Verrückt nach Meer - Wiedersehen mit Martha

Man sieht sich immer zweimal, heißt es. Und es stimmt. Jedenfalls in diesem besonderen Fall:

Vor gut einem Jahr waren wir mit der MS AMADEA unterwegs in der Karibik.
Ganz besonders hatten wir uns auf St. George's auf Grenada gefreut, das wir 2009 schon kennen gelernt hatten. Die ganze Stadt auf dieser Gewürzinsel hatte intensiv geduftet. Vor allem nach Muskat. Wir hatten es nie vergessen.

Vom Fort auf der Oberstadt zog es uns runter Richtung Markt. Wir erinnerten uns an diese steile Straße, die unten in den riesigen, teils offenen, teils überdachten Markt mündete.
Dieser überwältigende, alles betäubende Duft der Gewürze hätte uns längst einhüllen müssen.
Wo war er geblieben? Wo der Markt? - Doch nicht etwa da in diesen neuen, hässlichen Hallen?

Ein Einheimischer nuschelte im Vorbeigehen irgendwas von someone of your ship.
Während ich noch verständnislos nach ihm umschaute, hatte mein lieber Mann bereits entdeckt, was los war.
Ein Menschenknäuel dort drüben im Eingang zu diesen Hallen gab einen Moment lang die Sicht frei auf eine alte Frau, die blutüberströmt auf dem Bordstein hockte. Martha!
Schon rannten wir los. Martha war eine Institution an Bord, ein Dauergast auf der AMADEA.
Wir hatten zwar noch nie ein Wort mit ihr gesprochen, aber sie hatte ihren Stammplatz schräg hinter uns, und wie jeder an Bord kannten wir sie vom Hören-Sagen und Sehen.

Und jetzt war Martha wie Hans-Guck-in-die-Luft über einen hohen Bordstein am Ausgang des Marktes gestolpert und hatte sich böse weh getan. Die Bügel ihrer Sonnenbrille hatten sich gewaltsam in ihre Augenbrauen gebohrt. Das Blut triefte ihr übers Gesicht, Arme und Beine waren aufgeschrappt. Sämtliche Marktfrauen standen händeringend um sie herum, liefen nach Kleenextüchern und anderen Hilfsmitteln, um die Blutungen zu stillen. Fast hätten sie einen Krankenwagen gerufen, aber als sie uns kommen sahen und hörten, dass wir Martha kennen, gaben sie glücklich die Verantwortung ab.
Martha selber wollte nur an Bord, weder Krankenwagen noch fremden Arzt und schon gar keine Klinik. Taxi auch nicht. „Is doch nix passiert. Et geht mir doch gut.“
Also nahmen wir Martha in unsere Mitte und stützen sie zwischen uns die paar hundert Schritte vorsichtig bis zum Schiff. Die Gangway hoch: “Langsam getz, ich habbet doch en bissken an't Herz.“

Die Crew hatte gerade Seenotrettungsübung und stand in ihren dicken, roten Rettungswesten übers Schiff verteilt in den Gängen Der Doc und seine Assistentin mit Sicherheit auch.
Wir steuerten die Rezeption mit der Notbesetzung an: „Wir brauchen Hilfe! Schnell! Einen Arzt!“
Ein Blick auf Martha reichte. „Fahren Sie hoch zur Krankenstation. Ich sag Bescheid!“

Noch während wir mit Martha im Lift hochfuhren und sie sich zum ersten Mal blutüberströmt in den Spiegeln sah – „huch, wie seh ich denn aus???“, hörten wir die Lautsprecherdurchsage: Doktor…, Doktor… bitte sofort auf die Krankenstation. Doktor…bitte umgehend auf die Krankenstation. – This - is – not - part – of – the - drill! I repeat: this is not part of the drill!“ (Dies ist nicht Teil der Übung!)
Als wir aus dem Lift traten, stolperten wir mit der triefenden Martha im Arm beinahe über etliche Schwerverletzte, die auf dem Boden lagen. Nur – unser Notfall war echt!

Martha hat’s überstanden. Über dem riesigen, blauschwarzen Veilchen prangte die ebenso schwarze Naht, mit der der Doc die klaffende Wunde zusammengenäht hatte. Dagegen verblassten fast die Bandagen und Verbände an Armen und Beinen.
Martha kam aus dem Erzählen gar nicht mehr heraus…
Aber als wir uns erkundeten, wie es ihr geht, hatte sie keinen Schimmer, wer wir waren und fing an zu erzählen...
Das war Anfang November 2012.

Im Dezember 2013 saßen wir vor dem Fernseher und schauten meine Lieblings- Doku im Ersten: Verrückt nach Meer
Die MS ARTANIA, ein Schwesternschiff unserer MS AMADEA schipperte durchs Mittelmeer auf Genua zu.
Captain's Dinner:
DAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!

Wir schrien gleichzeitig auf und unsere Zeigefinger schossen vor Richtung Bildschirm!
Martha!
Da saß unsere Martha direkt neben Kapitän Hansen und knipste verlegen mit den Augen.
Und der Kapitän stellte sie auch noch vor: Namentlich sogar:
„Das hier ist unsere Martha. Sie hat schon mehr Seemeilen auf dem Buckel hat als die meisten Kapitäne. Seit 38 Jahren fährt sie um die Welt. Unsere Martha.“

Seine Martha?
Unsere Martha!

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Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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