Rußlanddeutsche in der Schule

„Geschichte der Deutschen aus Russland: Stand und Perspektiven ihrer Vermittlung in Nordrhein-Westfalen“ heißt ein Workshop, das der Landesbeirat für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen zusammen mit der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus am 15. November 2012 in Düsseldorf durchführt.

„Die Geschichte der Deutschen aus Rußland ist der prägende historische Hintergrund für mehrere Hunderttausende unser Mitbürger in Nordrhein-Westfalen. Diese Geschichte hat eine der größten Zuwanderergruppen in unserem Land gewissermaßen als `Gepäck´ mitgebracht. Ungezählte der unter uns lebenden Deutschen aus Rußland waren noch selbst Opfer von Vertreibung, Zwangsarbeit und anhaltender Diskriminierung in der stalinistischen Sowjetunion besonders seit 1941. Und auch die Nachgeborenen sind nicht unberührt geblieben davon – direkt oder indirekt waren sie mitbetroffen durch erzwungenen Heimat- und Sprachverlust, die Vorenthaltung von Bildungschancen, die weitgehende Zerstörung einer eigenständigen Kultur. Obwohl so viele dieser Menschen unter uns leben, ist ihr Herkommen im historischen und kulturellen Sinn nur wenigen, zu wenigen vertraut,“ berichtet Dr. Winfrid Halder, der Leiter des Gerhart-Hauptmann-Hauses, in der Einladung.

Zülfiye Kaykin, die Staatssekretärin für Integration beim nordrhein-westfälischen Landesintegrationsministerium, weist in ihrer einführenden Ansprache darauf hin, daß die Geschichte der Russlanddeutschen völlig unbekannt ist, wie sie anhand ihrer eigenen beiden Söhne feststellen konnte. „Wir wollen im Landesbeirat überlegen, wie die Geschichte und gegenwärtige Lebenssituation der Deutschen aus Russland in der Schule vermittelt werden kann. So sollen Migrationsbewegungen verständlich und nachvollziehbar werden und das Verständnis füreinander fördern. Die dazugehörigen Lehrpläne für die Schulen befinden sich derzeit in Arbeit.“

Wie schwierig es ist, die Geschichte der Deutschen aus Rußland in den Unterricht der jeweiligen Schulformen zu integrieren, wird beim kurzen Vortrag von Peter Kurtenbach deutlich. Er ist Schulfachlicher Dezernent bei der Bezirksregierung Arnsberg und Vorsitzender der Lehrplankommission Geschichte. Die Zahl der Unterrichtsstunden für das Fach Geschichte ist gering. Die Geschichtslehrer können ihre eigenen inhaltlichen Schwerpunkte in verschiedenen Themenfeldern setzen. Ob und inwieweit da Zeit und Platz für die Rußlanddeutschen bleibt, wird in dem Vortrag nicht weiter erwähnt.

Daß der deutsche Staat lange Zeit kein Interesse daran hatte, die Geschichte der Rußlanddeutschen zu erforschen und dementsprechend Geld für Forschungsprojekte bereitzustellen – dies ist das Fazit des Vortrages von Dr. Alfred Eisfeld vom Nordost-Institut Lüneburg. Er beleuchtet die aktuelle Forschungssituation und Literaturlage. Gerade einmal in den 1990er Jahren wurden einige wenige sozialwissenschaftliche Forschungsaufträge finanziert. Zu dieser Zeit kamen allerdings auch im nennenswerten Umfang Spätaussiedler zu uns nach Deutschland. Das Interesse erlosch dann aber wieder. Das wissenschaftliche Material ist dementsprechend gering, wie Eisfeld anschaulich darstellt. Während es in Rußland durchaus Forschungsprojekte gibt, deren Ergebnisse allerdings nicht ins Deutsche übersetzt werden, gibt es bei uns in Deutschland eine Ängstlichkeit, in eine falsche Ecke gerückt zu werden, die etwas mit vorausschauendem Gehorsam gemein hat. Man möchte sich nicht unangenehmen Vorwürfen ausgesetzt sehen, die noch gar nicht ausgesprochen wurden. Russland geht offensichtlich unbefangener mit seiner Vergangenheit um. Nach Eisfelds Meinung ist es falsch, daß die Slawistik und rußlanddeutschenbezogene Forschung in Deutschland zurückgefahren wurde.

Dr. Walter Daugsch vom Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf kann in seinem Vortrag (Titel: „Geschichte der Deutschen aus Russland als Thema der akademischen Lehre“) die Einschätzung von Eisfeld nur bestätigen.

Dr. Thorsten Altena vom Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Dortmund macht an vielen praktischen Beispielen deutlich, daß es im normalen Schulunterricht nicht möglich ist, die Geschichte der Rußlanddeutschen zu behandeln. Eine geringe Zahl an Stunden im Fach Geschichte gehört genauso dazu wie das geringe fachliche Wissen der Lehrer und deren zögerliche Haltung, sich überhaupt damit zu beschäftigen. „Es gibt sehr viele Gruppen von Deutschen, die von Osteuropa aus zu uns gekommen sind. Wieso soll sich ein Lehrer dann unbedingt mit den Rußlanddeutschen beschäftigen? Wieso soll er die Baltendeutschen oder die Siebenbürger Sachsen vernachlässigen,“ fragt er zurecht. Er bietet aber auch Lösungsansätze wie Projektkurse, „Leuchtturm“- Projekte an ausgesuchten Schwerpunktschulen und die gezielte Lehrerweiterbildung an. Daß auch ein Besuch im Museum für rußlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold dazugehören kann, macht dessen Leiterin Dr. Katharina Neufeld anschaulich deutlich.

Autor:

Andreas Rüdig aus Duisburg

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