte Mehrwertsteuer-Sätze für Restaurants werden abgelehnt. Das trifft einen der letzten funktionierenden Wirtschaftssektoren.

Vize-Kanzler Gabriel behauptet, dass die "Institutionen" Investitionen in Höhe von 35 Milliarden Euro angeboten hätten. Diese Mittel stammen aber aus dem europäischen Struktur- und Agrarfonds und sind bereits genehmigt. Sie sind nicht Teil der Verhandlungen der "Institutionen". Griechenland hat schon früher Mittel aus diesen Fonds zugesprochen bekommen, kann sie aber nicht abrufen: die notwendigen Eigenmittel können nicht aufgebracht werden. Das wird auch so bleiben. Gabriels großzügiges Investitionsprogramm gibt es nicht.

Verschiedentlich wird behauptet, die "Institutionen" hätten eine Umschuldung angeboten. In den Dokumenten, die der griechischen Regierung vorgelegt wurden und die jetzt öffentlich sind, ist davon nicht die Rede.

Über die Verhandlungen werden viele Mythen verbreitet. Ein Blick auf die Fakten zeigt: Es ist nicht weit her mit dem großzügigen Angebot der "Institutionen". Es gibt nur mehr vom Gleichen: Mehr von einer Politik, die in den letzten Jahren die Wirtschaftsleistung von Griechenland um über 25 Prozent gesenkt hat, die die Schuldenlast verdoppelt hat, die Investitionsrate um über die Hälfte gesenkt hat, die dafür gesorgt hat, dass die Mindesteinkommen heute ein Viertel unter denen von 1984 liegen und dass die Renten von fast der Hälfte der Rentnerinnen und Rentner unter der Armutsgrenze liegen.

Keine Regierung sollte ein solches Angebot annehmen, ohne vorher seine Bevölkerung gefragt zu haben.

Autor:

Carsten Klink aus Dortmund-Ost

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