Das war los im Norden - Jahresrückblick 2012

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Mit der Zeitung von heute wird der Fisch von morgen eingerollt. Oder aber der Kakadu-Käfig ausgelegt, wie uns eine, nun ja, Nicht-Leserin verriet. Darum gibt es zum Jahresausklang, wie gewohnt, eine nicht immer ganz ernst gemeinte Rückschau auf 102 Ausgaben Nord Anzeiger.

Beam me up,
Schrotty

Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten? Der Eindruck drängt sich beim Durchblättern unserer gesammelten Werke auf. Wilder Gebrauchtwagenhandel hier, störendes Gewerbe dort.

Glauben Sie uns: Wir sind nicht scharf darauf, den Norden kaputt zu schreiben. Daher machen wir es diesmal ganz anders, und lassen die Schandflecken im Jahresrückblick außen vor – wo der Schuh in Ihrem Viertel drückt, wissen Sie ohnehin am Besten. Außerdem müssen wir Ihnen ja nicht gleich zu Beginn dieser Rückschau die Vorfreude aufs neue Jahre verhageln.
Stattdessen stellen wir zufrieden fest, dass der Norden nicht erst bis 2030 auf Abhilfe warten muss.

Der Reifenhandel unter einem Wohnhaus an der Altenessener Straße verschwindet beispielsweise ganz flugs. Eine entzündliche Kautschukfarm unter dem Schlafzimmerfenster beschert eben keine geruhsamen Nächte, das sieht auch die Eigentümerin der Immobilie schnell ein.

Eine Bürgerinitiative klopft einen Grundstückseigner an der Stapenhorststraße weich. Nachdem er feststellen muss, dass ein Gebrauchtwagenhandel zwischen Kindergarten, Schulen und Seniorenwohnungen nicht gerade erwünscht ist, steht die Fläche nun zum Verkauf.

Dass gut Ding Weile haben will, zeigt sich in Altenessen am ehemaligen Möbelbahnhof sowie am alten Schweinemarkt, der aus Imagegründen nicht mehr so heißen darf. Wohnen und Einzelhandel befinden sich in der Pipeline. Geht doch!

Vom Tal der
fliegenden Messer zum Szeneviertel

Dass Stadtentwicklung kein Schimpfwort sein muss, offenbart sich in der nördlichen Innenstadt. Dort grünt die Grüne Mitte. Der Bibliotheksturm ist zwar zusammengestürzt, bevor er überhaupt in Angriff genommen wird, dafür erfolgt der Spatenstich für das Hörsaalzentrum für die Uni Essen. Und Allbau begrüßt die ersten Bewohner. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass die Menschen irgendwann üppige Mieten zahlen werden, um im „Tal der fliegenden Messer“ (ein alter Name fürs Segeroth-Viertel) zu leben?

Vom Lückenschluss zwischen City-Kern und Universität profitiert auch die nördliche Innenstadt. Parken in der Innenstadt ist kein Zuckerschlecken, trotzdem muss das elende Parkhaus an der Rottstraße weichen. Überhaupt verliert das Quartier nördlich der Porschekanzel allmählich seinen Muff – sieht man von den verfaulten Gestalten ab, die sich dort zum Zombie-Walk versammeln. Mit dem Generationen-Kulthaus auf der Viehofer Straße eröffnet der etwas andere Unternehmer Reinhard Wiesemann eine Ideenwerkstatt für Jung und Alt. Und rettet nebenbei die sanierungsbedürftige Kreuzeskirche. Es lohnt sich wieder, mit offenen Augen durchs Nordviertel zu schlendern. Auch wenn der Erotik-Weihnachtsmarkt schon vorbei ist.

Wer baggert hier
den Norden an?

Der Norden erweist sich als attraktiver Wirtschaftsstandort: Ob im Carnaper Hof, Gewerbegebiet M1 oder Econova-Gelände. Da vermag auch das von Harmuth geplante, mächtige Windrad die „Vermarktungsserie“ (O-Ton Essener Wirtschaftsförderung) am Stadthafen nicht stoppen. Nur auf dem Rhein-Herne-Kanal blubbern lediglich ein paar Luftblasen: Die Marina bleibt auf Tauchstation.

