Nercivan ist angekommen

Seit sechs Jahren lebt Nercivan Yassin Abdullah in Dortmund.
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Vor rund sechs Jahren ist Nercivan Yassin Abdullah aus dem Irak nach Dortmund gekommen, als sogenannter Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling (UMF).

16 Jahre war er damals alt, und das Datum, an dem er hier in Dortmund eingetroffen ist, weiß er noch ganz genau: "Das war am 24. April 2010."

"Damals war die Asylstelle noch in Aplerbeck an der B1", erinnert er sich. "Ich habe sofort eine Betreuerin vom Jugendamt bekommen, ein paar Tage später saß ich schon im Deutschkurs."

Bis zu seinem 18. Lebensjahr lebte Nercivan in einem Haus für minderjährige Flüchtlinge, danach zog er in eine eigene Wohnung. Bis 2013 besuchte er das Paul-Ehrlich-Berufskolleg,machte dort seinen Abschluss. "Meine Lehrer dort haben mir sehr geholfen, besonders Svenja Mörig", erklärt Nercivan.

72 Bewerbungen hat er geschrieben, die letzte von ihnen ging an den Friseursalon "Kamm Back" von Jürgen Tauber in Hörde. "Mein Team hatte mich ausdrücklich gebeten, einen jungen Mann einzustellen", erinnert sich Friseurmeister Jürgen Tauber. "Nercivan hat dann eine Woche hier zur Probe gearbeitet und anschließend seinen Ausbildungsvertrag bekommen."

Nun hat er seine Ausbildung beendet und seine Freisprechung zum Jung-Gesellen in der Tasche. Jürgen Tauber übernimmt ihn in seinem Salon: "Nercivan hat bereits seinen festen Kundenstamm, er arbeitet sehr viel im Herrenbereich. Modische Kurzhaarschnitte und Nassrasuren gehören dazu, außerdem kann er Augenbrauen mit Bindfäden zupfen", erklärt Jürgen Tauber.

Er ist mit Nercivan mehr als zufrieden: "Ich würde das jederzeit nochmal so machen. Man sollte als Arbeitgeber keine Scheu vor Migranten oder Flüchtlingen haben." Mit der Zeit ist das kleine Team im Salon um Jürgen Tauber und Friseurmeisterin Michelle eine Ersatzfamilie geworden: " Michelle und Herr Tauber haben mir bei vielen Dingen geholfen, beim Lesen und Schreiben, wenn ich irgendwo mal nicht weiter kam." Alle zwei Wochen geht Nercivan mit seinem Chef am Wochenende auf Radtour, dann fahren sie für ein paar Stunden durch die nähere Umgebung.

Nercivan ist schon stolz auf seine Leistung: "Ich mache hier alles ganz alleine, bin komplett selbstständig. Von 25 Flüchtlingen, die ich kenne, bin ich der einzige, der eine Ausbildung gemacht hat. Von nix kommt nix, man muss selber was tun!"

Von Anfang an hat er sich hier umgetan, hat mit Hilfe von Radio, Internet und Fernsehen Deutsch gelernt. "Ich habe mich immer um alles selbst gekümmert, habe geguckt, dass ich pünktlich zu Terminen kommen, schon mit 16 Jahren."

Seine Mutter ist neben einem Onkel seine noch einzige lebende Verwandte im Irak. "Wir telefonieren zweimal in der Woche." Zurück in den Irak, das will Nercivan nicht: "Ich habe mir hier etwas aufgebaut, im Irak würde das sehr schwierig werden" - nicht nur, weil Nercivan Kurde ist.

"Einfach so in den Irak reisen, das geht nicht", doch herkommen wird seine Mutter nicht. "Ich vermisse meine Familie", sagt Nercivan. Was er im Irak und auf seiner Flucht hierher alles erlebt hat, darüber spricht er nicht gerne. Doch: "Jemand hat mir gesagt, ich soll boxen, als Therapie. Das mache ich jetzt, ganz für mich allein zuhause."

Zu seinen Landsleuten und anderen Flüchtlingen hat er weniger Kontakt: "Ich habe mehr deutsche Freunde. Ich möchte die deutsche Sprache so gut lernen wie meine Muttersprache." Dabei hat Nercivan schon viele "Muttersprachen": Er spricht arabisch, kurdisch, persisch, türkisch und und nun auch deutsch. Mit der deutschen Sprache musste er auch noch ein neues Alphabet lesen und schreiben lernen.

Für die Zukunft hat er einige Pläne: "Zunächst möchte ich hier weiter arbeiten, und mir eine Wohnung hier in der Nähe suchen. Dann würde ich gerne meinen Meister machen und eines Tages vielleicht einen eigenen Salon aufmachen." Sein Status hier ist geregelt: "Ich habe eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, 'Niederlassungserlaubnis' heißt das ganz genau."

Mit seinen Sprachkenntnissen will er anderen Flüchtlingen helfen: "Ich könnte für andere ehrenamtlich übersetzen. Deutschland hat mir so viel gegeben, das würde ich gerne zurückzahlen." Und einen Teil davon hat er schon geleistet: Vor kurzem gab es im Salon von Jürgen Tauber eine Frisier-Aktion für Flüchtlinge. Sie bekamen hier kostenlos die Haare geschnitten, natürlich hat auch Nercivan dabei mitgeholfen.

Für andere Flüchtlinge und Migranten hat er noch ein paar Tipps parat:

"Das Allerwichtigste ist Deutsch lernen und auch sprechen. Dann als zweites nicht auf die Hilfe andere warten, sondern selber was machen, und als drittes den deutschen Pass beantragen. Mit der deutschen Sprache kann man hier alle Türen öffnen!"

Autor:

Lokalkompass Dortmund-City aus Dortmund-City

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