Reine Ansichten - Rheinansichten

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Haben Sie schon einmal erlebt, daß ein Flieger ohne Sie in den Urlaub flog ? Das ist so, als würde man sich in Unterwäsche in die Badewanne legen. Man kommt sich dabei ganz schön komisch vor !
Aber, da es nichts gibt, was es nicht gibt, gibt es auch das !

Ein Urlaub, der statt auf einer schönen griechischen Insel in der Heimat stattfindet - an den Ufern des Rheines. Die Gründe hierfür können so mannigfaltiger Natur sein, das es müßig wäre, sie hier aufzuführen. Und sie sollen ja auch nicht Gegenstand dieses Artikels sein, sondern das Feeling, you get, when you stay at home !

Der Weckruf der Heimat

Es weckt also nicht am frühen Morgen der Esel, der in der Ferne mit seinem I-aaah-aaah-aaah an die Bremer Stadtmusikanten erinnert und auch nicht das Tuckern der Fischerboote, sondern Amsel, Drossel, Fink und Star und die heimische Sonne, das tückische Luder. Mal ist sie da - brennend heiß und sobald eine Wolke sich vorschiebt, ist es wie Sonnenfinsternis. Eine eisige Kälte erinnert stets daran, doch den wattierten Mantel noch im Gepäck zu haben.

Akupunktur kann den Akku aufladen

Dermaßen wattiert schreite ich am frühen Morgen gegen zehn Uhr zum chinesischen Heilpraktiker, der mich erstmal mit vielen Nadeln von Kopf bis Fuß spickt, so als gälte es, mich anschließend mit Knoblauch zu füllen und zu schmoren. Unter Nadeln falle ich in eine tiefe Trance, die mir wunderschöne Bilder schenkt von sauberen Fenstern, vom Loslassen der Ideen vom Putzen und Aufräumen, Bilder von unendlichen Tiefen, in denen die Heilung wohnt. Das Akkupunktur wie ein Seelentrip sein kann, war mir bis dahin unbekannt. Offensichtlich versteht der Meister sein Handwerk. Mehr macht er auch nicht. "Wie geht's ?" "Geht gut !" - das ist die gesamte Kommunikation und ich frage mich, ob nach eingehender Puls- und Zungendiagnostik das nun so weitergehen soll. Die Frage lasse ich noch offen.

Nach der Akkupunktur um 11.00 Uhr nach Hause zu gehen, wäre bei strahlendem Sonnenschein ein Frevel. Die Arbeit dort läuft nicht weg - und: ich habe ja schließlich Urlaub !

Hafenidylle am Rhein

In Griechenland würde ich nun am Hafen sitzen und Kaffee trinken. Das ist in Düsseldorf am Rheinufer glücklicherweise ebenso möglich. Also nehme ich Platz am Rheinufer auf einer Bank, um mir erstmal Gedanken darüber zu machen, wo ich denn am besten ein kleines Frühstück genießen könne.

Am Rheinufer auf einer Bank sitzt man nicht lange alleine. Eine Dame nimmt neben mir Platz und erzählt mir voller Stolz, das sie gerade vom Arzt komme und der habe gesagt, sie habe Organe so frisch, wie ein junges Mädchen - und das, obwohl sie schon sechzig Jahre alt sei und seit Jahren als Kellnerin arbeite in einem Restaurant. Das macht mich neugierig. Ich will alles wissen. Wie sind die Gäste ? "Sie sind furchtbar !", lacht sie. Beschweren würden sie sich ständig, gäben kaum Trinkgeld und ließen einen großen Teil des Essens einfach auf dem Teller liegen. Wo sie denn arbeite, frage ich.
Es stellt sich heraus, das sie in einem der großen Kettenhotels arbeitet, wo viele Messegäste einkehren, denen es an Geld für Champagner nicht mangele - aber umsomehr an Charme. Wir beide wettern nun über die bösen Reichen und sind uns einig, das die auch nichts mitnehmen am Ende ihres Weges. Die Frau ist lustig, kramt aus ihrem Handtäschelchen zwei "Pampelmusen-Smoothies" hervor und bietet mir eines an. Na, gut - Prost ! Es ist irgendwie schön, wenn ein Mensch am frühen Morgen so gute Laune verbreitet.

Derart gestärkt finde ich meinen Weg ans Rheinufer und stelle mir vor, das am frühen Mittag bei "Gosch" in der "Sylter Fischkutte" doch so ein kleines Matjesbrötchen nicht das Schlechteste sei. Bei "Gosch" ist es sonnig. Einige sitzen schon dort bei ihrem Bier beim Fischbrötchen und lachen sich die Seele aus dem Leib. Es macht Freude, dort mit einem Cappuchino und einem Brötchen zu sitzen und den Fluß zu betrachten, auf dem die Dampfer behäbig daher tuckern.

