Die Verteidigung der Missionarsstellung und der Karneval

Ich liebe Karneval – im Ernst,
weil dann nicht auffällt, dass ich so lustig bin.

Ein tiefer Blick in die Verkleidungskiste gibt den Weg in den siebten Himmel frei: auf Engelsflügeln aus Zeiten, in denen die süßen Töchter es noch darauf absahen ihre Eltern zu verzaubern, mehr als die jungen Herren. Eine Minileuchtkette lässt graue Haare gülden erscheinen. Die weiße Federboa komplettiert das Bild.

Die Stimmung ist gut. Man kreischt, wenn man sich ausgerechnet an Karneval, ein Jahr später, hier am selben Ort wieder trifft. Was für ein Zufall! Mädels kneifen sich gegenseitig in den künstlichen Busen, heute herrscht Narrenfreiheit. Ich erhebe strafend, schelmisch meinen Engelszeigefinger und trinke mir erst mal ein Bier. Es ist schrill, laut – ich mag sowas, und finde es tatsächlich amüsant.

Je mehr ich schwitze, umso exotischer riecht meine Federboa. Macht aber nix, weil der Sträfling neben mir gerade einen hat ziehen lassen. Protest vermutlich, so wie die ganze Veranstaltung. Gegen den Alltag. Gegen die Langeweile. Gegen Spießbürgertum.
Oder einfach nur der Duft der großen Freiheit.

Die Musik bewegt sich in verschiedener Hinsicht zwischen Sodom und Gomorra. Es tut mal gut so ausgelassen zu sein. Wir heben die Hände zum Himmel, holen die Lassos raus und lassen die Karawane weiterziehen, weil der Durst so groß ist. Es ist wie immer. Wir tun hemmungslos genau das, was von uns erwartet wird.
Der Kellner kann nicht rechnen. Zumindest rechnet er zu späterer Stunde nicht mit meiner Trinkfestigkeit und versucht mich um mein Wechselgeld zu bescheißen. Ausgerechnet einen Engel.

Ich mag Klaus. Er hat mir im vergangenen Jahr gesagt wie toll er mich findet und geizt auch heute nicht mit Komplimenten. Keine Frage: Klaus ist mein Star des Abends. Zeig doch mal die Möpse grölen alle mit, und weil ich zu fortgeschrittener Zeit nicht mehr darüber diskutieren will, wie viel zwanzig Zentimeter sind, weiß ich, wann es Zeit ist zu gehen.
Ich lasse mir vom Rausschmeißer galant die Jacke überwerfen, die ich gerade eben noch in einem Haufen von hell- bis dunkelschwarzen Kleidungsstücken als mein Eigentum identifizieren konnte. Dann setze ich mich auf mein Rad und fliege Richtung Zukunft durch die Nacht.

Überraschend frisch werde ich am nächsten Morgen wach. Deshalb tue ich so, als hätte ich zu viel gefeiert und gönne mir eine ausgedehnte Auszeit auf der Couch. Ich nehme mir Wolf Haas vor – ein Buch, das ich an diesem Tag nicht mehr aus der Hand lege, bis auch das letzte Wort gelesen ist. Am Ende weiß ich, dass der Anfang immer am leichtesten ist und dass sich die Verteidigung der Missionarsstellung tatsächlich lohnt.

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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