Update 2: Kein Loveparade-Prozess - Staatsanwaltschaft legt sofortige Beschwerde ein

Für die Loveparade-Tragödie 2010, bei der 21 Menschen starben und über 500 verletzt wurden, wird wohl niemand strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen. Foto: Frank Preuß
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  • Für die Loveparade-Tragödie 2010, bei der 21 Menschen starben und über 500 verletzt wurden, wird wohl niemand strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen. Foto: Frank Preuß
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Update 2:

Die Entscheidung des Landgerichts Duisburg, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft. Gegen den Beschluss der Strafkammer hat die Staatsanwaltschaft daher umgehend sofortige Beschwerde eingelegt.

So heißt es in der offiziellen Stellungnahme des Leitenden Oberstaatsanwalts in Duisburg unter anderem: "Der Beschluss der Strafkammer ist – jedenfalls überwiegend – mit Bedenken gegen den Sachverständigen Prof. Dr. Still und sein Gutachten begründet. Die Zurückweisung des Gutachters und seiner Ergebnisse ist indes nicht gerechtfertigt. Gerade auch angesichts der Vielzahl an Beweismitteln, die die Staatsanwaltschaft für die von ihr erhobenen Tatvorwürfe – neben dem Gutachten des Sachverständigen – benannt hat, hätte sich die Strafkammer aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes zudem veranlasst sehen müssen, einen zweiten Gutachter zu beauftragen. Die Beauftragung von Gutachtern durch das Gericht im Stadium des Zwischenverfahrens ist gängige Praxis. Es entspricht zudem der üblichen Verfahrensweise, die Staatsanwaltschaft und die übrigen Verfahrensbeteiligten (frühzeitig) auf etwaige Bedenken hinzuweisen und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zu geben, die für erforderlich erachteten ergänzenden Ermittlungen nachzuholen.

Staatsanwaltschaft: Prof. Dr. Still ist ein international anerkannter renommierter Experte, an dessen Sachkunde und Unabhängigkeit keine Zweifel bestehen.

Er hat nachvollziehbar und im Kern unverändert dargelegt, dass bei der Planung und Genehmigung der maximal möglichen Durchflusskapazität des zum Veranstaltungsgeländes führenden Tunnels – 82 Personen pro Meter pro Minute – keinerlei Beachtung geschenkt und dadurch das tragische Geschehen herbeigeführt worden ist. Die gegen diese Bewertung seitens der Strafkammer erhobenen Bedenken teilt die Staatsanwaltschaft nicht, auch weil es sich bei der maximalen Durchflusskapazität um einen wissenschaftlich anerkannten Erfahrungswert handelt. Dieser muss als allgemeingültiger Wert angesehen werden, für den es einer sachverständigen Feststellung im Einzelfall nicht bedarf.

Die Ablehnung des Sachverständigen als befangen entbehrt aus Sicht der Staatsanwaltschaft der Grundlage; sie wäre nur möglich, wenn der Sachverständige durch mündliche oder schriftliche Äußerungen den Eindruck einer Voreingenommenheit hervorgerufen hätte. Dies ist auch unter Berücksichtigung der von der Strafkammer aufgeführten Umstände nicht der Fall.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf als zuständiges Beschwerdegericht den Beschluss des Landgerichts aufheben und die Durchführung des Hauptverfahrens anordnen wird. Nur dadurch wird – auch im Interesse der zahlreichen Opfer und ihrer Angehörigen – die gebotene weitere Aufklärung der Ereignisse in öffentlicher Hauptverhandlung sichergestellt."

Update 1:

Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link äußerte sich am Dienstagmittag zum Beschluss des Landgerichts Duisburg: „Ich leide heute mit den Angehörigen, mit den Eltern, Partnern, mit den Freundinnen und Freunden, mit den vielen Verletzten und Traumatisierten, mit den Menschen, für die die Loveparade eine Zäsur in ihrem Leben darstellt, von der sich viele bis heute nicht erholt haben.

