Kolumne „Blick ins Leben“ von Heidi Prochaska

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Erholungseffekt


„Wie war dein Urlaub?“, fragte mich letztens eine gute Bekannte. Sie schaut mich ein bisschen skeptisch an, denn meine Hautfarbe lässt nicht auf Badeurlaub schließen. „Gut“, entgegne ich kurz und bündig. „Wie – gut?“, hakt sie nach, „geht es auch ein bisschen ausführlicher?“ „Na, klar“, antworte ich und lege los.

Gestartet sind wir im südwestlichsten Zipfel von Deutschland. Von dort sind wir zu dritt quer durch Frankreich bis Calais gefahren, dann auf die Fähre nach Dover. Nach drei weiteren Tagen und gut 1000 englischen Kilometern auf dem Motorrad haben wir unser Ziel erreicht: Schottland. Auf drei äußeren Hebrideninseln haben wir, neben Whiskey Destillerien, über Schotterstraßen auch entlegenste Buchten mit den einsamsten Leuchttürmen erreicht. Die kleinen gewundenen, oft einspurigen Straßen lassen das Motorradfahrerherz höher schlagen. Wir sind die komplette West-, Nord- und Ostküste entlanggefahren bis Edinburgh. Die Rückreise durch England haben wir uns gespart. Die Nachtfähre von Newcastle nach Amsterdam ist eine perfekte Alternative. Zuhause staunte ich über die Zahl auf meinen Reisekilometerzähler: 5000 km - nach 17 Tagen Motorradurlaub.

Meine Bekannte schaut mich entgeistert an. Du bist wirklich 5000 Kilometer gefahren? Auf deinem eigenen Motorrad? Und das nennst du Urlaub? Nach diesem Stress kannst du doch unmöglich erholt sein?

Ich stutzte. Am Anfang dieser Reise war ich echt urlaubsreif. Ich fühlte mich ausgelaucht und war angespannt. Und dann saß ich zweieinhalb Wochen lang täglich sechs bis zehn Stunden auf meinem Motorrad. Bei Wind und Unwetter, Sonne und Nebelschleier. Unter mir der Asphalt, neben mir grüne Hügellandschaft und das Meer. In der Nase die Aromen von frischem Gras, modrigem Moor und Salzwasser. Im Gesicht kühlender Wind und Regentropfen, die gemeinsam mit Schweißperlen Wangen strahlen lassen. Alles hautnah und intensiv. Kein einziges Mal habe ich an meine Arbeit gedacht. Mein Kopf war leer und gleichzeitig voll. Denn natürlich war ich permanent beschäftigt mit dem nächsten perfekten Kurvenradius.

Wieder daheim spüre ich Kraft, Energie und Freude an meiner Arbeit. Ich bin wach und erledige endlich Dinge, die lange liegen geblieben sind. Es geht mir gut. Wenn das mit „Erholung“ gemeint ist – dann kann ich die Frage mit JA beantworten.

Autor:

Heidi Prochaska aus Essen-Borbeck

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