Im Schatten des Krieges: Kettwiger Feldhandballerinnen erinnern sich an alte Zeiten

Zur Eröfnung des neuen Sportplatzes an der Ruhrtalstraße gab es Blumen: die Kettwiger Handballerinnen (dritte von rechts: Anna Adam) spielten vor großer Kulisse.
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Eine Reise in die sportliche Vergangenheit Kettwigs: Anna Adam (86), nach dem Krieg Handballerin beim KTV 1870, erinnert sich an Not, Gemeinschaft, lustige Anekdoten.

Wo einst der Jahnsportplatz Austragungsort so manchen heißen sportlichen Wettkampfs war, steht nun eine herrschaftliche Villa mit hohem Zaun drumrum. Ganz oben auf dem Schmachtenberg, unweit der Rheinstraße, thronte die Sportanlage hoch über Kettwig. Kurz nach dem Krieg begann hier ein kurzes, aber dennoch höchst spannendes Kapitel Kettwiger Sportgeschichte: Die Feldhandballerinnen des Kettwiger Turnvereins 1870.
„Die Beine wollen nicht mehr so!“ Aber ihre regen Augen sind beredte Zeugen eines wachen Geistes. Oft trifft sie sich mit Freundinnen, geht dann zum Beispiel aus dem Gedächtnis noch die damaligen Bewohner der Wilhelmstraße durch.
Anna Adam braucht nur die vergilbten Fotos in die Hand zu nehmen, da tauchen lebhafte Erinnerungen an ihre alten Mannschaftskameradinnen auf: „Die kenne ich Alle noch mit Namen. Einige leben schon gar nicht mehr. Hier, die Marianne war Torwart. Und die Erna Krämer war die Älteste. Sie hatte vor dem Krieg schon Handball gespielt und die Abteilung neu gegründet. Die Erna spielte Mittelstürmerin, hat uns zusammen getrommelt!“
Junge Damen, so um die 20, von den harten Nachkriegszeiten gebeutelt, aber voller Lebensfreude: „Das muss so Ende ‘45 oder Anfang ‘46 gewesen sein. Eine schöne Zeit. Klar hatten wir ständig Hunger, gab ja nix zu essen...“ Noch mit 86 Jahren ist Frau Adam heikel im Umgang mit Lebensmitteln: „Durch den Krieg haben wir gelernt, sparsam zu sein. Man kam mit so wenig zurecht...Ich kann heute noch keine Kartoffel wegschmeißen.“
Der Krieg. Immer wieder flackert der die Jugendzeit bestimmende „Weltenbrand“ auf. Die kleine Anna wohnte schon damals auf dem Schmachtenberg, erlebte so manche Bombennacht. „Wir hockten im Keller, da krachte es im Nachbarhaus. Dort saß ein Ehepaar mit der Oma im Dunkeln, die kamen oben nicht mehr raus. Man hatte aber Löcher in die Wand gehauen. Die Dame wurde durchs ziemlich enge Loch geschoben, wir zogen vorne, die Nachbarn drückten hinten. Dann war sie endlich durch, die arme Frau. Pechschwarz und ein wenig derangiert saß sie in unserem Keller - ihren Hut hatte sie aber immer noch auf.“ Da löste sich die ganze Spannung: „Was haben wir uns ausgeschüttet vor Lachen!“