Ich erinnere mich, wie ich als Kind die ersten Rheindampfer zu sehen bekam in Koblenz, wo meine Eltern öfter mal hinmußten wegen irgendwelcher geschäftlichen Angelegenheiten. Danach ging meine Mutter immer mit mir ans Rheinufer, wo wir Butterbrote und eine Thermoskanne auspackten und unser Picknick zelebrierten. Die Dampfer tuckerten vorbei und warfen riesige Wellen und ich durfte Steine in den Rhein werfen. Damals war mir schon klar, das das Leben am Fluß ein besonderes Leben ist.

Kleiner Exkurs über das Leben am Fluß

Das Leben am Fluß bedeutete Handel und viele Auflagen, die damit einhergingen. So z.B. durften in Trier die Händler ihre Ware nur an einem bestimmten Kranen ausladen, damit das Geld in die Hände der reichen Kranenbesitzer floß. Man konnte seine Ware auch ausladen an den ärmeren Ufern, wo die kleinen Kranenbetreiber auf Umschlag warteten. Das aber war bei Strafe verboten und geschah dann heimlich in der Nacht - zugunsten der Händler und der kleinen Kranenbesitzer.

Es gab damals Stapelhäuser, wie in Köln z.B. Das bedeutete, das die Ware erstmal dort gelagert werden mußte, bevor sie weiter verkauft werden konnte. Und die, die das Stapelrecht hatten, kassierten wiederum fleißig ab. Das Leben am Fluß bedeutete aber nicht nur regen Handel, sondern auch, die Schiffe flußaufwärts zu bewegen zu Zeiten, als es noch keine Motorschiffe gab. Die Schiffe wurden von Pferden flußaufwärts gezogen - oder von menschlicher Kraft, wenn das Geld für Pferde nicht reichte. Diese Art der Fortbewegung flußaufwärts, das "treideln", fand über Treidelpfade statt. Da diese Pfade nicht befestigt waren, war das "treideln" manchmal nur unter Aufbringung stärkster Kraft möglich und wenn die Treidelpfade durch Regen verschlammt waren, konnte das auch schon man für die Treidler sehr gefährlich werden bis hin zum Ertrinken.

Das Leben am Fluß war immer abenteuerlich. Hochwasser konnte die Anwohner ebenso bedrohen, wie die Flußpiraten, die sich auf Überfälle von ankernden Handelsschiffen spezialisiert hatten.

Flüsse dienten der Textilindustrie zum Bleichen und Färben ihrer Tuche, ernährten die kleinen Fischer und ihre Familien mit ihren reichhaltigen Fischbeständen und lieferten den Kalk, der für die Stahlindustrie von höchster Bedeutung war.

Zitat Wikipedia:
"Vor 370 Mio. Jahren befand sich unsere Erde im Zeitalter des Mitteldevons. Ein warmer Ozean breitete sich in unseren Gefilden aus und bot Korallen und den mit ihnen in Symbiose lebenden Algen Grundlage für ein ca. 300 m mächtiges Riff. Die Korallen bauten mit ihren zarten Skeletten in
80 Mio. Jahren ein Kalkriff vom Neandertal über Gruiten, Wülfrath, Wuppertal, Schwelm, Hagen, Hönnetal.

Aus Ernst Haeckel „Arabische Korallen“ (1875)
Heute baut die Kalkindustrie diesen hochwertigen Korallenkalk ab und verarbeitet ihn zu Produkten für fast alle Industriezweige, z.B. Stahl, Baustoffe, Glas, Leder, Pharmazie, Kosmetik, Wasseraufbereitung, Umweltschutz.
Der wichtigste Abnehmer von Kalk war und ist die Stahlindustrie. Hier wird der Kalk zur Schlackenbildung im Hochofenprozess eingesetzt.
Mit der Stahlindustrie und dem Bau der Eisenbahn entwickelte sich die frühindustrielle Kalkindustrie. Das bedeutet, man baute Öfen, die kontinuierlich große Mengen an Kalk in möglichst gleich bleibender Qualität herstellten, – aber alles noch in Handarbeit!"
Zitat: Ende

Eine Rheinfahrt, die ist lustig !

Ob der Gott aller daheimgebliebenen Urlauber ein Einsehen hatte mit mir ?
Jedenfalls stand am Kai ein Dampfer bereit, bereit in zwei Minuten abzulegen - für eine Stunde eine kleine Rheinfahrt - entlang der Düsseldorfer Altstadt bis zum Hafen und wieder zurück bis zur Theodor-Heuss-Brücke - oder Nordbrücke, wie sie damals nach der Erbauung hieß.

Ich nehme Platz an Deck gegenüber von einem Chinesen. Nein, es war nicht mein Akkupunktur-Mann. Genauso still wie ich, schaute er in die Gegend und was in seinem Kopf vorging, weiß ich nicht. Er teilte es nicht mit.

Aber ein älterer Herr, der sich im feinen Anzug zu uns gesellte, teilte alles mit. Er fahre jede Woche einmal diese eine Stunde mit dem Schiff und genieße die Ruhe und den "Hollandwind", der doch hier in Düsseldorf so erfrischend über den Fluß sich ausbreitet. Er lädt mich ein zu einer Tasse Kaffee. Warum nicht ?

