"Wir wollen mitregieren" - Linke-Spitzenkandidatin Demirel im Lokalkompass-Interview

Özlan Demirel, Spitzenkandidatin der Linken, im Gespräch mit stv. Redaktionsleiter Martin Dubois. Alle Fotos: Ingo Lammert
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Seit 2012 ist die Linke nicht mehr im Landtag, die Ziele sind vor dem 14. Mai angesichts von Umfragewerten zwischen vier bis sechs Prozent aber hochgesteckt: "Wir wollen mitregieren", sagt Spitzenkandidatin Özlem Demirel selbstbewusst.

In Umfragen liegt die Linke momentan zwischen vier bis sechs Prozent. Sie geben sich vom Wiedereinzug überzeugt. Was macht Sie so sicher?

Demirel: Die Linke ist das soziale Gewissen in diesem Land. 2010-2012, in der Zeit, in der wir noch im Landtag waren, haben wir deutlich gemacht, dass wir für Verbesserungen einstehen. Wir haben Verbesserungen wie die Abschaffung der Studiengebühren oder die Abwahlmöglichkeit von Oberbürgermeistern durch die Bevölkerung durchgesetzt. Gleichzeitig haben wir deutlich gemacht, dass wir nicht das Gegenteil von dem machen, was wir im Wahlkampf versprechen, wie es bei den anderen Parteien üblich ist. Wir haben sehr glaubwürdig agiert. In den letzten fünf Jahren haben wir als außerparlamentarische Kraft Impulse in die Landespolitik hineingegeben. Wir waren zum Beispiel auf etlichen Streiks, auf Kundgebungen und Protestaktionen und haben mit vielen Menschen für Verbesserungen eingestanden.

"Unverschämtheit von Sylvia Löhrmann"

Sie haben Bereitschaft für Rot-Rot-Grün signalisiert. Hannelore Kraft hält die Linke aber nicht für regierungsfähig und Sylvia Löhrmann hat als ein Hauptziel der Grünen genannt, die Linke aus dem Landtag herauszuhalten.

Demirel: Wir sagen immer noch, dass wir gesprächsbereit sind, weil wir unsere Forderungen umsetzen wollen: Wir streiten für ein sozial gerechtes NRW. Wir stehen ein für Bildungsgerechtigkeit und eine soziale Infrastruktur, an der alle teilhaben können, zum Beispiel bezahlbarer Wohnraum. Es geht nicht um Spielchen oder Wahlkampfgetöse, sondern um Verbesserungen für die Menschen. Doch Hannelore Kraft muss selber entscheiden, für was für eine Politik sie steht. Sie sagt zum Beispiel, sie wolle Gebührenfreiheit in der Bildung, schielt aber gleichzeitig zu Christian Lindner der sagt, er will wieder Studiengebühren einführen.
Es ist eine Unverschämtheit, dass es Sylvia Löhrmanns Hauptziel ist, die Linke aus dem Landtag heraus zu halten: Es gibt die Gefahr, dass eine rechtspopulistische, rassistische Partei wie die AfD in den Landtag einzieht, und wenn Sylvia Löhrmann sich dann an einer Partei wie den Linken abarbeitet, ist das ein Armutszeugnis für sie. Statt sich an uns abzuarbeiten, hätte sie sich für gute Schulen in NRW einbringen sollen. Ich bin trotzdem zuversichtlich, dass die nach den Wahlen mit uns reden werden.

"Wir haben viel Kritik an der DDR"

Das haben die Beteiligten ja 2010 auch getan. Damals haben sich die Linken aber geweigert, die DDR als „Unrechtsstaat“ zu bezeichnen, was zum Abbruch der rot-rot-grünen Sondierungsgespräche bereits nach der ersten Runde führte. Wie sieht das denn heute aus?

