Spaziergang im Emscherpark - Verträumt oder vernachlässigt?

Wer will sich schon in die Nesseln setzen? Rest-Bank gegenüber der "Schwelle".
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  • Wer will sich schon in die Nesseln setzen? Rest-Bank gegenüber der "Schwelle".
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Spaziergang im Emscherpark - Verträumt oder vernachlässigt?

Der Emscherpark: Ein kleiner Park im Essener Norden, bei dem die Stadt Essen es wohl ein wenig zu gut meint mit dem Grün. Er entstand Anfang der 70er Jahre auf einer ehemaligen Bauschuttdeponie. Irgendwann später wurde der Park aufgehübscht, was aber auch schon eine Weile in der Vergangenheit liegt. Täglich spaziere ich mit meinem Hund durch diesen Park, mitten im Nirgendwo zwischen Altenessen und Gelsenkirchen. Er hat schon einen gewissen Charme, da er ziemlich „wild“ ist. Nun sind auch meine wilden Jahre schon länger vorbei, und ein wenig mehr Pflege stände dem Emscherpark ganz gut. Die einen nennen es romantisch verträumt; beim Absetzen der rosaroten Brille könnten Miesmacher das auch als vernachlässigt bezeichnen.

Auf dem Weg dorthin treffe ich eine ältere Dame aus dem angrenzenden Seniorenheim an der Lohwiese, die mit ihrem Gehstock unterwegs ist. Ich frage sie, ob sie mich ein Stück begleiten möchte. Ich kenne sie schon länger, sie hatte selbst mal einen Dackel. Der lebt jetzt aber bei ihrem Neffen, da sie die Hündin aufgrund starker Kniebeschwerden nicht mehr selbst ausführen kann. Man kennt sich und die Geschichten der Leute eben hier in unserem Dorf.
"Ach nein", erwidert sie, "Da unten stand mal eine Bank, auf der ich ein Päusken machen konnte. Die ist aber nicht mehr da, und den ganzen Weg schaffe ich nicht mehr."
Sie schaut mich traurig an.
"Aber da ist doch noch eine andere Bank.", erwiderte ich.
"Ach, da liegt immer so viel Müll, da sitze ich nicht gerne. Ich gehe hier nur ein Stück die Straße entlang."
Sie wünschte mir noch einen schönen Tag und ich machte mich auf in den Park.

"Hatschi!", und nochmal „Haatschiaaaa!“. Ein akuter Niesanfall – Gräser, Pollen und die Mai-Sonnenstrahlen kitzeln in der Nase. Schnell habe ich ein Taschentuch herausgeholt und ab damit in den nächsten Abfallbehälter. Abfallbehälter? Da war doch einer gerade am Eingang? Ach, zurücklaufen macht keinen Sinn, also habe ich es in die Hosentasche gestopft.
Ich sehe die Stelle, an der einmal die Bank stand, von der die Dame sprach. Tatsächlich, sie wurde nicht repariert, nachdem irgendjemand das Holz abmontiert hatte. Auch das Grundgerüst aus Metall ist mittlerweile verschwunden.
Ein paar Meter weiter, hinter den drei Eichen, die nach dem Sturm „Ela“ noch verblieben sind, ist eine schöne, runde Sitzgelegenheit mit einem Baum in der Mitte. Hübsch - bis auf die Glasscherben und anderer Unrat, der dort liegt.
Ich ziehe eine Tüte aus der Jackentasche, sammle die Glasscherben und Kronenkorken ein, damit kein Kind oder Hund sich daran verletzt.

Die Tüte in der einen und die Hundeleine in der anderen Hand gehe ich weiter.
„Ach, wat is dat schön hier!“, denke ich so. Ich atme tief ein. An den „Duft vom schwatten Fluss“, der Emscher, die manchmal bei niedrigem Wasserstand etwas muffelt, hat sich mein Geruchssinn schon gewöhnt.
Mir fällt auf, dass die Wege immer weiter zu wachsen. Mein Hund verschlägt sich halb ins Gebüsch, um sein Geschäft zu erledigen, aber eben nur halb. Also ziehe ich eine weitere Tüte aus meiner Jackentasche, um die Hinterlassenschaften meines Hundes zu beseitigen, damit keiner hineintritt.