Sie alle werden heute schwer tragen an der Entscheidung des Gerichts. Sie werden schwer daran tragen, dass es auf die Frage, wer die Schuld an dieser Katastrophe trägt, auch nach über fünf Jahren keine eindeutige Antwort gibt.

Duisburgs OB Sören Link: Wer seinen Sohn, seine Tochter, sein Liebstes verloren hat, der fragt nicht nach Verfahrensfehlern oder danach, warum ein Gutachten verwertbar ist oder nicht.

Der darf Unverständnis äußern, dass es mehr als ein halbes Jahrzehnt brauchte, um diese Katastrophe aufzuarbeiten, ohne dass am Ende jemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden konnte.

Ich weiß allerdings auch, dass viele Betroffene schon lange davon ausgingen, dass die juristische Aufarbeitung ihnen keinen Frieden bringen wird. Für viele war es ein Schlag ins Gesicht, dass die damalige Stadtspitze und der Geschäftsführer des Veranstalters nicht auf der Liste der Beschuldigten standen. So ist der heutige Tag für viele eine weitere Enttäuschung."

Dienstag, 5. April, kurz nach 10 Uhr: Der lang erwartete Loveparade-Strafprozess ist geplatzt. Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg lässt die Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Beschäftigte des Veranstalters nicht zu.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird abgelehnt. Dieser Beschluss wurde heute den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt. Danach wird es keine Hauptverhandlung gegen die zehn Angeschuldigten geben.

Nach eingehender Prüfung der Anklagevorwürfe und der hierzu vorgelegten Beweismittel bestehe kein hinreichender Tatverdacht. "Die Vorwürfe der Anklage können mit den vorgelegten Beweismitteln nicht bewiesen werden. Eine Verurteilung der Angeklagten ist deshalb nicht zu erwarten", teilt das Landgericht am Dienstag in einer offiziellen Erklärung mit.

Das Sachverständigen-Gutachten des britischen Panikforschers Prof. Dr. Still, wesentliches Beweismittel in dem angestrebten Prozess, ist nach Auffassung der Kammer nicht verwertbar. Es leide an gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln. Darüber hinaus bestehe gegen den Gutachter "die Besorgnis der Befangenheit". Andere tragfähige Beweismittel aber stünden dem Gericht nicht zur Verfügung.

Gegen den Beschluss können Staatsanwaltschaft und Nebenkläger binnen einer Woche Beschwerde einlegen. Über diese entscheidet das Oberlandesgericht Düsseldorf.

In einer eilig einberufenen Pressekonferenz wenig später erläuterte Landgerichtspräsident Ulf-Thomas Bender nochmals die Entscheidung der 5. Strafkammer, den Prozess platzen zu lassen, warb um Verständnis für den Beschluss: "Die Richter sind in ihrer Entscheidung frei und nur dem Gesetz unterworfen. Sie dürfen sich auch nicht von Emotionen der Betroffenen und von den Erwartungen der Öffentlichkeit beeinflussen lassen." Die Tragödie lasse niemanden kalt, so Bender. "Sie berührt uns alle, auch mich persönlich. Wir alle hegen die berechtigte Erwartung, dass die Ursachen aufgeklärt werden."

Die Sachverständigen-Expertise von Prof. Still aber trage zur Aufklärung kaum bei. Aufgrund des Gutachtens lasse sich nicht beantworten, aus welchen Gründen es zu den tragischen Ereignissen kommen konnte. In acht Punkten wird das Gutachten von der 5. Strafkammer des Landgerichts Duisburg nahezu "zerpflückt". Ein weiteres, neues Gutachten aber sei im derzeitigen Verfahrensstadium von Gesetzes wegen untersagt.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar "Loveparade-Prozess geplatzt: ein Schlag ins Gesicht"!

Autor:

Lokalkompass Duisburg aus Duisburg

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