Demirel: Das ist doch alles vorgeschoben. Die Gespräche waren eine Farce. Statt über Themen wie gute Arbeitsplätze, Infrastruktur und Bildungsgerechtigkeit wollten die über die DDR und Unrechtsstaat reden. Zur DDR kann ich zwei Sachen sagen. Das Erste: Ich selber bin Jahrgang 1984 und 1989 nach Deutschland gekommen. Kurz nachdem ich in Deutschland war, ist die Mauer zusammengebrochen. Das ist der Kontext, in den Hannelore Kraft mich mit der DDR stellen kann. Die Linke in NRW besteht aus vielen Ex-Grünen und Ex-Sozialdemokraten, die von dieser Politik enttäuscht sind. Hier den Kontext zur Ex-DDR herzustellen wäre schlicht scheinheilig. Zweitens: An der DDR haben wir viel Kritik. Ich glaube, die Linke ist die Partei, die sich überhaupt mit der Vergangenheit und Geschichte am meisten auseinandergesetzt hat, während in den anderen Parteien einfach fusioniert wurde.

12 Euro Mindestlohn, Verfassungsschutz abschaffen

In diesen Wahlkampf gehen Sie mit Forderungen, die man als Maximalforderungen bezeichnen könnte. Dazu gehört die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, dazu gehört auch die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Das ist absehbar koalitionsuntauglich.

Demirel: Die Schwerpunktthemen, die wir im Wahlkampf haben sind Bildungsgerechtigkeit und eine gute Infrastruktur für alle Menschen. Wir müssen bezahlbaren Wohnraum in NRW schaffen. Wir brauchen eine verkehrspolitische Wende, deshalb wollen wir den ÖPNV ausbauen und bezahlbar machen, zum Beispiel durch ein Umlagesystem für den fahrscheinlosen Verkehr. Desweiteren geht es uns darum gut entlohnte Arbeitsplätze durch Investitionen zu schaffen. Wir brauchen ein Landesmindestlohngesetz von zwölf Euro, dieser gilt bei öffentlichen Aufträgen und überall da wo öffentliche Gelder fließen.
Mit der 30 Stunden Woche, wollen wir in Debatte über die Verteilung von Arbeit einsteigen. Es gibt auf der einen Seite Menschen, die arbeiten bis zum Umfallen, und auf der anderen Seite haben wir viele Menschen, die gar keine Arbeit haben. Die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist eine Zielsetzung, mit der wir zeigen, wie man das schaffen kann, Arbeitslosigkeit zu überwinden und Menschen gleichzeitig ein Leben in Würde zu geben. Es ist wichtig, dass wir als Partei Perspektiven aufzeigen.
Die Abschaffung des Verfassungsschutzes ist keine Regierungsbedingung, aber unsere grundsätzliche Haltung. Den Verfassungsschutz zu hinterfragen ist richtig. Der Verfassungsschutz ist nicht demokratisch kontrollierbar und hat unzählige Skandale, beispielsweise die Verstrickungen in die NSU Morde oder den Fall Amri. Dass ein Terrorist von einem V- Mann des Verfassungsschutzes nach Berlin gefahren wurde, ist ein Skandal sondergleichen.

Sie persönlich zeigen Sympathie für die Parteiströmung „Antikapitalistische Linke“: Die wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

Demirel: Ich bin kein Strömungsmitglied und habe Sympathie für alle Strömungen in meiner Partei. Ich kritisiere den Kapitalismus, der zu Krieg und Armut führt. Ich möchte über gerechte Systeme nachdenken. Ich finde es lächerlich, dass der Verfassungsschutz meint, Teile der Linken beobachten zu müssen und dann Sachen von der Homepage runterzieht. Der Verfassungsschutz kann gerne zu mir kommen, ich gebe ihm alle gewünschten Informationen. Wir haben nichts zu verbergen.

Singleeinkommen bis 7100 Euro brutto entlasten

Sigmar Gabriel hat einmal davon gesprochen, dass die Linken „jede Pommesbude verstaatlichen“ wollten. Jetzt fordern Sie die „Vergesellschaftung von Industriebetrieben“: Was meinen Sie damit genau?

