Hedwig und die Tauschgeschäfte

Hedwig hatte die Idee, im warmen Spätherbst zwei Freundinnen zu einer Autofahrt einzuladen an die wunderschöne Obermosel. Die Reise startete in ihrem Wohnort Köln – es waren an die 250 km zurückzulegen quer durch die Eifel, die im Herbst im matten Licht erstrahlt und auf Grund der gedämpften Farben schon die Autofahrt zu einem Vergnügen macht.

An der Mosel angekommen, lud Hedwig ihre Freundinnen in ein lukullisches Weinlokal zum Essen ein. Es soll hier nicht verschwiegen werden, das es Koteletten gab vom Jungschwein mit Saubohnen und einem hervorragenden Kartoffelpüree, frisch zubereitet. Obwohl alle drei Frauen Vegetarierinnen waren, erinnerten sie sich an ihre heimatlichen Speisen der Kindheit, die allesamt mit Fleisch gespickt waren und so gingen die Vegetarierinnen „fremd“ und schmausten, was das Zeug hält. Ein tiefer Schluck aus dem Weinglas mit dem gekühlten Muschelkalk ließ die Zunge jubilieren und ein kleiner Trester nach dem Essen beruhigte den Magen.

Die Nacht verbrachten sie in einer kleinen Dorfgaststätte für einen kleinen Preis, da Hedwig die Wirtsleute gut kannte. Seit Jahren verbrachte sie ein Wochenende im Frühherbst in diesem Dorf und wußte, wo man gut einkehren konnte.

Bei dem ausgedehnten Spaziergang am anderen Tag kam eine der Freundinnen auf den Benzinpreis zu sprechen. Sie wollte sich am Sprit beteiligen und Hedwig meinte, sie solle gerne grob ausrechnen, was durch drei zu teilen sei. Sie wolle sich darüber weiter keine Gedanken machen.

Bärbel, eine versierte Autofahrerin, konnte auch schnell errechnen, das auf rund 500 km ca. 35 liter Sprit anfallen, die grob gerechnet rund 70,- Euro kosten und geteilt durch drei würde das für jeden ca. 23,- Euro machen – also wären sie und die Freundin gut bedient, wenn jede 25,- Euro spenden.

Für Hedwig war das in Ordnung, hatte sie doch auch das fulminante Mahl schon spendiert, weil sie sich freute über die Gesellschaft.

Gisela, die andere Freundin, machte Hedwig jedoch einen Vorschlag, der diese zum langen Nachdenken anregte. Hierzu muß man sagen, das Gisela seit Jahren in einer Tauschbörse aktiv ist, die sich zur Aufgabe gesetzt hat, weitestgehend auf Geld zu verzichten und gegenseitige Hilfen durch gegenseitige Hilfen zu begleichen.

Giselas Vorschlag an Hedwig lautete nun folgendermaßen: Sie würde ihr fünf Gläser Marmelade schenken für den Sprit – es handele sich hierbei um eine von ihr selbst eingekochte Erdbeermarmelade, die absolut biologisch sei, da die Erdbeeren aus dem Bioladen stammten. Auch der Zucker sei aus dem Bioladen und ein Glas habe den Wert von umgerechnet acht Euro, weil man ja noch die Arbeitszeit mit dazu rechnen müsse. Fünf mal acht Euro seien 40,- Euro und Hedwig könne ihr vielleicht freundlicherweise dann noch 15,- Euro zurück geben, dann seien sie quitt.

Die Damen wanderten weiter durch die Weinberge und Hedwig wurde sehr still. Sie weigerte sich, nachzudenken, wollte den schönen blauen Himmel genießen und den Duft der heranwachsenden kleinen Träubchen. Aber immer wieder kam ihr die Marmelade in den Sinn und sie erinnerte sich, das sie im Grunde genommen nie Marmelade aß.

Dann kam ihr eine Idee - „Niemand von Euch zahlt mir was. Ich will weder Geld noch Marmelade für die Fahrt. Ich lade Euch ein !“, so sprach sie in ihrer Hilflosigkeit, weil sie einfach keine Marmelade haben wollte für Sprit.

