Gedanken zu seinem Leben - Textpassagen von Jochen Gerz auf der Glasfassade des Lehmbruck Museums

An der Glasfassade des Lehmbruck Museums ist  "The Walk - Keine Retrospektive" von Jochen Gerz zu sehen
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Um das aktuelle Kunstprojekt von Jochen Gerz sehen zu können, braucht man nicht ins Museum zu gehen. Gedanken, Erfahrungen und Erinnerungen aus 70 Jahren Lebenszeit sind in Textpassagen mit roten Buchstaben auf die Glasfassade des Museums geklebt. "The Walk - Keine Retrospektive" ist keine Museumsausstellung wie gewohnt.

Und doch ist diese Ausstellung die erste Museumsausstellung nach 15 Jahren, die Jochen Gerz zumindest an der Fassade eines Museums stattfinden lässt. Es ist keine Retrospektive. Die Einladung des Museums, eine solche auszurichten, hat Gerz dazu benutzt, eine neue Arbeit im öffentlichen Raum zu realisieren. Jochen Gerz ist kein Künstler, der seine Kunst in Kisten packt, um sie dann in Museumsräumen zu zeigen.

Kunst auf Augenhöhe - für jedermann
Der öffentliche Raum ist für Gerz das Museum. Wo alltägliches Leben stattfindet, kann Kunst das geeignete Mittel sein, um Positives und Besseres zu bewirken. Hochkultur ist ihm eher suspekt. Um Kunst, die auf einem Sockel steht, zu betrachten, muss man den Kopf zu sehr in den Nacken legen. Kunst auf Augenhöhe ist ihm lieber. Am besten, wenn Kunst und Leben sich vermischen. Wenn es keine Grenze zwischen Leben und Kunst gibt. Wenn sie für jeden frei zugängig ist.

"The Walk" - der Weg frei zugängig
"The Walk" ist ein Spaziergang auf einem rund 100 Meter langen Steg, der eigens rund um die Glasfassade des Museums in einer max. Höhe von 5 Metern gebaut wurde. Von hier ist der Text zu lesen, der Leben und Werk des Künstlers mit dem Zeitgeschehen ab 1940 bis 2010 verbindet. Ein Gang durch die Geschichte, eingeteilt in 10 Jahresschritten. Es sind die persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen eines Jochen Gerz inmitten des Weltgeschehens.

Das Museum - ein gigantisches Buch
Ausgestattet mit einem Begleitheft inkl. Fußnoten zu den Textpassagen geht man auf dem Steg die Fassade entlang. Die Scheiben präsentieren sich wie offene Buchseiten. Durch die Textzeilen hindurch sind die Innenräume des Museums mit den ausgestellten Kunstwerken zu sehen. Ein ganz neuer Blick auf und in das Museum. Das macht auch neugierig auf einen anschließenden Besuch.

Rückblicke - Blick in die Zukunft
Immer wieder verweilt man vor den Texten, angezogen von einer bestimmten Jahreszahl oder einem Schlagwort. Hier erzählt Jochen Gerz sein Leben und ermuntert zur eigenen Reflexion. Wie habe ich diese Zeit erlebt? Was habe ich da gerade getan? Es sind Rückblicke, aber auch der Blick in die Zukunft stellt sich. Letztendlich geht es um die Frage: Wie will ich leben? Wie wollen wir als Gesellschaft leben?

Bei der Präsentation seiner Arbeit bedauert Gerz, dass es mehr Betrachter und zu wenig Macher in der deutschen Gesellschaft gäbe. Er vermisst die Couragierten und Engagierten. Wie sieht die Zukunft aus? Jochen Gerz ist besorgt. Es kommt was auf die Gesellschaft zu. „Nicht der Immigrant, sondern sie selbst."

Zu Jochen Gerz:
Jochen Gerz, 1940 in Berlin geboren, verbrachte seine Schulzeit im Rheinland. Über 40 Jahre hat der Konzeptkünstler in Frankreich gelebt, seit 2007 lebt er in Irland.
Jochen Gerz kam von der Literatur zur Kunst. Seit dem Ende der 1960er Jahre arbeitet er mit den neuen Medien. Nach den ersten Performances im öffentlichen Raum entstanden Fotos/Texte, Installationen, Performances und Videos in Galerien und Museen. In diese Zeit fallen mehrere Documenta-Beiträge, die Teilnahme 1976 (mit Beuys und Ruthenbeck) an der 37. Biennale von Venedig im deutschen Pavillon und zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen in deutschen, europäischen und nordamerikanischen Museen. Ab 2000 arbeitet er ausschließlich im öffentlichen Raum an gesellschaftlichen Prozessen, die sich zum Teil in mehreren Jahren entwickeln. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Öffentlichkeit selbst, ohne deren Teilnahme seine Kunst nicht entstehen kann. So z.B. auch 2010 in Duisburg, wo er im Kulturhauptstadtjahr das Projekt „2-3 Straßen“ in Hochfeld realisierte.
Für die aktuelle Arbeit "The Walk - Keine Retrospektive" wurden Geflüchtete auf Einladung des Künstlers und des Museums als Vermittler/innen des Kunstprojektes eingeladen. Ihre Erfahrungen werden sie später aufschreiben.

Die Ausstellung läuft bis zum 05. Mai 2019
Eintritt frei

Mehr Infos rund um die Ausstellung

Die Fotos entstanden während der Präsentation. Gerne lade ich Euch zu einem "Walk" entlang der Fassade ein. Neben der inhaltlichen Aussagekraft haben die Texte je nach Licht-und Schattenspiel auch eine besondere ästhetische Qualität.

Lehmbruck Museum
Friedrich-Wilhelm-Straße 40
47051 Duisburg
www.lehmbruckmuseum.de

Autor:

Andrea Gruß-Wolters aus Duisburg

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