Mein Leben als Küchentisch

Angefangen hatte alles recht harmlos.
Als meine alte Frau Wittig starb, war ich maßlos traurig. Ihr halbes Leben lang hatte sie ihr Tagwerk an meiner Seite verbracht. Bohnen schnibbeln, Kartoffeln schälen, Zwiebeln hacken. Nur selten gönnte sich Frau Wittig eine Tasse Kaffee und die Muße, einfach nur dazusitzen und Selbstgespräche zu führen. Frau Wittig erhielt nie Besuch, daher sprach sie oft und gerne mit sich selbst. Schimpfte und fluchte und weinte auch zwischendurch. Manchmal packte sie derartig die Wut, dass sie kräftig auf mich einschlug und ich mir den alten Tischläufer zurück wünschte, den sie kürzlich in Brand gesteckt hatte.

Frau Wittig wurde immer sonderlicher. Und irgendwann brach sie direkt vor meinen Augen zusammen und wurde erst Tage später abgeholt. Ich trauerte. Auch wenn wir nie ein sehr inniges Verhältnis zueinander hatten, es eher langweilig in ihrer kleinen Küche zuging, so hatten wir uns doch gegenseitig ins Herz geschlossen und schließlich viele Jahre miteinander verbracht.

Kurz nachdem Frau Wittig aus ihrer Wohnung transportiert wurde, kamen fremde Menschen in die Küche gestürmt, packten mich bei den geschwungenen Beinen und schleppten mich auf die Straße. Dort stellten sie mich ab und ließen mein schönes altes Holz vom Regen durchnässen. So stand ich also da und konnte mir bereits lebhaft ausmalen, wo ich letztendlich landen würde. Irgendwo in einer Müllverbrennung würde ich ein ähnlich trauriges Ende finden wie meine Frau Wittig.

So blies ich also Trübsal und erschreckte mich förmlich, als eine sanfte Hand über mich strich. Schon lange war ich nicht mehr mit so viel Bedacht angefasst worden. Mühsam versuchte ich das dazugehörige Gesicht im schwachen Licht der Straßenlaterne auszumachen. Man kann schon mit Fug und Recht behaupten, dass es wohl beiderseits Liebe auf den ersten Blick war. Die junge Frau, die mich so gedankenverloren berührte, hatte strahlend blaue Augen und ein wundervolles Lächeln. Sie war nicht im eigentlichen Sinne schön, aber sie hatte diese gewisse Ausstrahlung, die selbst in dunkelster Nacht das Leben irgendwie heller machte.

„Du bist jetzt meiner“ sagte sie leise und hob mich mit einer Kraft hoch, die ich ihr so gar nicht zugetraut hätte.
Langsam ging sie die Straßen entlang und sang dabei leise vor sich hin. Ich mochte ihren leisen Gesang und freute mich bereits über mein neues Leben an der Seite dieser durchaus harmonisch wirkenden Person.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass sie ein echter Wildfang war. Diane hatte ein sehr abwechslungsreiches Leben. Das war ich von meiner alten Frau Wittig nicht gewohnt.
Dianes Küche war groß und warm und hell und sie platzierte mich in die Nähe des Fensters, so dass ich immer mal die Vögel beobachten konnte, wenn sie unterwegs war. Und sie war viel unterwegs! Auf mir wurden keine Lebensmittel mehr zubereitet und gegessen wurde in den seltensten Fällen. Nun gut, sie bestellte schon mal etwas und verschlang es dann eher im Schnellverfahren anstatt sich Zeit zu lassen. Diane war eher als unruhiger Mensch zu bezeichnen, jedoch ruhte sie dennoch in sich und empfing viele Freundinnen, mit denen sie nächtelang an meiner Seite hockte. Unzählige Rotweinflaschen wurden über mich hinweg geschoben. Kerzen hinterließen ihren heißen Wachs und aus den Tabakkrümeln, die auf mir herum gestreut wurden, hätte ich schachtelweise Zigaretten herstellen können.

Ich mochte diese Gespräche unter Frauen. Sie waren meist von sehr inniger Art. Es wurde viel gelacht und es wurde ebenso viel geweint. Ich hatte riesigen Spaß, endlich war mal was los in der Bude und ich war geliebter Teil dieses Ganzen. Immer wenn Diane bei mir saß, ließ sie auch ganz sanft ihre Fingerspitzen über mich hinweg spazieren. Sie war mein. Meine Diane.

Bis zu der Nacht als Diane diesen Mann mit nach Hause brachte. Sie saßen stundenlang auf dem Balkon vor meinem Fenster, aber ich konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen. Immer wieder mal tänzelte Diane durch die Küche, um Getränkenachschub zu holen und entschwand dann wieder zu ihm nach draußen. Ich war wütend! Ich wollte auch an diesem Gespräch teilhaben. Aber ich hörte nur ihre leisen Stimmen und albernes Lachen. Ja, es klang albern für mich. Vielleicht weil ich da schon ahnte, was möglicherweise zwischen den Beiden passieren könnte.

Ein neuer Tag breitete sich schon am Himmel aus, als Diane und der Mann eng umschlungen durch die Küche stolperten. Ohne dass sie zu küssen aufhörten hob er Diane mit einem Ruck hoch und setzte sie auf mich. Was dann folgte war eine Demütigung! Ich sah Dianes herrlichen Hintern auf und ab wippen und wurde dabei in einem Stakkato durch die Küche geschoben, dass mein altes Holz knirschte und krachte. Dieses wilde Gerammel würde ich nicht mehr lange durchhalten und dieses Gestöhne wurde immer lauter und unerträglicher für meine Seele.

Dianes letzter Schrei war auch mein letzter Tag in ihrem Leben. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm krachte ich unter Dianes Po zusammen und brach mir alle Knochen.

In Einzelteilen landete ich wieder unter einer Straßenlaterne.
Und was soll ich sagen?
Es regnete wieder in Strömen.
Diane hatte eine neue Liebe gefunden, die sie ab jetzt mit ihren Fingerspitzen in höchste Wonnen versetzte.

Als ich dann unsanft in diesem großen orangefarbenen Lastwagen landete, entfuhr mir noch ein letztes Seufzen:
„Frau Wittig, ich komme!“

Autor:

Annette Kallweit aus Düsseldorf

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