Von Arschfrauen und anderen sozialen Netzwerken

„Du blöde Arschfrau!“
Ich stehe an der Rutsche auf dem öffentlichen Spielplatz und wundere mich, dass das Kind, dem diese Worte entstammen überhaupt schon sprechen kann.
„Hallo!“ sage ich „Und wer bist Du?“
„Dumme Kuh.“ Damit relativiert sich die vorherige Aussage von selbst.

Die Kleine gefällt mir. Vielleicht liegt es daran, dass sie in Worte fasst was ich fühle.
Ich bin hier als 42-jährige Mutter eines Nachzüglers. Ich komme mir fehl am Platz vor, weil mein Kleiner extrastarke Pfefferminzbonbons gegen Raucheratem von seiner großen, großen Schwester lutscht, anstatt Vollkornringe von Saitenbacher zu knabbern.
Er guckt Schloss Einstein („Alles ist, alles ist, relativ normahal…“) mit seiner kleinen, großen Schwester. Damit hat er, anders als andere Kinder seines Alters Sandmännchenverbot. Das Fernsehkontingent für den Tag gibt das nicht auch noch her.
Und ich schäme mich ein wenig, dass ich meinem Kind keine Banane auf’s Klettergerüst reiche, die nach dem zweiten Bissen in den Sand fällt und dann so lustig gepudert aussieht.

Wir kommen ohne Sandspielzeug, weil mein Mann und ich gerade froh waren, dass das Garagentor wieder ganz normal auf und zu ging, als sich die Kinderüberraschung ankündigte. Mein Sonnenschein zeigt großes Interesse an anderen Kindern und ihrem Spielzeug.
Es ist nur etwas kompliziert geworden, seit er in der Spielgruppe das Wörtchen „meins“ gelernt hat.
Ich war zwei Mal dort zum spielen, dann hatte ich das Gefühl, dass die anderen Mütter mich leise „blöde Arschfrau“ nannten, worauf ich sie innerlich als „dumme Kühe“ bezeichnete.

Die Kleine auf der Rutsche gefällt mir. Ich sollte meine Gefühle relativieren.

Als ich nach Hause komme, erzählt mir meine Große begeistert, dass ich mir unbedingt das Video vom skatepark in unserem Ort auf youtube ansehen muss.
Ich gebe bei youtube den Namen meiner Stadt ein und gelange irgendwie in eine Auswahl von Handyaufnahmen, die Jugendliche namens „Dennis“, „Steven“ und „Dimitri“ nach überreichlichem Alkoholverzehr vornübergebeugt in den gepflegten Grünanlagen zeigen, wie sie ihr Innerstes nach außen kehren.

„Was müssen das für Freunde sein, die ihre Kumpels in dieser Unpässlichkeit filmen, um das der Öffentlichkeit zu zeigen?“ frage ich mich, verdränge die Gedanken an Arschfrauen und dumme Kühe und klicke mich weiter zu den Aufnahmen vom skatepark.
Auch hier vornübergebeugtes Jungvolk, allerdings atemberaubend, beeindruckend über BMX Räder und hohe Rampen.
Alles ist relativ. Eine Frage der Anschauung sozusagen.

Aber ich will nicht Freunde „Freunde“ nennen müssen, die ausgerechnet diesen Begriff relativieren.
Obwohl: Ich könnte mir durchaus vorstellen eine gewisse kleine, „dumme Kuh“ zu meinen neuen Freunden zu zählen.
Im sozialen Netzwerk sind Worte meine Freunde.
Und so bin ich jetzt erst einmal hier gelandet.
Ob hier wortverliebte Arschfrauen ein neues Zuhause finden?

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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