Demirel: Sigmar Gabriel sollte sich mal besser informieren, sowas haben wir noch nie gefordert. Alles dem freien Markt zu überlassen, ist der falsche Weg. Der Markt regelt nicht alles von selbst. Das ist die Aufgabe von Politik. Gucken wir uns zum Beispiel den Energiebereich an. Die Ewigkeitskosten werden immer der Gesellschaft übergeben, die Profite werden privat ausgeschüttet. Das kann nicht immer so weitergehen. Es geht uns um einen sozialen und Ökologischen Umbau. Übrigens steht in der Landesverfassung, dass Betriebe, die die Grundversorgung gewährleisten und eine monopolartige Stellung haben, in Gemeineigentum überführt werden sollen. Ein weiteres Beispiel wäre das Thema Wohnen. Mit Privatisierungen von Wohnungsbeständen und falschen Entscheidungen hat die Politik hat das Thema dem Markt überlassen. Das hat zu Nettokaltmieten bei geförderten Wohnungen von 9,50 Euro geführt. Deshalb fordern wir, dass das Land und Kommunen selber bezahlbaren Wohnraum bauen. Tatsächlich ist es so, dass die Mehrheit der Menschen täglich enteignet wird, nämlich durch höhere Mehrwertsteuer, durch höhere Belastungen wie Ticketgebühren, Mieten etc.. Die soziale Ungleichheit wächst in extremen: 124 der reichsten 500 Deutschen leben in NRW. Sie haben ein Gesamtvermögen, das dreimal so hoch ist wie der Landeshaushalt. Wir müssen hier entgegensteuern. Wir fordern eine Millionärssteuer von fünf Prozent, wobei die erste Million und die Wohnimmobilie frei sind, dann hat das nichts mit Enteignung zu tun. Wir wollen untere und mittlere Einkommen entlasten und Superreiche stärker belasten.

Wo hört für Sie ein mittleres Einkommen auf?

Demirel: Nach unserem Lohnsteuerkonzept würden wir alle Menschen stärker entlasten, die als Single ein Einkommen von nicht mehr als 7.100 Euro brutto haben.

"Wir wollen die AfD inhaltlich hart stellen"

Sahra Wagenknecht, Linke-Oppositionsführerin im Bundestag, gibt ein gemeinsames Interview mit Frau Petry und kündigt an, der AfD Wähler abjagen zu wollen. Beobachter zeigen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Parteien auf und entdecken neue populistische Töne bei den Linken. Wie viel AfD erkennen Sie in den Linken NRW?

Demirel: Wir stehen für sozial gerechte Politik. Wir werben in NRW um jede Stimme und jeden Menschen. Auch ich habe schon mit der AfD auf dem Podium gesessen und diskutiert. Man muss die AfD inhaltlich stellen. Die AfD versucht, Stimmen von sozial abgehängten und benachteiligten Menschen zu kriegen. Die AfD hat aber überhaupt keine soziale Agenda. Diese Partei ist nicht sozial, sondern neoliberal, elitär und garniert mit Rassismus. Das muss man deutlich machen.

Sie haben ein von den Grünen angeregtes Abkommen für einen fairen Wahlkampf abgelehnt, weil die AfD einbezogen war. Warum?

Demirel: Wir wollen die AfD inhaltlich hart stellen, aber wir werden keine Abkommen mit ihr unterzeichnen.

Wäre es nicht sinnvoll gewesen, die AfD einzubeziehen um zu garantieren, dass zum Beispiel Social Bots im NRW-Wahlkampf nicht eingesetzt werden?

Demirel: Ein Abkommen ist was anderes als eine Diskussion. Wir machen ganz deutlich, dass wir mit Rassisten keine Verträge schließen. Wir wollen diese Weltanschauung nicht hoffähig machen und arbeiten nicht mit Rechtspopulisten zusammen.

Das Gespräch mit Özlem Demiral führte der stv. Redaktionsleiter Martin Dubois.

Autor:

Martin Dubois aus Essen-Süd

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