Hedwig und das Möwenspektakel

Als Hedwig von der Queens Parade zu deren 60. Thronjubiläum via Dover mit der guten alten Fähre zurückreiste nach Calais, setzte sie sich selbstverständlich auf das zugige Oberdeck, weil sie sich erhoffte, von den frischen Meeresbrisen eine Kurzgesundheit für die Lunge zu erhaschen. Sie trug wie immer zu besonderen Anlässen ihre Vogelscheuchenkleidung – so nennt sie das Outfit, das sie als gewogene und für sich zu stark befundene Mittelstandsfrau auszeichnet, da sie hiermit geschickt ihre Rundungen verdeckt.

Über der schwarzen Pluderhose hing ein langes weites schwarz-weißes Kleid und hierüber eine schwarze Tunika. Über dem ganzen Innenoutfit hing eine legere leichte Jerseyjacke und um den Hals ein riesiger roter Schal. Kaum auf dem windigen Oberdeck angelangt, blies der Wind unter sämtliche Kleidungsstücke und blähte Hedwig optisch derart auf, das sie ausschaute, wie das Michelin-Männchen und somit schon zur allgemeinen Erheiterung der sportlichen JeansträgerInnen sorgte.

Das machte ihr aber weiter nichts aus, denn sie freute sich, zumindest auf der Rückreise noch in den Genuß eines echten englischen Sandwiches zu kommen. Während sie nun dieses Sandwich gemächlich verspeiste zum Cappuchino Massimo, sah sie mit großem Erstaunen, wie zwei Möwen nahe über der Reling in der Luft zu stehen schienen, weil liebe Kinder ihnen ständig ein Häppchen reichten. An die fünfzig Passagiere hatten daran eine große Freude und filmten dieses Naturereignis mit Handys und Kameras.

Hedwig wollte auch einen Beitrag leisten zur Möwenfütterung. Und während die Fotografen sichtlich angespannt ihre Stellung hielten und alles höchst sensibel auf Platte bannten, warf sie ein Stück von ihrem Sandwich zu den Möwen hin. Allerdings hatte sie nicht mit der Kraft des Sturmes gerechnet, der das Stück Brot sofort in weiteste Fernen geweht hatte. Für die Möwen war dies das Zeichen zum sofortigen Aufbruch.Eilig flatterten sie davon, um sich das Stück Brot zu ergattern.

Ein lautes enttäuschtes "Ohhhh..." und "Aaach..." ging durch die Menge und alle schauten verzweifelt auf die aufgeplusterte Dame in schwarz-weiß, die es nicht glauben wollte, was sie da angerichtet hatte.

Hedwig überlegte nun, wie sie den Schaden wieder gutmachen könne. Da fiel ihr ein, das sie in ihrer Tasche 10 Schachteln Sushi-Röllchen hatte – frisch gekauft in Soho/China-Town für einen kleinen Willkommensumtrunk in ihrer Wohnung. Sie dachte kurz nach und kam zu dem Entschluß, alle Röllchen hier und jetzt den Möwen zum Fraß anzubieten.

Zum Erstaunen aller auf Deck versammelten Passagiere nahm sie eine Schachtel nach der anderen aus der großen Tasche, klaubte jedes Sushi-Röllchen einzeln heraus, spukte kurz auf den Klebereis und pappte die Sushiröllchen rund um das Hinterdeck auf die Reling. Auf der gesamten Reling war nun unerwarteterweise ein großes Festmahl angerichtet für die Möwen.

Es kamen plötzlich unendlich viele Möwen angeflogen und krächzten, lärmten, scheuchten einander weg, ließen einander auch wieder los angesichts der reichhaltigen Tafel, standen in der Luft, schauten sich die Sushiparade an, schnappten zu, flogen weg, kamen wieder.

Kinder und Erwachsene nahmen die Sushiröllchen zum Teil in die Hand um die Möwen persönlich zu füttern. Die fotografierenden Touristen gerieten außer Rand und Band, lachten, filmten, freuten sich und ein kleines englisches Mädchen, das den Möwen unaufhaltsam die kleinen California-Rolls auf der Hand servierte, rief immer wieder den Möwen zu „I love you, I love You !“

Die Passagiere applaudierten – alle schauten wohlgefällig auf Hedwig, deren Kleidung sie dank des von unten kommenden Windes in eine schwarz-weiße aufgeblühte Tulpe verwandelt hatte und während sie noch „thank you, thank you !!“ riefen und die Kameras auf sie richteten, hob Hedwig ab und flog mit den Möwen in die Unendlichkeit der lächelnden Wolken.

Das kleine englische Mädchen warf Hedwig voller Dankbarkeit noch eine Banane hinterher und schrie „That is for you my lovely Lady !“ Und die aufgeplusterte fliegende Hedwig schnappte doch tatsächlich unter donnerndem Applaus der Teilnehmer dieses ungewöhnlichen Spektakels dankbar nach der Banane.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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