Betriebe beim Pandemieschutz außen vor
Warum hat der 2. Lockdown nicht als „Wellenbrecher“ gewirkt?

Tatsache ist, dass seit Beginn der Pandemie drei ganz entscheidende Infektionsquellen völlig außer Acht gelassen werden: die Schulen, der öffentliche Nahverkehr und vor allem die Betriebe. Denn die oberste Maxime der Corona-Politik der Regierung ist: Profite sichern steht an erster Stelle, dann erst kommt die Gesundheit!

Auch im Dritten „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 19.11.2020 fehlen deshalb jegliche Vorschriften für die Unternehmen. Gehören also die mindestens 37 Millionen, die weiter direkt an ihren Arbeitsplätzen in den Betrieben arbeiten nicht zur schützenswerten Bevölkerung? Wir haben also eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“, die ausgerechnet um die Betriebe einen großen Bogen macht?

Über die Lage in den Betrieben erfährt man kaum etwas, muss es sich mühsam zusammensuchen und kann dann doch davon ausgehen, dass viel mehr unter den Teppich gekehrt wird, als bekannt wird. Außer in den Hotspots wie der Fleischindustrie wurde in der Industrie überhaupt kein Lockdown durchgeführt. Trotzdem will das Robert Koch-Institut zum Stichtag 14.8.2020 lediglich 5.824 Infektionen am Arbeitsplatz gezählt haben. Mindestens die Hälfte davon gingen allein auf das Konto der Fleischindustrie, angefangen mit den 1.553 Infizierten im Tönnies-Schlachtbetrieb Rheda-Wiedenbrück.

Tatsache ist, dass es seit Ausbruch der Pandemie ununterbrochen Ausbrüche insbesondere in der Fleischindustrie gab, erst jetzt wieder bei Tönnies im sächsischen Weißenfels. Es gab aber auch Ausbrüche bei Amazon, in mehreren Verteilzentren der großen Logistikkonzerne wie DHL und DPD, im Chemiepark Marl, beim Autozulieferer ZF, bei Frosta, Gerresheimer Glas, in einer Lederfabrik in Baden-Württemberg, bei großen landwirtschaftlichen Betrieben mit vielen Saisonarbeitern, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das Bundesarbeitsministerium plante zu Beginn der Pandemie noch Arbeitsschutzregeln für die Betriebe. Über einen Entwurf kam das nie hinaus, weil die Kapitalistenverbände das zu verhindern wussten. Schließlich gehen ihre Vertreter in den Ministerien ein und aus. Erst im August 2020 beschloss das Arbeitsministerium eine sogenannte „SARS-Cov-2-Arbeitsschutzregel“. Sie ist nicht einmal eine Verordnung und hat rechtlich einen untergeordneten und völlig unverbindlichen Status. Sie enthält lediglich Soll-Bestimmungen zum Maskentragen und Umorganisieren der Betriebsabläufe – aber es gibt keine Sanktionen. Und es gibt keinerlei Kontrolle.

Während in den Städten Deutschlands das Abstandsgebot in Parks, Straßen, Spielplätzen und Geschäften kontrolliert wird und Bußgelder verhängt werden, findet in den Betrieben keinerlei Kontrolle statt. Weder Polizei, noch Zoll, noch Gewerbeaufsicht oder Gesundheitsämter setzen je einen Fuß in einen großen Industriebetrieb – es sei denn, ein Corona-Ausbruch ist schon erfolgt. Ohne Streiks und andere Kampfaktionen von Belegschaften für besseren Gesundheitsschutz sähe es noch schlimmer aus. Dieser Zustand muss beendet werden. Dazu müssen in den Betrieben die Arbeitsabläufe so geändert werden, dass Abstand und Hygiene auch machbar sind. Es muss systematisch in den Betrieben getestet werden. Dazu braucht es mehr Pausen und kürzere Arbeitszeiten. Dazu braucht es vor allem mehr Kontrollen. Und wenn die Gewerbeaufsicht das nicht leisten kann – die Arbeiter könnten das auch ganz gut selbst kontrollieren, wenn man sie ließe.

Autor:

Bodo Urbat (Essen steht AUF) aus Essen-Nord

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