Kunst-U-Boot - klar zum Entern!

Innenansicht - Kant-Zitat und Spiegelung im Hafenwasser
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Wenn man im herbstlichen Grau entlang des Innenhafens bummelt, begegnen einem Fußgänger, Hunde, Fahrradfahrer, gelegentlich tuckern Schiffe übers Wasser und alte Industriebauten grüßen von der Seite - nichts Spektakuläres. Der Blick gleitet über das Wasser - plötzlich ist da etwas, was nicht in diese friedlich verschlafene Umgebung passt: Graues Metall in Form eines auftauchenden U-Bootes. Der Anblick verstört, weckt Assoziationen an Militär, Bedrohung, zerstörerische Technik und wirft Fragen auf - und genau das soll es auch.

In den 14 Jahren seines Bestehens hat das Museum Küppersmühle schon für einige überraschende und Aufsehen erregende Ausstellungen gesorgt.
Jetzt ist dem Museumsdirektor Prof. Dr. Smerling ein ganz besonderer Fang ins Netz gegangen:
Ein Kunst-U-Boot ankert im Hafenbecken und hat seinen Heimathafen in der Dauerausstellung des Museums genommen.

Die Neuerwerbung der Kunstsammlung Ströher – das sogenannte „Kunst-U-Boot“ – ist als neues Außen-Projekt vor dem Museum Küppersmühle im Duisburger Innenhafen zu Wasser gelassen, montiert und verankert worden.
Walter Smerling erzählt, dass er nun schon seit 7 Jahren mit dem kunstsinnigen Ehepaar Sylvia und Ulrich Ströher zusammen arbeitet und immer wieder Fördergelder oder Kunstwerke für das Duisburger Museum von diesen Mäzenen bekommen hat.
Seit der Gründung des Museums vor 14 Jahren hat es der Museumsdirektor Walter Smerling geschafft, dem Industrie-Standort Duisburg auch zu einem internationalen kulturellen Ruf zu verhelfen. Mit seiner hochkarätigen Ausstellungsarbeit und viel Initiative der finanziellen Förderer hat er für die vom Strukturwandel geplagte Stadt Duisburg und das Ruhrgebiet positiv aufwertende Zeichen gesetzt - Kunst kann eben auch Hoffnung schaffen und Sinn stiften.
Jedenfalls hat es Smerling geschafft, den Darmstädter Kunstsammlern Ströher das Museum MKM und die Kunstförderung im Ruhrgebiet so ans Herz zu legen, dass diese intensiv über die Finanzierung des Erweiterungsbaus auf den Silos der Küppersmühle nachdenken. Da drücken wir ihm - und damit auch unseren Interessen - doch feste die Daumen!

„ICH KANN, WEIL ICH WILL, WAS ICH MUSS“ – Dieses Kant-Zitat, was im Übrigen bestens ins Ruhrgebiet als eine Region im Umbruch passt, ist der Titel des neuen Kunst-Außenpostens.
Die Künstler Andreas M. Kaufmann und Hans Ulrich Reck haben das schwimmende Kunstwerk entworfen.

Der schweizer Künstler Andreas M. Kaufmann hat in Münster medienübergreifende Bildende Kunst und in Münster und Dortmund Fotodesign studiert. Seine vielfach ausgezeichnete und international gezeigte Kunst beschäftigt sich mit experimentellen und interdisziplinären Interventionen und Projekten im öffentlichen Raum, sowie im Kontext von Kunst und Architektur.

Prof. Dr. Hans Ulrich Reck ist Philosoph, Kunstwissenschaftler, Publizist und Kurator. Seit 1995 ist er Professor für Kunstgeschichte im medialen Kontext an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Andreas M. Kaufmann und Hans Ulrich Reck haben gemeinsam das Konzept erstellt und die Entwicklung und Realisierung der Ausstellungsinsel "ICH KANN, WEIL ICH WILL, WAS ICH MUSS" erarbeitet. Die Ausstellungsinsel "Kunst-U-Boot" wurde für das Projekt "Ruhr Atoll 2010. Kunst und Energie" entworfen und erstmalig im Rahmen der Aktivitäten und Ausstellungen der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet / Essen von Mai bis September 2010 auf dem Baldeneysee in Essen gezeigt. Damals konnte das Kunstobjekt nur vom Wasser aus mit Ruderbooten oder ähnlichen Transportmitteln relativ mühsam erreicht werden. Heute wurde dem U-Boot ein stilgerechter Bootsanleger gebaut - mit Widerlager für variierenden Wasserstand und sicherndem Geländer.