Die Mutter aller Discounter, Aldi, baut am Schonnebecker Markt, das Allee-Center in Altenessen ist mit Kaufland und ProMarkt mehr als wieder komplett. In Stoppenberg werden Lebensmittelläden schneller hochgezogen als Gartenlauben repariert: Beim Bau des REWE-Marktes an der Hallostraße grabscht eine Baggerschaufel ins Nachbargrundstück – ein Anwohner steht ohne Rückwand da. Nach sechs Monaten gibt es dann doch eine Spanplatte spendiert. Bevor Gerüchte aufkommen: Mit dem Versiegen der Stiftsquelle haben diese Arbeiten nichts zu tun – das sprudelnde Unternehmen verlässt Stoppenberg aus freien Stücken.

Obwohl es nur drei Teile sind, ist es ein kompliziertes Puzzle: Einzelhandel, Kita am Markt, Sportpark Lohwiese – das fertige Bild ergibt die Neue Mitte Karnap. Es wird allerdings mindestens zwei Jahre dauern, bis die Karnaper das vollständige Motiv erkennen können. Noch länger wird das Drainage-System, das den Stadtteil jenseits des Kanals vor dem „Absaufen“ bewahren soll, auf sich warten lassen. Wer zahlt die Zeche? Noch ist diese Frage unbeantwortet.

Ma‘a as-salama
Hani Yamani

‚Zechpreller‘ auch auf Zollverein. Scheich Hani Yamani kommt seiner Zahlungsverpflichtung für das Areal, auf dem der Folkwang Design-Campus, ein Hotel und Gewerbe geplant sind, nicht nach. Dabei möchten die Studenten bereits Mitte 2014 das Welterbe bevölkern. Land und Scheich schieben sich gegenseitig die Schuld am Scheitern des Deals zu – Rechtsstreit nicht ausgeschlossen.

Dass Anwohner im Schatten des Doppelbocks die Gebühren für die Straßenreinigung nicht zahlen wollen, erscheint dagegen nachvollziehbar. Weil man nicht permanent den roten Teppich für Zollverein-Besucher ausrollen kann, wird hier öfters gefegt als anderswo. Und das seit 2008. Die Betroffenen werden darüber Anfang 2012 informiert. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Menschen in den umliegenden Stadtteilen am Welterbe reiben – um ein entspannteres Klima bemüht sich inzwischen eine Quartiersmanagerin.

Vom Totenbett
zum Welterbe

Während Zollverein – trotz aller Öffnungstendenzen (Ringpromenade, HeimatErbe-Festival) – noch immer als ein Stadtteil überragender Leuchtturm wahrgenommen wird, ist die Zeche Carl der Nabel Altenessens. Wenn das so bleiben soll, muss man da nicht Angst bekommen, wenn der Kulturbeauftragte im Bezirk V, Dr. Johannes Werner Schmidt, die Aufnahme Carls ins Unesco-Welterbe anregt? Er fordert die Unterstützung der Stadt ein, und obwohl die ganz große Resonanz ausbleibt, landet die Zeche - zusammen mit 17 weiteren Denkmälern - auf einer Vorschlagsliste mit dem Titel „Zollverein und die Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet“. Und später sogar auf der Vorschlagsliste des Landes NRW.

Was die überregionale Bedeutung Carls unterstreicht. Vor wenigen Jahren noch totgesagt, blüht das soziokulturelle Zentrum auf. Die Sanierung des Ensembles schreitet voran, auch die Fördergelder fließen wieder; es gibt unter anderem 120.000 Euro für „Kunst schafft Stadt“. Mit weitaus weniger Mitteln kommt Carlchen Siebenschläfer aus – eine kleine, aber feine Theaterreihe für Kinder.

Kultur von der Resterampe

Während sich die Altenessener über die neuen Blüten an der Wilhelm-Nieswandt-Allee freuen, müssen sie allerdings um ein anderes kulturelles Refugium zittern. Das Kulturhaus an der Heßlerstraße bzw. der Boden, auf dem es steht, wird von der Immobilienwirtschaft zur Vermarktung freigeben. Für die ansässigen Vereine – darunter das Forum Russlanddeutsche und der Türkische Elternverband – hält sie keine Alternativen parat.

