Weinernte-Träume

Die Weinernte an der Mosel ist abgeschlossen !
Die weißen Elblingtrauben und die roten Dornfeldertrauben sind nun in den Fässern abgefüllt und über dem Dorf hängt ein Duft von Trauben, Maische und weit geöffneten Weinkellern.

Der Abschluß der Weinernte wurde heute gefeiert mit dem „Hahn“. Auf die letzte Bütte Trauben auf dem Anhänger wird ein Stab gesteckt mit bunten Papierfahnen und bei der Fahrt durch das Dorf wissen alle: „Deei senn fiädisch“ (die sind fertig mit der Weinernte). Applaudiert wird einem dabei nicht – denn alle sind mal fertig zum einen – und zum anderen: wir sind hier nicht im Rheinland.

Es war eine gute Erntezeit bei schönstem Wetter. Früher hatten wir bei der Ernte noch Lieder gesungen – heute schauen alle paar Stöcke die ErntehelferInnen auf ihre Smartphones, ob es was Neues gibt. Da ich fies bin und wieder singen wollte, bat ich meinen Freund, den Elektriker und Computerspezialisten um Abhilfe.

Er schaffte es, einen Störsender derart zu installieren, das niemand mehr Empfang hatte. Das machte die HelferInnen ziemlich rasend. Die Wut legte sich allmählich, als der große Weinbergs-Picknick-Korb von meiner Mutter in den Weinberg gebracht wurde. Herrliche Butterbrote mit Leberwurst, Salami, Schinken und Käse wurden ausgepackt und dazu zwei köstliche Flaschen Grauburgunder entkorkt. Sauren Viez im Steinkrug gab es ebenfalls dazu.

Meine Mutter holte den Fotoapparat hervor und fotografierte uns alle beim Abschneiden der Trauben, beim Einfüllen der Trauben in die Hotte und beim köstlichen Schmaus der Butterbrote. Meine Freundin Roma stimmte ein polnisches Lied an „Hey viva Espana“, sangen sie daraufhin alle auf polnisch.

Die russischen Erntehelfer ließen sich das nicht bieten und stimmten ihre unverwüstliche „Kalinka“ an, die wir auch alle mitsingen konnten. Der Bann war gebrochen, die Smartphones vergessen und mit lustigen Liedern auf den Lippen wurde der Rest der Trauben abgeschnitten und sorgfältig in die Eimer gelegt.

Der Nachmittag war einem Fest im Kelterhaus gewidmet. Der letzte Wagen mit den letzten Trauben stand im Kelterhaus und die Trauben wurden eingefüllt in den Kelter, der schnurrend vor sich hin bebte und den Saft aus den Trauben herauspreßte.

Wir saßen derweil auf Kisten und ließen es uns wohl ergehen bei Federweißem und frischen Zwiebelkuchen aus der heimischen Küche.

Nachdem der Wagen leer geräumt war, fuhr mein Vater den Trecker mit dem großen Anhänger hinaus und es war Platz zum Tanzen. Der Onkel und sein polnischer Freund bedienten ihre beiden Quetschkommoden und es dauerte nicht lange, bis Friedchen und Pele, unser heimliches Liebespaar, sich zum Tanze drehten.

Aus der Nachbarschaft kamen Leute hinzu, nahmen Platz und wurden ebenfalls beköstigt. Ein Erntefest wurde zelebriert, wie seit Jahrzehnten jedesmal im Herbst, wenn die Ernte eingebracht wird.

Der Traubenherbst ist die Krönung der monatelangen Weinbergsarbeit. Da werden die Preise ausgehandelt für den Wein, die von Jahr zu Jahr eher sinken, statt steigen und man fragt sich, warum die kleinen Winzer das alles noch mitmachen. Ein Teil der Winzer ist längst in Rente und bearbeitet die Weinberge noch aus nostalgischen Gründen. Der andere Teil ist noch berufstätig und bearbeitet die Weinberge, um sich noch was hinzu zu verdienen.

Die großen Weinbauern leben mit ihren riesigen Familienclans von großen Weingütern, die schon lange nicht mehr von Hand geernet werden. Da fährt der „Großpflücker“ durch die Reihen und die Trauben werden maschinell abgegrast. Der „Großpflücker“ ist ein beeindruckendes Gerät. Eine Maschine, fast so hoch wie ein Baukran, auf der oben der Fahrer sitzt und präzise durch die breiten, eigens dafür angelegten Reihen fährt, um die Trauben abzuernten. In diesen Weinbergen wird nicht mehr gesungen. Da fällt alles in die Eimer, was nicht niet- und nagelfest ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wir, in unseren kleinen Weinbergen, arbeiten seit Jahrzehnten mit den Händen und unsere ErntehlferInnen sind mit uns alt geworden. Andere, aus Polen und aus Russland, kamen im Laufe der Zeit hinzu und alle zusammen bilden eine große Familie...

Ich muß ein wenig eingenickt sein am sonnigen Moselufer, wo ich heute in der Sonne zwei Rotaugen geangelt habe. Ich muß ein wenig geträumt haben. Geträumt von alten Zeiten. Ich wische mir die Augen und höre, wie der Lebensgefährte sagt „Das wird ja ein schönes Abendessen“. „Ja, mit Endiviensalat schmecken sie am besten“, höre ich mich sagen und heim geht es sogleich mit dem Auto in die Wohnung, die mal ein Kelterhaus war. Vor langer langer Zeit...Das Abendrot blinzelt freundlich in die Fenster hinein während die Fischlein in der Pfanne brutzeln und wir fragen uns, wie immer, ob wir mal wieder zu wenig Wein besorgt haben...

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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