Das Kunstwerk ist 16,6 Meter lang, 7,3 Meter breit und der Turm 6,3 Meter hoch.
Die Meidericher Schiffswerft in Duisburg hat das Boot nach den Plänen des Künstlers Andreas Kaufmann aus 6 mm dickem Stahl zusammengebaut und vor der Überführung ins Museum im Trockendock überarbeitet. Für den Transport an seinen Liegeplatz beim Museum musste das U-Boot in 3 Körperteile und 2 Flügel zerlegt werden.
Den Wieder-Zusammenbau hat der auf die Errichtung von Kunstwerken spezialisierte Kölner Architekt Reza Khazifi mit seinem Team in verblüffender Geschwindigkeit bewerkstelligt. In der Nacht zum 10. Oktober wurde trotz Regen und Wind transportiert, ausgerichtet, geschraubt - und morgens war das Boot plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sobald auch der Zugangssteg sicher montiert ist, wird das Kunstwerk auch für Besucher geöffnet.
Der Museumsdirektor Walter Smerling freut sich darauf, dass dieses spektakuläre Kunstwerk viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen anziehen wird. Smerling hilft mit Assoziationen und Interpretationsmöglichkeiten aus: Das U-Boot ist zugleich Fragment und Spiegel der Gesellschaft, was wiederum generell die Arbeitsleistung der Künstler in ihrer Epoche sein sollte.
Das U-Boot steht für Parallelwelten: Ausgehend von Krieg und Frieden, Auf- und Abtauchen, Helfen und Zerstören führt die Assoziationsreihe zu Metabegriffen wie Wahrheit und Wirklichkeit.
Damit passe dieses Kunstwerk ganz wunderbar in das auf deutsche Nachkriegskunst spezialisierte Museum MKM, erläutert Smerling und bringt es in den Kontext der Dauerausstellung. Auch das U-Boot gelte als ein Relikt der Zeitgeschichte, man denke nur an den Zweiten Weltkrieg oder den Kalten Krieg, und schon sei man bei den sozialen Systemen von Kapitalismus und Sozialismus, oder aber beim deutschen Maler Penck, dessen Bildwerk von genau dieser Spannung zeugt. Gleich neben Penck im 2. OG des Museumsbaus sei auch Anselm Kiefer zu sehen, der sich schon früh mit der Aufarbeitung der deutschen Nachkriegsgeschichte befasst habe, oder auch Georg Baselitz ...

Um diese Zusammenhänge zwischen der Neuerwerbung "Kunst-U-Boot" und den Gemälden und Skulpturen der Sammlung verständlich zu machen, empfiehlt Smerling, den Besuch des Außen-Projektes unbedingt auch mit einem Rundgang oder noch besser mit einer Führung durch die Sammlung zu verbinden.
Ins Innere des Kunst-U-Bootes dürfen jeweils 8-10 Personen gleichzeitig in Begleitung eines fachkundigen Mitarbeiters des Museums.

Das Innere des U-Boot-Turms wird von Fenstern in Form ausgeschnittener Buchstaben erhellt - von außen in Spiegelschrift, von innen lesbar: „ICH KANN, WEIL ICH WILL, WAS ICH MUSS“.
Das Buchstabenfenster des U-Bootes wird nachts erleuchtet, so dass das Kunstwerk auch bei Dunkelheit für die Besucher des Hafens erlebbar ist.

Das ursprünglich verwendete, transparente Fotomaterial für die etwa 8 Meter lange und 3,2 Meter hohe, durchgehende Bildcollage im Inneren ist inzwischen beschädigt, doch betont Walter Smerling, Direktor des MKM, "Uns liegt die Ausbesserung der Bildcollage, welche als kollektives Gedächtnis Realität und Visionen zusammenfügt, sehr am Herzen.“

Daher wird im Anschluss an die Montage und Verankerung des äußeren Korpus im Innenhafen die Restaurierung der Bildcollage durch den Künstler Kaufmann selbst erfolgen, so dass das Kunstwerk in Kürze im Rahmen des Kunstvermittlungsprogramms des MKM für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird.

Der Künstler Andreas Kaufmann sammelt schon seit über 25 Jahren öffentlich zugängliche Bilder. Bilder sind bei ihm oft das Ausgangsmaterial für seine multimedialen Kunstwerke, in denen er sich schwerpunktmäßig mit dem Zusammenhang von öffentlicher Sphäre, bildlicher Repräsentation und menschlicher Identität vor dem Hintergrund zunehmender Standardisierung auseinander setzt.

Diese Bildfenster erscheinen dem Betrachter beim Betreten des abgedunkelten Kunstwerks wie ein ehrfurchtgebietender Raum, eine "Kathedrale für bildlich kodiertes Wissen", wie es Kaufmann selbst nennt.
Kaufmann hat die zahlreichen Einzelbilder für seine Fenster aus realen gefundenen öffentlichen Bildern zusammengesetzt. Die Collage zeigt im oberen und unteren Bereich Traumvisionen und im mittleren Bereich eher die Gegenwart - nehmen Sie sich Zeit für genaue Betrachtungen, es gibt viele Details zu entdecken.
Andreas Kaufmann sagt, er wolle mit diesen Bildern sowie der Assoziation des U-Bootes das kollektive Gedächtnis ansprechen und seinen Beitrag der Erinnerung für eine kollektive Identität leisten. Er habe das Kant-Zitat gewählt, da auch er der Überzeugung sei, Freiheit sei nur durch Grenzen erfahrbar.

