Der Duft der Liebe - über die Magie der Gerüche...

An die Weihnachten der Kindheit erinnerte Greta sich gerne. Sie hatte keine Geschwister, war viel alleine mit sich beschäftigt das ganze Jahr über, wenn es zu kalt war, draußen mit den anderen zu spielen. In die Häuser anderer Leute durfte sie nicht gehen – und im Gegenzug dazu auch keine Kinder mit nach Hause bringen.

Aber an Weihnachten war alles anders. Da kam die Familie zusammen. Die Eltern fuhren abends mit einem Pferdegespann ins Nachbardorf zu den Großeltern zum Feiern der heiligen Weihnacht. In warme Decken eingehüllt saß Greta mit Mutter auf dem offenen Kutschwagen, und ließ sich von ihr den runden Mond und die Sterne erklären, während der Vater auf dem Kutschbock saß und die Pferde antrieb.

Die Ankunft auf dem Bauernhof war ein Ritual. Der Großvater kam auf Greta zu gelaufen, nahm sie auf den Arm und schwenkte sie durch die Luft, als sei sie ein kleines Flugobjekt. Greta genoss es und lief zu Oma, den beiden Onkeln, den Tanten und wußte, sie würde nun die kommenden drei Tage nur geliebt und verwöhnt.

In der Küche beim Abendessen war sie aufgeregt, wußte sie doch, was bald nach dem Abendessen geschehen würde: Ein leises Glöckchen erklang im großen Eßzimmer und Mamas Stimme rief: „Das Christkindchen war da.“ Aufgeregt durfte Greta als Erste den großen Raum mit den dunklen Jugendstilmöbeln betreten, der nun glanzvoll erhellt war durch die riesige hohe Tanne, die voll gesteckt war mit duftenden brennenden Wachskerzen, die sich in der silbrig geschmückten Dekoration widerspiegelten. Jahr für Jahr wurde der Baum immer wieder geschmückt mit silbernen selbstgebastelten Sternen, silbernen zarten Weihnachtskugeln und silbrigem Lametta.

Wie jubelte das Mädchen, als es unter dem Baum die Puppe entdeckte, die sie sich so sehr gewünscht hatte. Die Pucki-Bücher entlockten ihr einen Entzückensschrei und sie wurde nicht satt davon, sich zu freuen über die vielen schönen Geschenke. Behütet fühlte sie sich in diesen Momenten, behütet und geliebt, wie eine kleine Prinzessin.

Dann wurden Weihnachtslieder gesungen, Geschichten erzählt von früher und in den kommenden drei Tagen war die gesamte Familie unter einem Dach versammelt und man spielte Spiele zusammen, machte kleine Spaziergänge, aß erlesene Speisen und trank vollmundigen Wein. Die Herren namen zum Dessert einen Kognak mit einer Zigarre dazu und das Haus duftete nach Leben, Liebe und Geselligkeit.

Viele Jahrzehnte später lief Greta bei eisiger Kälte über einen Weihnachtsmarkt in Brüssel. Sie hatte hier dienstlich zu tun, würde wohl an diesem Jahr zu Weihnachten arbeiten an einer neuen Projektaufgabe für einen großen belgischen Konzern und das war ihr sehr recht. Sie wollte mit Weihnachten nichts zu tun haben. Ihr Lebensgefährte hatte eine ähnliche Einstellung – als Heidenkind aufgewachsen, kannte er weder Weihnachten noch Nikolaus und ihm waren diese christlichen Feste eher suspekt. Sie schienen ihm wie süßer Klebstoff, mit dem das Volk eingelullt werden sollte in Zuckerwatte, damit es nicht auf die Idee komme zu rebellieren.

Ja, es war schon gut, das sie sich einig waren, kein Weihnachten zu feiern, dachte Greta, während sie schnellen Schritts über den Weihnachtsmarkt zu Brüssel eilte, um ihren Weg ins Hotel abzukürzen.

Mehr zufällig fiel ihr Blick auf einen Stand, auf dem groß geschrieben stand: „Weißer Glühwein aus Elbling – nur mit Zucker gesüßt.“ Sie hielt bei dem Wort „Elbling“ einen Moment inne. Elblingwein hatte ihr Vater angebaut und zu Hause gab es im Winter immer Elbling-Glühwein, nur mit Zucker gesüßt. Erinnerungen wurden wach an Mama und Papa – an die Zeit, wie sie die ersten Fernsehabende im Winter verbrachten mit Elbling-Glühwein und frischem Gebäck, in dem sich alle Ingredienzen des Orients befanden. Ach, war das schön ! Es waren so gemütliche Abende im Kreis der Familie, wo man sich geborgen fühlte und Worte, wie „mobbing“ oder „burn-out“ ein größtes Erstaunen hervorgerufen hätten. „Hä, watt is datt denn ?“

Sie wußte heute sehr gut, was das ist. Als Vorstandsmitglied einer großen IT-Firma mit Reiseaufträgen von Asien bis USA kannte sie weder Feierabend noch geregelte Wochenendfreizeiten. Sie hatte sich zu sehr mitreißen lassen von der Idee, unersetzlich zu sein.

Aber dieser Duft, der vom Stand her in ihre Nase wehte, der ließ sie für einen Moment vergessen, wer sie war. Sie nahm Platz an dem Stand und bestellte einen Glühwein. Lange hielt sie die Nase in die Tasse, schnupperte die Vergangenheit herbei – spürte die Gemütlichkeit und die Behaglichkeit durch ihre Adern rinnen mit jedem Schluck....

Als sie Stunden später nach gefühlten vielen Glühweinen mit einer Schachtel Poffertjes in der Hand in Richtung Hotel schlurfte, hatte sie ein feines Lächeln im Gesicht, das nun noch mehr glühte, als der Wein zuvor.

„Ich werde es wieder machen“, sagte sie still vor sich hin. „Dieses Jahr werde ich es wieder machen.“

Am anderen Morgen ließ sie sich bis auf weiteres krank schreiben, packte ihre Utensilien, fuhr nach Hause in ihre elegante Maisonette-Wohnung und eröffnete dem Liebsten: „Dieses Jahr wird hier Weihnachten gefeiert, mit Baum, mit Geschenken, mit Kognak zum Dessert und mit Zigarren.“ Der rebellische Liebste spürte, das jeder Widerstand hier zwecklos gewesen wäre und ergab sich sehr schnell. „Ja, meine Liebste“, sagte er gut gelaunt, „Samstag fahren wir eine Tanne kaufen !“

Der Duft der Heimat war Auslöser für eines der schönsten Feste, das Greta und ihr Liebster in ihrer beider Zusammensein feierten. Ein Fest, wie es Greta seit dem Heimgang ihrer Lieben nicht mehr haben wollte und das nun so viel Wärme in ihr schon fast erkaltetes Buisiness-Herz brachte, das sie ihre Dauerpräsenz für die Firma nochmal tüchtig überdachte.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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