Das Schiff legt ab. Der Hollandwind gesellt sich zu uns - und die Sonne dringt durch den Wind, wärmt die Seele und das Gemüt. Der Lautsprecher wird eingestellt. Alles wird uns erklärt auf deutsch und auf englisch.

Ich lasse die Seele baumeln und die Sonne in meiner Seele sich ausbreiten. Ruhe kehrt ein - unendliche Ruhe - wir schweigen, lächeln uns an und benehmen uns so, wie es auf einem Kahn auf einer gemeinsamen Reise so üblich ist. Wir sind eins. Wir sind Skipper.

Radfahrer begleiten uns - lautlos, ein Liebespaar knutscht auf einer Treppe, als würde es sich zum ersten und auch zum letzten Mal in diesem Leben sehen - kleines Gekicher zwischen uns am Tisch.
Im Hafen hält das Schiff an für kostbare zehn Minuten und ich kann das Türmchen anlieben von Diamant-Mehl. Mein Lieblingstürmchen - ich habe es so lieb und bin so froh, das zwischen all den High-Tech-Bauten und kalten Hafen-Etablissements zwischen Werbung und Medien und Fernsehgesellschaften das kleine Diamant-Mehl-Türmchen immer noch da ist. Dankeschön Diament-Mehl-Türmchen - ich backe mir heute abend eine Pfannkuchen aus Diamantmehl - Dir zu Ehren !

Die englische Stimme ruft auf: "If you want a very special Düsseldorfer Snack - please order Röggelschen mit Blutwurscht und Sänf". Der feine Herr und ich strahlen uns an und müssen laut lachen. Der Chinese lacht nicht - er düdelt auf seinem I-phon herum und ist eher geschäftlich zu Gange.

Nach dem Stillstand im Hafen geht es weiter - zurück bis zur Theodor-Heuss - äh, Nordbrücke. Eine Dame gesellt sich nun zu uns, ob hier noch was frei sei ? Sie wollte nicht mehr im Innenbereich sitzen, sondern den Wind spüren. Freundlich machen wir ihr Platz und sind nun schon zu viert an unserem Tischlein. Die Sonne scheint auf uns herab, während wir die Hausboote und Industrieanlagen am Ufer sehen und sogar einen Angler. Eine kleine Konversation entwickelt sich zwischen uns, als würden wir einander schon lange kennen.

Es geht flußabwärts - ach, würde diese Fahrt doch nie zu Ende gehen. Ich erfahre, das die Tonhalle, unser aller geliebter Klassik-Musik-Zufluchtsort, 1927 erbaut wurde für die GESOWEI. Das war eine Messe für Gesundheit, Soziales und Leibesübungen. Auch der Ehrenhof sei speziell für diese Messe erbaut worden, erfahren wir weiter. Ich bin überrascht - dachte immer, aus dem damaligen Planetarium sei sofort die Tonhalle entstanden. Aber nun bin ich eines besseren belehrt. Jedenfalls sagt es mir, das Düsseldorf zwischen den zwei Weltkriegen eine wohlhabende Stadt gewesen sein muß, die sich einen solchen tollen Bau - und eine solch interessante Ausstellung leisten konnte. Gerne möchte ich darüber mehr erfahren.

An der "Nordbrücke" kehren wir um. Und ich sehe alle die Schätze aus meiner Radelzeit: Das Rheinufer mit seinen kleinen Gastronomieschiffen, die Rheinterrasse, die früher noch mit so wunderschönen Bäumen im Biergarten im Sommer brummte, die lange Klippe, über die ich so oft zu Fuß rannte bis zum Ende hin, um dort meine Mittagspause im Hollandwind zu verbringen bei Brötchen und Milch. "Kollers Kahn", den es offensichtlich schon lange nicht mehr gibt - so wie er früher mal war. Ja, früher, da gingen wir gerne mal sonntags am Rhein entlang, um dann dort einzukehren bei ein Paar Gläsern Altbier und ein paar Zigaretten und lauschten der Popmusik aus der Dose, die immer eine gute Musik war. Lang ist es her. Die "Rheintreue" wartet jedoch immer noch mir einem reichhaltigen Angebot.

Zurück, zurück, in die Gegenwart - wir passieren den Schloßturm und hören, das der Turm der Lambertuskirche erst dann wieder gerade wird, wenn eine Jungfrau dort heiratet. Meine Tischnachbarin lächelt und fragt, ob man denn mit 12 schon heiraten dürfe ? Kluge Frau...

Ja, und dann ist es vorbei - das Schiff legt zielsicher an. Wir steigen aus, verabschieden uns und tun das, was nach einer guten Reise auf einem Schiff auch so üblich ist: wir wünschen uns einen guten Tag und einen guten Weg. In der Nacht schaukelte das Bett ein wenig und eine kleine Möwe versuchte doch keck, mir am Ohrläppchen zu knabbern...

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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