"Essener Norden war Bildungs-Notstandsgebiet": Gymnasium Am Stoppenberg wird 50

Bischof Hengsbach mit Schülern auf dem Kapitelberg1967
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1966 kamen nicht nur die Beatles nach Essen: Vor fünfzig Jahren wurde auch das Bischöfliche Gymnasium Am Stoppenberg als erstes Tagesheim-Gymnasium in Nordrhein-Westfalen gegründet. Die Idee war seinerzeit einzigartig und visionär: Im industriellen Norden sollten Kindern aus Arbeiterfamilien neue Bildungschancen eröffnet werden.

Mama war zwar da, konnte aber nicht bei Mathe helfen, und Papa konnte kein Latein: Im Essener Norden war es in den ausgehenden Sechzigern für Kinder aus bildungsfernen Familien nahezu unmöglich, Abitur zu erlangen. Erschwerend hinzu kam, dass es kein Gymnasium für Kinder gab, die in Schonnebeck, Katernberg oder Stoppenberg wohnten. Ohnehin pendelten nur wenige Schüler zwischen den nördlichen Stadtteilen und der City. Die „Deutsche Bildungskatastrophe“ war damals ein Schlagwort. Mehr Abiturienten sollten her, denn Deutschland stach im internationalen Vergleich negativ heraus. Um Kindern im Norden neue Bildungschancen zu ermöglichen, entschloss sich die katholische Kirche Mitte der Sechziger, in Stoppenberg das erste Tagesheim-Gymnasium in NRW zu errichten. „Weil wir in dieses Bildungs-Notstandgebiet gingen, mussten wir mehr bieten, als eine Halbtagsschule“, so Gründungsdirektor Karl Heinz Brokerhoff. Sein Konzept: Eine Reform des „verkopften“ Gymnasiums. Die Schulgründung fiel zudem in eine Zeit extremen Lehrermangels. „Es war nicht einfach, Lehrer zu finden, die auf die Beamtung verzichteten und katholisch waren“, so Brokerhoff.

Start in Provisorium am Katernberg

Start war in einem Provisorium in Katernberg am „Neuhof 28“. Unter dem Dach eines Siedlungshäuschens raufte sich das erste kleine Lehrerkollegium. Bis der Schulkomplex fertig gestellt war, gab es drei Klassen bestehend aus 110 Sextanern und 25 Realschulabsolventen. Schließlich wurden einige Jahrgänge in ehemaligen Reichsarbeitsdienst-Baracken, sogenannten „Schulpavillons“, unterrichtet. Der „Ehemalige“ Norbert Zimmermann erinnert sich: „Ganztagsunterricht, Mittagessen, beaufsichtigte Schulaufgabenhilfe und ein breites Neigungsgruppen-Angebot wurden angepriesen. Besonders wichtig für uns Schüler war jedoch die Fünf-Tage-Woche. So etwas gab es bisher noch nicht.“ Zwei Jahre nach Eröffnung der Schule konnte 1968 das erste Abitur bei Schülern eines Aufbauzugs für Realschüler abgenommen werden. Im selben Jahr wurde auf der Kapitelwiese auf einem Grundstück von 90.000 Quadratmetern der Grundstein für den Neubau gelegt. „Das war ursprünglich Sumpfland, in dem nicht gebaut werden durfte“, erzählt Karl Heinz Brokerhoff. „Als wir den Wunsch äußerten, hier eine Schule zu bauen, hat man uns ausgelacht.“ Schließlich ließen sich die „Zechenbosse“ von der Konzeption begeistern. Im Mai 1972 war Einweihung. 1974 wurden auch Mädchen am Gymnasium zugelassen. Karl Heinz Brokerhoff legte auch Wert darauf, dass die Schüler nicht nur eine Chance auf Bildung, sondern auch Einblicke in die Bereiche Gartenbau und Tierhaltung bekamen. Im sogenannten „Hühnerhof“ wurde Geflügel gehalten und von Schülerinnen und Schülern betreut. Das Lernen erfolgte unter dem Pestalozzi-Motto „Mit Kopf, Herz und Hand“ auch in den Handwerksbereichen Holz, Textil und Metall. Ein schulpsychologischer und sozialpädagogischer Dienst wurden eingerichtet, Sportstätten und Freizeiträume etabliert.

Schülertheater, die Präsentation musikalischer und künstlerischer Schülerarbeiten: Mit diesem kulturellen Angebot wandte sich die Schule nicht nur an Schüler, Lehrer und Eltern, sondern auch an die Bevölkerung des Umfelds. Die Theater Essen, Gelsenkirchen und Oberhausen kamen zu Gastspielen. Die Presse, die bei Gründung jubiliert hatte („Eine Milieusperre ist durchbrochen!“), verlieh der Schule den Titel eines „Kulturzentrum im Essener Norden“. „Einen Bildungsnotstand gibt es nicht mehr, aber ein wenig einen Erziehungsnotstand“, sagt Rüdiger Göbel, seit sieben Jahren vierter Schulleiter am Bischöflichen Gymnasium Am Stoppenberg. „Wir versuchen ganz viel zu unterstützen, zu begleiten und mit Familien in Kontakt zu treten. Der Job ‚Schüler’ ist kein leichter Job. Der Erwartungsdruck vonseiten der Eltern und der Gesellschaft ist hoch. Wir versuchen das durch unsere Ganztagsstruktur aufzufangen.“ Hierfür verfügt die Schule über ein Begleitpaket aus Schulsozialarbeitern, Schulpsychologen und einem Seelsorger. Heutzutage sei Ganztag wichtig, weil in Familien viel gearbeitet würde, so Göbel. Er fährt fort: „Wir tragen den veränderten Familienstrukturen Rechnung. Als Tagesheimeinrichtung wollen wir, dass sich die Schüler hier zuhause fühlen. Es herrscht ein anderes Miteinander und viele Möglichkeiten sich zu begegnen.“ Neben einem gemeinsamen Mittagessen bietet die Schule unter anderem 39 Neigungsgruppen, Arbeitsgemeinschaften als Freizeitangebote, Handwerksunterricht, musische, künstlerische Bildung und Sportangebote an.

Info:

Das Gymnasium Am Stoppenberg ist Teil des bischöflichen Schulzentrums, zu dem eine Hauptschule, Realschule gehören. Alle drei Geschwisterschulen bieten als Tagesheimschulen ein ganztägiges Bildungs‐ und Erziehungsangebot. Das Gymnasium beherbergt knapp 900 Schüler aus 23 Nationen. Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund liegt bei 24 Prozent. Derzeit gibt es 23 Seiteneinsteiger aus Flüchtlingsfamilien. Die Einrichtung bietet seit mehr als 40 Jahren Handwerksunterricht ab Klasse 7 an. In Werkstätten können sich die Schülerinnen und Schüler für den Bereich Holz, Metall oder Textil entscheiden.

Das Jubiläumsjahr:

Am Mittwoch, 20. April, findet der offizielle Festakt mit geladenen Gästen (darunter Landesschulministerin Sylvia Löhrmann als einer der Ehrengäste) statt. Am 3., 4. Und 11. Juni folgt um 19.20 Uhr eine Jubiläumsrevue sowie am 11. Juni eine 50-Stunden-Aktion der Sozial-AG . Am 1. Oktober findet ein großes Ehemaligentreffen statt. Für eine Ausstellung werden noch Selfies von Ehemaligen mit Stücken aus dem Handwerksunterricht gesucht. Kontakt unter Telefon 0201/8310071 oder thobu@gymstopp.de.

Autor:

Marjana Križnik aus Düsseldorf

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