Die Hecke ein paar Meter weiter erinnert mich ein wenig an Weihnachten. Statt mit bunten Kugeln ist sie allerdings mit roten, grünen und schwarzen, prall gefüllten Kotbeuteln behangen. Sogenannte umweltbewusste Hundehalter haben zwar ordnungsgemäß den Hundekot in Beuteln verpackt, dann aber mangels entsprechender Behältnisse einfach in die Botanik geschleudert, in der sie nun neben blühenden Sträuchern für etwas Farbe sorgen. Falls jemand also noch eine Solar-Lichterkette hat, kann er sie ja dort aufhängen, um die Spaziergänger in die richtige Stimmung zu versetzen. Vielleicht ist das aber auch Kunst, man weiß es nicht.

Mit zwei Tüten und Hund umrunde ich die große Wiese. Oben an der Wiese stehen zwei Bänke, die mit Keks-Verpackungen, leeren Zigarettenschachteln und anderem Müll "dekoriert" wurden. Die dritte Tüte wird mit der bis auf die Leinenschlaufe fast freien Hand aus meiner Jackentasche gezogen. Ich sammele alles ein, inklusiver der grünen, scharfkantigen Plastikteile und braunen Scherben einer Bierflasche. Es passt gerade so in eine meiner Tüten.

Plötzlich ertönt panisches Gekläffe von meinem kleinen Hund, der mich gerade noch etwas verdöst beim meditativen Aufsammeln beobachtet hat.
Schon höre ich Gekreische: „Der tut nix!!!“
Hä? Wer? Das sah ich auch schon ein großes, blondes Ungetüm auf meine Fußhupe zu brettern. Mein Hund bekommt fast einen mittelschweren Herzinfarkt und schreit, als wenn es um sein Leben gehe. Ich stelle mich schützend vor ihn, doch der Blondie ist schneller.
„Bääääärchen, hierhin, hieeeerhin!“, ruft die Stimme, die einem weiblichen Geist gehören muss, denn es ist niemand zu sehen.
„Bääääääärchen, hier bei Fuß, kommst Du wohl her… „Komm-hierhin-gezz-sofort-hat-die-mama-gesagt!“, schreit die Frau, die langsam um die Ecke schlendert.
Doch es ist zu spät. Das blonde Bärchen hat den Winzling schon am Kragen. Mein Kampfpinscher schlägt zur Verteidigung seines Lebens seine Zähne in die Flanke des Angreifers. „Tut-nix-Bärchen“ will ihn am Nacken packen und schütteln, doch er rechnet nicht mit mir und meinem Beschützertrieb. Zack - den Blondie am Halsband und zack - den eigenen Zwerg am Nacken gepackt und beide getrennt. Da stehe ich nun, in der einen Hand die Müllbeutel und einen um sich schnappenden Pinscher, an der anderen Hand einen blonden Kampfwerwolf.
„Was machen sie da mit meinem Hund?“, ruft die Halterin entsetzt, während ihr Schritt dann doch schneller wird.
„Können sie den nicht an der Leine halten?“, frage ich, mittlerweile mit lahmen Armen und etwas aus der Puste. Sie greift nach ihrem Hund und leint ihn an.
„Wehe, sie haben ihm weh getan!“, keift sie mich wütend an.
„Hier ist Leinenpflicht!“, erwiderte ich, „Das ist ein öffentlicher Park!“
„Wehe, mein Bärchen ist verletzt! Wenn dein Hund beißt, muss er einen Maulkorb tragen!“, regte sie sich auf.
Na klar. Mein Hund, knapp 10 Kilo, der sich nur gegen einen 35 Kilo „Der-tut-wohl-was“ verteidigt, ist schuld. Noch immer voller Adrenalin betrachtet ich die beginnenden Schwellungen und Verfärbungen auf meinem Unterarm, die von Zahnabdrücken des Tut-Nix umrandet sind.
Den weiteren Gesprächsverlauf erspare ich an dieser Stelle dem Leser. Letztendlich ist keiner wirklich verletzt. Ob die Schilder mit der Aufforderung, Hunde anzuleinen, wohl schon in Arbeit sind? Es ist ja erst zwei Jahre her, seit ich an den ortsansässigen Politkern im persönlichem Gespräch und auch in Chats diese Bitte herangetragen habe. Bestimmt werden die bald aufgestellt, obwohl sich dann auch niemand daranhalten wird, der es nicht einsieht oder will. Wäre aber doch einen Versuch wert?
Nach ein paar Minuten tiefen Durchatmens gehe ich weiter.