Mit 12 „Mann“ gespielt

Dieser Umgang mit dem Schrecken färbte auch auf die sportliche Gemeinschaft ab. Die jungen Handballerinnen hatten viel Spaß, noch heute sprudeln die Anekdoten: „Eine Mitspielerin hatte stets drei BHs übereinander - sie war üppiger gebaut und wollte nicht im Freien stehen!“ Dann meinte eine Mitspielerin, hoffentlich merke der Gegner nicht, dass Kettwig mit 12 „Mann“ spiele. „Das war ihre Art uns zu sagen, dass sie schwanger ist!“
Zunächst wurde auf dem Jahnsportplatz gespielt, auf Rasen. Es gab eine Holzbude zum Umziehen, Duschen natürlich nicht. Dann wurde der neue Platz an der Ruhrtalstraße eingeweiht, mit Aschenbelag: „Sie können sich denken, was passierte, wenn wir auf Knien rutschten...“ Ein Vorteil: Es waren nur ein paar Meter den Berg hinunter.
Die Kettwiger Damen waren längst nicht so gut wie die 1. Herren, die liehen aber generös ihre grünen Hemden aus - für einen eigenen Trikotsatz hätte das Geld nie gereicht. Überhaupt war man damals lupenreiner Amateur, Fahrgelder oder ähnliches Utopie: „Wir haben das aus Idealismus gemacht!“ Ebenfalls „ausgeliehen“: Spieler Kurt Hasselbeck erklärte sich bereit, die Damen zu trainieren: „Bei ihm haben wir viel gelernt!“
Anna Adam spielte auf halblinks, ein laufintensiver Posten: „Anna komm“, hieß es immer. Doch irgendwann war es vorbei mit dem Aushelfen in der Abwehr: „Zweimal nach hinten rennen und die Luft war weg!“
Die sportlichen Erfolge hielten sich in Grenzen: „Wir krabbelten immer am unteren Rand lang. Wir waren nicht die Schlechtesten, haben uns aber keinen großen Namen gemacht.“ Ein Ritual war die Bitte an die Mutter: „Mama, bete für uns, damit wir gewinnen!“
Die Handballerin von einst ist erstaunt, wie es heutzutage zur Sache geht. Mit hohem Tempo und Einsatz wird gekämpft, früher ging es da gemütlicher zu: „Anfassen war verboten, da pfiffen die gestrengen Schiedsrichter ab.“ A propos Schiedsrichter, auch hier hat Anna Adam ein Schmankerl bereit: „Einmal pfiff ein Unparteiischer aus Kettwig - den kannte man.“ Auf die Frage „Willi, wie lange noch?“ reagierte der Herr in Schwarz unfreiwillig komisch: „Erstens bin ich für dich der Herr Schiedsrichter und zweitens wird hier nicht geduzt!“
Die Mitspielerin, die in der Bahn immer schwarz fuhr, das abgebrochene Waschbecken im Gasthaus - „was sind wir gerannt!“ - die Kettwigerin hat noch viele Bilder im Kopf.
Irgendwann war die schöne Zeit zuende: „Wir wurden nach und nach weggeheiratet!“ Die Mannschaft fiel auseinander. Natürlich blieb Frau Adam beim Sport, nun beim Turnverein Kettwig vor der Brücke. Mit ihren Turnschwestern unternahm sie Reisen zu den Weltspielen, der „Gymnaestrada“.

Sportabzeichen

Noch mit 50 absolvierte sie das Sportabzeichen, ihr goldenes: „Nur vorm Hochsprung hatte ich Bammel. Dann wurde die Latte durch eine Kordel ersetzt und es klappte!“ Olympia lief rund um die Uhr, Anna Adam entging nichts: „Ärgerlich, wie zum Beispiel die Schwimmer sich rausreden wollten. Können die nicht mal zugeben, dass andere besser sind?“
Ebenfalls ein Ärgerthema für die geborene Kettwigerin, die nie die Eingemeindung verwunden hat - „Essen wollte nur unsere Steuergelder!“ - ist der Bauboom. „Unser schönes Kettwig wird verschanduliert!“ In der Nachbarschaft entsteht ein neues Haus: „Fürchterlich, wie ein Bunker mit Schießscharten.“

FELDHANDBALL
Feldhandball wird auf einem Fußballplatz gespielt. 10 Feldspieler und ein Torwart treten an. Der Torraum wird markiert durch einen mit 13 Metern Abstand von der Mitte des Tores gezogenen Halbkreis. Strafwurf gibt es von14 Metern. Der wohl wichtigste Unterschied zum Hallenhandball betrifft die Regelung beim Ballführen. So darf der Ball zwischen dem Prellen gefangen werden und anschließend wieder weiter geprellt werden.

Zur Eröfnung des neuen Sportplatzes an der Ruhrtalstraße gab es Blumen: die Kettwiger Handballerinnen (dritte von rechts: Anna Adam) spielten vor großer Kulisse.
Noch auf dem alten Jahnplatz: die KTV-Handballerinnen (4.v.l.: Anna Adam) waren ein tolles Team.
Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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