Geschichtsklitterung am Rathaus
Essener Stahlbuch mit braunen Geburtsflecken

Das Stahlbuch in Übergröße in der Ausstellung vor Rathauseingang und U-Bahnzugang in der Rathaus Galerie. Dieses Gästebuch bleibt leider eine knapp 85 Jahre alte, clevere Propaganda-Idee aus der Hitlerdiktatur. | Foto: Walter Wandtke
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  • Das Stahlbuch in Übergröße in der Ausstellung vor Rathauseingang und U-Bahnzugang in der Rathaus Galerie. Dieses Gästebuch bleibt leider eine knapp 85 Jahre alte, clevere Propaganda-Idee aus der Hitlerdiktatur.
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Aktuelle Ausstellung zum städtischen Gästebuch verschweigt  nationalsozialistische Geburtsstunde

Amtlicherseits ist Essen stolz darauf, als einzige Stadt Deutschlands kein goldenes, sondern ein Gästebuch aus feinstem Kruppstahl zu besitzen. Aktuell wird in der Ratshauspassage vor dem Eingang zu Rathaus und U-Bahn eine publikumswirksame Jubiläumsausstellung zu diesen "Alleinstellungsmerkmal" gezeigt. Gut anderthalb Stunden vor der Ratssitzung am 29. Mai wurde eine Austellung zum Jubiläum dieses Stahlbuchs von Oberbürgermeister Thomas Kufen mit vielen freundlichen Worten eröffnet.
Jede Menge schwarz-weiss und später Farbfotos zeigen dort gutgelaunte Päpste, Könige und Königinnen, Boxer, Diktatoren, brave Gewerkschaftsvorsitzende und demokratische Politiker beim Eintrag in das Stahlbesuch dieser Stadt.
Ganz so freundlich friedlich ist die Essener Stahlbuch-Tradition aber nicht.
Denn leider ist es falsch, wenn auf den Texttafeln der Ausstellung in der Rathausgalerie, entstanden mit Unterstützung der Stadt Essen, behauptet wird, Bundespräsident Theodor Heuss wäre 1953 der erste Unterzeichner im Essener Stahlbuch gewesen.

85 Jahre Stahlbuch - aber kein Grund zum Feiern

Die Geburtsstunde dieses speziellen Gästebuchs war die prunkvolle Hochzeit des damaligen Essener NSDAP-Gauleiters Josef Terboven, nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht später auch bis 1945 als Reichskommissar für Norwegen berüchtigt.
Bereits am 28. Juni 1934 waren die ersten Unterschriften in das damals neu eingerichtete "Stahlbuch" von den beiden prominentesten Hochzeitsgästen und höchsten Repräsentanten des "Dritten Reichs", Adolf Hitler und Hermann Göring, in dieses Buch gesetzt worden. Zumindest zur Trauung in der Essener Münsterkirche können wir in der Stadtchronik von Klaus Wisotzky - "Vom Kaiserbesuch zum Eurogipfel" das entsprechende Hochzeitfoto nachblättern. Dort finden wir auch die inhaltliche Begründung zum Start dieser neuen Tradition:  „Auf Anregung von Oberbrügermeister Theodor Reismann-Grone wird als Gästebuch der Stadt ein Stahlbuch angelegt, da die Stahlstadt Essen und die eiserne Zeit kein Goldenes Buch dulde. Für den Einband wurden Stahlplatten verwandt, die bei der Firma Fried. Krupp aus einem 1500 Kg wiegenden, gegossenen Block aus nichtrostendem Chrom-Nickel-Stahl herausgearbeitet wurden.“
Nach dem für Nationalsozialisten nicht mehr zu toppendem Auftakt folgen bis Kriegsende 1945 noch jede Menge weiterer brauner Prominenz und hochdekorierte Wehrmachtskämpfer.
Essen besaß vor 1934 tatsächlich auch kein anderes goldenes oder ähnlich hervorgehobenes Gästebuch. Die demokratisch gewählten Essener Ratsherren und Ratsfrauen der Weimarer Republik waren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 augenscheinlich gut ohne so ein Schmuckstück ausgekommen.

Eine Idee von NS-Oberbürgermeister Reismann-Grone

Die Stahlbuchtradition bleibt eine Idee des damaligen NS-Oberbürgermeisters Theodor Reismann-Grone, der die neue nationalistisch kriegerische Kultur des "Dritten Reichs" hervorheben wollte.
Die künstlerische Qualität der komplexen Gestaltung des stählernen Bucheinbandes mit seinen Einlegearbeiten der Künsterin Frida Schoy, die Zeit ihres Lebens eng mit den Ateliers auf der Margarethenhöhe und später der Folkwangschule für Gestaltung verbunden war, soll damit nicht herabgewürdigt werden.
Das Stahlbuch, Symbol einer undemokratischen, menschenverachtenden Diktatur, als Stolz einer Gauhauptstadt, die sich selbstbewusst "Rüstungsschmiede des Reichs" titulierte, müsste aber schon lange ins "Haus der Essener Geschichte" ausgelagert werden.
Für die aktuelle Stadtwerbung einer ehemaligen Kulturhauptstadt darf es eigentlich gar nicht weiter genutzt werden. Wenn das Management der Rathauspassage die braune Geburtsstunde des Stahlbuch nicht thematisieren will, ist das kaufmännisch verständlich - für die Ausstellungsmitarbeit durch die Stadt Essen ist diese Auslassung unakzeptabel.
Minimal ist von der Stadt Essenzu fordern, dass die Ausstellung mit kritischen Hinweisen um die fehlenden ersten 11 Jahre ergänzt wird.

Immerhin: Wer sich auf der Webseite der Stadt Essen zum Stichwort "Stahlbuch" und den Informationen des Essener Stadtarchivs durchklickt, kann durchaus deutliche und korrekte Informationen zur NS-Geschichte dieses städtischen "Ehrenbuchs" erhalten. Es muß für eine Kommune wie Essen aber gerade darum gehen, auf einfachen, klaren Wegen die braun-totalitären Phasen unserer Geschichte kenntlich zu machen und nicht bewußt zu verschleiern.

Mehr Hintergründe zur Geburtsstunde des Essener Stahlbuch

Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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