Auf dem recht neu asphaltierten Weg, auf dem sich bei starkem Regen ganze Schwimmbäder ansammeln, weil die Erbauer des Weges es mit der Ebenheit des Asphalts nicht so genau genommen haben, bestaune ich eine weitere Bank, die nicht wirklich einladend ist, da Teile fehlen. Zumindest kann man sich dort "in die Nesseln" setzen, aber wer will das schon? Sie steht gegenüber einem wirklichen Kunstwerk.
Von dieser Bank aus sollte man wohl ursprünglich „Die Schwelle“ vom Bildhauer Raimund Kummer betrachten können. Dieses riesige Ding ist ein sieben Meter hohes Tor aus Granit. In diesem Tor sind zwei schwingende Türen aus Kunststoff, durch die man hindurchgehen kann. Seit Ende der 80er Jahre steht sie dort, mitten im Grünen. Ab und zu, wenn ich mit meinem Hund an dieser Stelle spiele, knibble ich auch die Aufkleber ab, die mir irgendetwas sagen sollen, es aber nicht tun. Der Sinn dieses Kunstwerks erschließt sich mir auch nicht wirklich, aber es ist eben Kunst und das kann dann bleiben. Stört ja auch nicht. Farbschmierereien werden allerdings ab und zu entfernt. Von irgendeinem Punkt aus sollte man auch zur Schurenbachhalde blicken können, auf der ein weiteres, bekannteres Kunstgebilde steht: Die Bramme. Kann man aber nicht, weil alles zu gewuchert ist.
Scheinbar ist noch gar nicht aufgefallen, dass die Bank, von der ich gerade schrieb, einen oder zwei Meter zu weit links steht, wenn man denn Platz nehmen würde, sodass man diesen Giganten von dort gar nicht sehen kann. Da dies aber sowieso nicht möglich ist, weil sie ja seit Jahren kaputt und von Brennnesseln überwuchert ist, gehe ich einfach weiter.

Dann kommt endlich der ehemalige Grill- und Spielplatz. Die Kletterspinne steht schon lange nicht mehr und wurde auch nicht durch andere Spielgeräte ersetzt, die Schilder, die auf einen Spielplatz hinweisen, wurden entfernt. Jede Menge Grünzeug wuchert dort und ich frage mich, wann die Natur sich diesen Platz komplett zurückerobert haben wird. Die beiden grünen Abfallbehälter sind zwar durch Graffiti und Aufkleber bunter, aber nicht schöner geworden. Immerhin hängen sie noch dort. Vor Jahren, als ich dort war, gab es sie noch nicht. Ich wunderte mich, denn wer plant einen Grillplatz mit gegenüberliegenden Spielgeräten für Kinder, ohne an die Müllbeseitigung zu denken?
„Ziemlich daneben!“, dachte ich damals. Ein netter Herr aus der Bezirksvertretung hat sich dann darum gekümmert. Nach einigem Hin- und Her gab es dann zwei Stück, die auch oben abgedeckt sind, damit die Rabenvögel nicht so schnell alles herauszupfen können oder der Inhalt durch starken Wind wieder umherfliegt. Wieso macht man das eigentlich nicht grundsätzlich bei allen Papierkörben? Also, bei den wenigen, die wir hier so haben?

Gestern fand hier ein Picknick einer großen Familie statt. Ich wurde eingeladen, daran teilzunehmen, hatte aber leider keine Zeit. Während des Gesprächs fütterten die Kinder meinen Hund mit Knoblauchwurst und Fladenbrot - sehr zu seiner Freude, weniger zu meiner. Na, Mittagsfutter für den Hund gespart.
Heute erblicke ich weder Abfälle noch sonstigen Unrat, der befand sich nämlich in den Abfallbehältern, wo er hingehört. Danke an die Familie!
Dort landen auch meine drei Tüten. Ich bin froh, dass ich sie endlich los bin. Gegenüber stehen zwei Bänkchen, und auf einer davon möchte ich die Sonne etwas genießen. Es ist so schön ruhig und friedlich... doch auch die Disteln fanden diesen Platz sehr schön und belagerten die beiden Bänkchen, so gehe ich weiter.