Flächendeckender setzt die Stadt bei den Bibliotheken an. Unter anderem steht die Zweigstelle in Stoppenberg auf der Abschussliste. Ein Bürgerbegehren läuft ins Leere, weil die Stadt plötzlich ein Gerichtsurteil aus Köln hervor zieht. Oberbürgermeister Reinhard Paß erklärt die Spar-Entscheidung zur Chefsache – like a boss.

Geisterfahrer
Reinhard Paß

Zumindest muss man dem Oberbürgermeister anerkennen, dass er vor unpopulären Entscheidungen nicht zurückschreckt. Weiteren Unmut zieht Reinhard Paß auf sich, als er den A52-Weiterbau auf Essener Grund für den Bundesverkehrswegeplan anmeldet. Dabei wähnt der Norden das Projekt bereits auf dem Standstreifen, als sich die Ausbau-Gegner beim Ratsbürgerentscheid in Gladbeck durchsetzen. Das OB-Büro verweist jedoch auf den bestehenden Ratsbeschluss.

Essen sucht das
Super-Verkehrschaos

Die Hauptschlagader des Ruhrgebiets bleibt für fast drei Monate gesperrt, Arbeiten an Tunnel und Brücken entlang der A40 erfordern diesen Schritt. Alle erwarten das ganz große Chaos, das selbst Maya-Kalender-Weltuntergangszenarien in den Schatten stellt. Die Hysterie ergreift auch die Redaktionen des Stadtspiegels.

„Wie viel Chaos uns tatsächlich bevorsteht, ist kaum abzusehen“ und „Das Stau-Monster droht“, stimmen wir mit ein. Nur langsam kommen wir aus der Deckung heraus: „A40-Sperrung: (Noch) Keine Probleme“.

Der innerstädtische Verkehr schnurrt jedoch weiter wie ein Kätzchen – und wir reagieren trotzig: „Wozu brauchen wir die A40?“ Am Ende des Jahres reift die Erkenntnis, dass wir einer Panik-Blase erlegen sind. Doch halt! In Essen ist die Zahl der Verletzten nach Rotlichtverstößen explodiert? Weil zur Zeit der Sperrung so viele Ortsunkundige unterwegs waren? Wir haben es immer gesagt!

Ich glaub‘, es geht schon wieder los...

Bei der Debatte um den „Angst-Raum Altenessen“ behielt die Nord Anzeiger-Redaktion einen kühleren Kopf. Das kann man uns vorhalten, als es vor einer Altenessener Moschee richtig knallt. Und das zur Unzeit, das Stadtteilfest steht vor der Tür. Aber wir bleiben dabei: Im Hintergrund arbeiten zu viele Akteure Hand in Hand, um den wilden Westen in Altenessen auszurufen.

Ähnlich sieht es auf dem Hallo-Friedhof aus. Seit 1972 finden hier muslimische Bestattungen statt, die meisten unter Ausschluss der Nachbarschaft. Die Großbestattungen mit bis zu 800 Trauergästen fallen allerdings auf. Um Autokolonnen auf und Parkchaos vor dem Friedhof zu vermeiden, legt Grün und Gruga im Dezember ein Maßnahmen-Bündel vor.

In der Kategorie „Egal wie man es macht, man macht es falsch“, passt die Geschichte der Bunten Gärten. Ausländische Mitbürger beackern eine Kleingartenanlage. Mehr Integration geht nicht. Doch die Unauffälligkeit fällt auf: Die Anlage ist preisgekrönt, erhält zum Teil bundesweite Aufmerksamkeit. Mehr Aufmerksamkeit als die übrigen Gärten im Essener Stadtgebiet. Der Vorsitzende des Stadtverbandes der Kleingärten setzt zum persönlichen Rachefeldzug an. Anders lässt sich sein Vorgehen nicht bezeichnen, wenn er den Gärten die Kündigung ausspricht, die Angelegenheit aber gleichzeitig zur „Privatsache“ erklärt. Die Wogen werden jedoch geglättet. Und die Nutzer der Bunten Gärten dürfen nun von sich behaupten, als Laubenpieper angekommen zu sein... Denn wie heißt es so schön: Nur die Harten kommen in den Garten.

Die Schule
ist aus...