Das ließ Bärbel allerdings nicht zu - „Quatsch, du hast uns hierher gefahren, du hast uns einen wunderschönen Tag bereitet und uns zum Essen eingeladen – selbstverständlich zahlen wir Dir den Sprit !“

Und selbst Gisela sah ein, das sie wohl zu weit gegangen war in ihren Berechnungen und bot Hedwig nun die fünf Gläser Erdbeermarmelade an zum Preis für 25,- Euro – sie wolle wirklich nicht noch 15,- Euro zurückhaben, nein, die wolle sie ihr schenken.

In Hedwig fing irgend ein kleiner Teil an zu kochen. „Leck mich doch mit deiner Marmelade“, dachte sie zornig und brachte es fertig, der Frau zu sagen: „Gut, her mit der Marmelade !“

Gesagt, getan: Gisela zog aus ihrem Rucksack fünf kleine Gläser Erdbeermarmelade, ihren Obulus für die Fahrt und drückte sie mit einem freundlichen Lächeln der Hedwig in die Hand.

Beim Auto angekommen, drehte Hedwig eiskalt den Tankdeckel auf und schüttete zum Entsetzen der beiden Frauen die fünf Gläser Erdbeermarmelade – eines nach dem anderen – in den Tank. Dazu bedurfte es keiner großen Mühe; die Marmelade war flüssig wie Saft und rot wie Diesel, war sie doch mit Biozucker gekocht und demzufolge nicht steif.

Dann öffnete sie mit Leichenbittermiene die Türen und sagte „Bitte, auf Eure Verantwortung !“ und nahm hinter dem Lenkrad Platz.

Eine nicht enden wollende Fahrt durch die Eifel nahm ihren Lauf. Das Auto rülpste, furzte, stockte, fuhr dann wieder mal wie ein springender Bock mehrere Meter nach vorn, sprang tatsächlich über eine Ampel, blieb dann wieder stehen, um so gleich mit 100 stundenkilomenter durch die nächste Ortschaft zu jagen. Die Erdbeermarmelade hatte es dem kleinen Fiat Panda wohl angetan. Er wieherte wie ein Pferd, grunzte wie ein Schwein und machte, was er wollte. Und das schönste war, aus dem Auspuff quollen rote Dämpfe in Form von Erdbeeren und Himbeeren – und mittendrin ein wenig Rhabarber – auch dunkelblaue Pflaumen zeichneten sich ab. Es war ein Gemisch von Obst, was da hinten aus dem Auspuff raus kam, was die Welt noch nicht gesehen hatte.

Nach ca. fünf Stunden waren sie wieder in Köln angelangt und Hedwig verlangte nun von Gisela 25,- Euro Bargeld mit dem Bemerken: „Selbst bei der Marmelade hast Du mich noch betrogen, Du Metze ! Sie war weder steif, noch reinrassig aus Erdbeeren hergestellt. Es war eine widerliche Mixtur von verschiedenem Obst, ungenießbar für Menschen und ungenießbar für den kleinen Panda ! Nie wieder werde ich mit dir an die Mosel fahren !“

Das Gisela ihr weinend weitere drei Gläser Marmelade aus ihrem alten Rucksack schenkte mit einigen welken Möhren dazu, konnte sie nicht versöhnen. Erst als Bärbel mit ihrer ausgleichenden Art meinte, im Rheinland sei jeder Jeck anders und jeder sei anders jeck, kam Hedwig wieder auf dem Boden der Tatsachen an und meinte: „ja, so iss et möchlicherweise“ und sie schaffte es, der Gisela zu verzeihen und ihr einen freundlichen Abschiedskuss in die Luft gehaucht auf die Wange zu verpassen.

Dann setzte sie ihre Heimfahrt nachdenklich fort und dachte darüber nach, wieviel Gläser Marmelade sie wohl einwecken müsse für eine Fahrt nach Amsterdam.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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