Die Kleingartenanlage ist durchzogen von leckerem Duft nach Grillfleisch und Holzkohle. An der bunt bemalten Bank vor dem Vereinsheim liegen die passenden Verpackungen von mariniertem Fleisch, die mein Hund sehr spannend findet. Natürlich darf er nicht daran, es sind aber auch schon genügend Fliegen und eine tote Maus neben den Schachteln.
Als ich sie einsammeln will, landet mein linker Fuß in einem großen Hundehaufen. Nach halbwegs gründlicher Reinigung meines Schuhs mit Taschentüchern, die zusammen mit den zerquetschten Resten des Hundehaufens in der vierten Tüte landeten, nehme ich die mittlerweile fünfte Tüte aus meiner Jackentasche, um die Plastikschalen und die tote Maus dort zu verstauen.
Mit nun wieder zwei Müllbeuteln in der linken Hand und der Leine in der anderen Hand gehe ich den Weg hinunter zur Lohwiese, eine Verbindungsstraße zwischen dem nördlichsten Essen und Gelsenkirchen-Horst. Gleichwohl beliebte Rennstrecke für spätpubertierende Raser, die aufgrund der verbauten Verkehrsberuhigungs-Huckel auch gerne mal zur schnittigen Slalomfahrt ungeachtet der Fußgänger und Radfahrer gemacht wird. Ein paar Meter neben dem Parkausgang war doch auch noch ein Mülleimer? Ja, war! Leider hatten den jemand scheinbar versehentlich durch einen kräftigen Tritt ins Universum befördert und zieht nun als Weltraummüll durch die Galaxie. Oder liegt in einem Gebüsch und wartet auf die nächste Pico-Bello-Aktion.
Nun gut, ich ziehe also weiter die Straße entlang und finde endlich einen intakten Abfallbehälter mit einem hübschen Aufkleber zum Thema Müllentsorgung.
"Was kosten solche Aufkleber und wie viele Müllbehälter und Bänke hätte man für dieses Geld aufstellen können?", schießt mir so durch den Kopf.
Ich erspare es mir, die Verbindungsstraße weiter entlang zu den Altpapier- und Flaschencontainern zu gehen. Mein Bedarf an Müll ist für heute gedeckt und die zusätzlich regelmäßig vorzufindenden Kühlschränke, Fernseher und Kinderwagen nebst Spülbecken und zerrissenen Altkleiderbeuteln passen nicht mehr in meine Tüten. Den Friedhofseingang zieren ein weiterer, frischer Hundehaufen und zwei zerdrückte Alu-Getränke-Tüten. Ich tue einfach mal so, als hätte ich das nicht gesehen und lasse das liegen, so, wie alle anderen auch, wie ich am nächsten Tag feststelle. Außerdem neigt sich mein Tütenvorrat bedrohlich dem Ende.

In der Ferne brummt ein Rasenmäher und ein einsamer Karnaper setzt Rasenkantensteine in seinen neu angelegten Vorgarten. Fast geschafft, gleich bin ich Zuhause! Schnell noch an dem mit von Narrenhänden verunzierten Haus vorbei, an dessen halb zerbröselter Eingangstreppe ganz untypisch für unseren Stadtteil das Unkraut wuchert.
In einem anderen Vorgarten liegen nahe des Straßenrandes ordentlich gestapelt ein paar alte Bratpfannen, die man sich mitnehmen kann. Erfahrungsgemäß finden diese Dinge auch immer schnell einen neuen Besitzer, manchmal ist auch ein Zettel mit der Aufschrift „Zu verschenken“ daran befestigt. Klar, befestigt, damit er nicht wegfliegt und die Straße sauber bleibt.
Fast zu Hause angekommen zerre ich schon die nächste, vorletzte Tüte in weiser Voraussicht aus meiner Jackentasche. Ich entferne die üblichen 3 Hinterlassenschaften irgendwelcher Hunde von dem Grünstreifen vor unserem Haus ebenso wie den Katzenkot fremder Katzen aus unserem eigenen Vorgarten. Schwupps - ab in unsere Mülltonne damit!
Die leere Bierflasche, die auf dem Verteilerkasten an der Ecke steht, nehme ich aber mit ins Haus. Zusammen mit den Getränkedosen und Colaflaschen der letzten Tage habe ich so genügend Pfandgeld, um wieder neue Tüten zu kaufen. In der Hosentasche, in der sich das Pfandgeld gelegentlich befindet, knubbelt zwischen den Cent-Münzen vom letzten Spaziergang dann auch noch das Taschentuch von meinem Niesanfall.... das habe ich ganz vergessen...

Autor:

Simone (Mone) Stodiek aus Essen-Nord

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