Für die Künstler Kaufmann und Reck stellt das U-Boot ein Symbol bildlich kodierten Wissens dar, das zuweilen sichtbar ist, aber auch durch Abtauchen unsichtbar werden kann. Die Deutungsebenen seien vielfältig. Das U-Boot stehe für Zerstörung, für Schutz, für Vereinnahmung gleichermaßen. Es stehe für kriegerische, politische und mediale Tarnung und Täuschung.
Das Kooperationsprojekt von Kunst und Wissenschaft "spiegele in den Buchstabenfenstern die ganze vorstellbare Bandbreite des natürlichen und zivilen Lebens wieder mit allen dazugehörigen Höhen und Niederungen der Gegenwart und der Geschichte; denn jede Bewegung und damit das Leben selbst, verdankt sich energetischen Prozessen. Das Tageslicht, das die Bilder im Inneren sichtbar macht, liefert mittels Fotovoltaiktechnologie darüber hinaus die Energie für deren nächtliche Erscheinung".

Kaufmann erklärt, das symbolträchtige Behältnis für ihren philosophisch-wissenschaftlichen Kunstbegriff sei absichtlich in mausgrauem Speziallack hergestellt worden und weise nicht die heutzutage übliche Camouflagelackierung auf, da es in den 1940'er Jahren noch keine Tarnflecken gegeben habe. Die altertümliche Lackierung unterstütze Assoziationen an die exportierten Kriege, die heute in Form von Konflikten um Energie-Ressourcen wieder nach Europa zurück geholt würden.

Für die Künstler Kaufmann und Reck ist die Frage heutzutage immer weniger entscheidend "Was ist ein Bild oder ein Kunstwerk?" Wichtig für sie sei vielmehr "Wie entwickelt der Künstler Handlungen, mit welchem Anspruch, auf welcher Basis, an welchem gesellschaftlichen Ort? In dieser Frage komme die implizierte reflexiv-theoretische Energie der Künste zum Ausdruck".

Spätestens hier merkt man, dass das Kunst-U-Boot kein Spaßbötchen ist, sondern ein Produkt tiefer philosophischer Betrachtungen, eben die Kooperation von Kunst und Wissenschaft.

Kaufmann weiter: "Die Energie der Künste verweist Wissenschaftler und Künstler auf den Umstand, dass ihr Handeln zunehmend auf Kooperation in komplexen Geflechten angewiesen ist.
„ICH KANN, WEIL ICH WILL, WAS ICH MUSS“ verdichtet die komplexen kulturellen, gesellschaftlich-politischen und wirtschaftlich globalen Zusammenhänge, in die auch das Themenfeld "Energie" eingebettet ist, in einem Kunstwerk."

Nach den Künstlern Kaufmann und Reck liege der Akzent beim U-Boot auf einer Beschreibung der Leistungsfähigkeit und Grenzen des bildlichen Mediums. Die aus der Außenhaut des Turmes herausgeschnittenen Buchstaben „ICH KANN, WEIL ICH WILL, WAS ICH MUSS“ fungieren wie Monitore, welche ausgewählte Bildereignisse in den Vordergrund rücken, während die Mehrheit der Bilder im Halbdunkel verbleibt. Gleichzeitig biete das kathedralengleiche Innere des begehbaren Kunstwerkes dem gesamten Bildwissen einen Schutzraum, der durch die Möglichkeit des Abtauchens die Inhalte vor Vereinnahmung oder gar Zerstörung bewahren könne.

Nach so viel Kunst-Philosophie teilt Andreas M. Kaufmann aber auch mit, er freue sich sehr über den Anlegeplatz seines Kunstwerkes im Duisburger Innenhafen: „Es gehört einfach ins Ruhrgebiet – an einen Ort, an dem die Konflikte um Energieressourcen nicht nur historisch bedeutsam sind, sondern auch in Zukunft an Brisanz gewinnen.“

Mein Tipp: Einen sehr schönen Überblick über das Hafenbecken und das Kunst-U-Boot haben Sie auch vom Balkon des modernen und stilvollen kürzlich eröffneten Restaurants „KÜPPERSMÜHLE Wine & Dine“, das ambitioniert von der Geschäftsführerin Heidi Kopatz und ihrem Team geführt wird.

Autor:

Dorothea Weissbach aus Oberhausen

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