Knatsch, den gibt es auch in der hiesigen Schullandschaft. Die Richard-Schirrmann-Realschule kämpft um ihren Erhalt, wird aber - mangels Anmeldungen - zur Dependance der Franz-Dinnendahl-Realschule degradiert. Die SPD fürchtet ein Schulsterben im Bezirk VI. Haupt- und Realschulen haben es nicht nur im Norden schwer. Startschuss für neue Sekundarschulen? Die Hauptschulen wollen wohl, die Realschulen halten noch an ihrer Eigenständigkeit fest. Wenn es schlecht läuft, prognostizieren die Sozialdemokraten, könne sich die Gustav-Heinemann-Schule als letzte Bastion, sprich letzte weiterführende Schule unter städtischer Trägerschaft, im Bezirk VI erweisen. Wobei die Bezeichnung „Bastion“ zu hoch gegriffen ist. „Bruchbude“ trifft es momentan wohl eher - die 14 Millionen, die ursprünglich für die Sanierung veranschlagt wurden, reichen bei weitem nicht aus...

Ein Kinderarzt
für alle...

..das war einmal. Die Suche nach einem weiteren Kinderarzt ist erfolgreich: Ein junger Mediziner wird sich einer Praxis in Altenessen anschließen. Bis die kassenärztliche Vereinigung das OK gibt, dauert es aber. Zahlreiche Ansätze enden im Nichts. Mehr Wasserstandmeldungen gab es in der jüngeren Vergangenheit nur über die geplante Fahrradhalle am Altenessener Bahnhof zu lesen. Was daraus eigentlich geworden ist? Lassen Sie uns das Thema ins neue Jahr schieben.

Viel wichtiger ist doch, dass sich in Sachen Kinder- und Jugendarbeit was getan hat. Um Engpässe in der medizinischen Versorgung bis zur Ansiedlung des neuen Kinderarztes zu überbrücken, braust das Kindergesundheitsmobil durch den Norden. Was Gesundheitsministerin Barbara Steffens zum Anlass nimmt, Katernberg zu besuchen.

Die Jugendhilfe GmbH gibt den Standort ihres künftigen Jugendtreffs für Altenessen bekannt - und das gleich zweimal. Das denkmalgeschützte Haus Stachels erweist sich für die Zwecke der Stadttochter als ungeeignet, es bleibt beim weniger urigen Palmbuschweg. Eine Erfolgsgeschichte setzen Unternehmer (nicht nur) aus dem Essener Süden fort. Im Nordviertel entsteht im ehemaligen Haus der Jugend das zweite Förderturmhaus.

Und sonst so?

Der Polizeibericht enthält jede Menge Einträge über Trickbetrügereien, weshalb wir nicht müde werden, auf dubiose Situationen im Alltag hinzuweisen. Weitere Schlagzeilen produziert eine Straßenbahnkollision im Ostviertel, bei der 30 Menschen verletzt werden - für die EVAG ist es der Beginn einer schwarzen Serie. Die traurigste Meldung: In Altenessen wird eine 58-Jährige nach versuchter Vergewaltigung ermordet. Der Täter, bereits wegen Sexualdelikten vorbestraft, erhält lebenslänglich.

Der Ticker der Polizei hält aber auch so manche kuriose Geschichte parat. Imponiert hat uns der Einsatz eines Passanten, der einen brennenden Reifen löschte. „Er opferte den Inhalt seiner Bierflasche“, heißt es in der Pressemeldung anerkennend.

Weniger Zuspruch erhält die geplante Gehaltserhöhungen in der Chefetage der Stadttochter GSE - und das obwohl die Stadt das Spar-Mantra herunterbetet. Dann lieber Solidarität mit den Beschäftigten im öffentlichen Dienst - auch wenn Ausfälle im ÖPNV und nicht geleerte Mülltonnen stinken.

Zum Abschluss noch eine Randnotiz, die es bis auf die großen Sportportale im Netz geschafft hat: Schonnebeck II schlägt TuS Helene II mit 46:0. Die Altenessener treten nur mit acht Mann an - und ziehen die Partie bis zum bitteren Abpfiff durch. Das nennt man Nehmerqualitäten.

Autor:

Patrick Torma aus Essen-Nord

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