Interview mit NRW-Innenminster Ralf Jäger

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Er gilt als Verfechter der Blitzmarathons, als Hardliner in der Rockerbanden-Bekämpfung und kündigt gerade eine Offensive gegen die Salafisten an: NRW-Innenminister Ralf Jäger hat viele „Baustellen“. Auf einige haben wir ihn im großen STADTSPIEGEL-Interview angesprochen.

Zum Thema „Verbrechensbekämpfung“ referierte NRW-Innenminister Ralf Jäger kürzlich höchstpersönlich vor vielen interessierten Besuchern in den Räumlichkeiten der „Jugendhilfe Essen“. Hier trafen wir ihn zum Interview.

STADTSPIEGEL: Herr Jäger, im April dieses Jahres fand der sechste 24-Stunden-Blitzmarathon statt. Während an normalen Tagen 8% von den kontrollierten Autofahrern als zu schnell registriert werden, waren es am Tag der Kontrollaktion lediglich2%. So die Zahlen aus dem NRW-Innenministerium. Doch welchen Einfluss haben diese angekündigten Aktionen auf die anderen Tage im Jahr? Lernen die Autofahrer tatsächlich aus diesen Aktionen und verzichten auf den Bleifuß oder scheuen sie lediglich das hohe Bußgeld und geben danach weiter kräftig Gas?
Ralf Jäger: Wir sind von der Nachhaltigkeit des Blitzmarathons überzeugt. Andere Bundesländer ziehen nun nach. Im Herbst wird die Aktion bundesweit laufen. Wir verfolgen ein klares Ziel: Weniger Tote und Verletzte im Straßenverkehr. 2013 starben 479 Menschen auf den Straßen in NRW. Damit haben wir zwar die niedrigsten Zahlen seit Einführung der Statistik im Jahr 1953, aber wir wollen auch bewirken, dass die Autofahrer ihr Verhalten mehr reflektieren. Man muss sich vorstellen: Bei einem Verkehrsunfall mit 50 km/h überleben acht von zehn Menschen, bei 60 km/h sterben acht von zehn. Seit 2012 werden die Bürger in die Aktion eingebunden, indem sie ihre sogenannten „Wutpunkte“ nennen können, an denen gerast wird. Auch diese Idee hat eine positive Resonanz gefunden. Fakt ist, Transparenz und Veröffentlichung sowie mehr Kontrollen bewirken, dass sich der überwiegende Teil der Verkehrsteilnehmer verantwortlicher verhält und langsamer fährt.

Die Zahl extremistischer Salafisten steigt. Das NRW-Ministerium hat daher das Präventionsprojekt „Wegweiser - gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus“ ins Leben gerufen. Wie sieht dieses Projekt genau aus und können Sie schon erste greifbare Erfolge verzeichnen?
Das Angebot von „Wegweiser“ stößt auf Akzeptanz. Es gibt schon zahlreiche Nachfragen. Erste Beratungsgespräche brachten den Ratsuchenden bereits Unterstützung. Mit dem „Wegweiser“ wollen wir den Einstieg junger Menschen in die gewaltbereite salafistische Szene verhindern. Denn die Salafisten verbreiten folgende Ideologie: ‚Wenn Du völlig in uns eintauchst, haben wir eine Lösung für alle Deine Probleme‘. Wir entwickeln daher für gefährdete Jugendliche, zumeist jene mit Migrationshintergrund, individuelle Auswege aus deren unterschiedlichen Problemlagen. Diese Hilfsangebote sind sehr vielseitig, von der Hilfe bei schulischen Problemen bis hin zur psychologischen Beratung sowie Unterstützung bei der Arbeitssuche. Dabei arbeiten wir mit Netzwerkpartnern zusammen, wie z.B. lokale Vereine, Moscheegemeinden sowie auch Jugend- und Sozialämtern. Aber auch Eltern, Geschwister und Freunde werden mit eingebunden. Denn sie erkennen oft zuerst, wenn sich der/die Jugendliche verändert.

Die Polizei in NRW sieht zunehmend Konfliktpotenzial zwischen den Rockerbanden „Hells Angels“ und „Bandidos“. Austragungsorte des Rockerkriegs sind neben dem Niederrhein vor allen Dingen die Städte Duisburg und Oberhausen. Und auch um das „Bandidos“-Heim in Essen-Borbeck gab es Unruhe. Mitunter finden sogar tödliche Revierkämpfe statt. Das Innenministerium beauftragte unlängst die Polizei Essen damit, den Kampf gegen die kriminellen Rockerbanden zu koordinieren. Eine „Besondere Aufbauorganisation“ leitet nun alle Ermittlungen. Reichen diese Maßnahmen im eskalierenden Rockerkrieg? Beeindruckt das überhaupt die Rockerbanden? Oder steht die Polizei nicht doch eher hilflos da?
Bei den ‚Hells Angels“ und den ‚Bandidos‘ handelt es sich nicht um Motorradclubs im herkömmlichen Sinne, das möchte ich vorab klarstellen. Denen geht es nicht um Biker-Romatik, sondern um brutale Kriminalität. Das Register der Straftaten reicht von Rauschgiftdelikten und Menschenhandel über räuberische Erpressung, Nötigung bis zu gefährlicher Körperverletzung und erheblichen Verstößen gegen das Waffengesetz. Diese Rocker stellen ihre eigenen Regeln auf und üben Selbstjustiz. Wir können dieser Art der Kriminalität nur Einhalt gebieten durch permanente Polizeipräsenz in der Szene. So kennt die Polizei die Bandenstrukturen sehr genau und ist bei fast allen Treffen und Veranstaltungen der Rocker anwesend. Wir lassen keine rechtsfreien Räume zu und sitzen der Rockerszene daher stets im Nacken. Und das hat diese gar nicht gern...

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, dass seit Ihrem Amtsantritt (Juli 2010) die Zahl der jährlichen Wohnungseinbrüche in NRW um 10.000 Einbrüche auf 54.000 Einbrüche pro Jahr angestiegen ist. In Essen liegt die Zahl mit 3.000 Einbrüchen jährlich auf Rekordniveau. Landesweit habe sich die Aufklärungsquote halbiert und stagniere bei nur 13,6 % (in Essen lag sie 2013 bei nur 7,97 %, somit blieben bei uns von 100 Wohnungs-Einbrüchen 92 ungeklärt). In diesem Zusammenhang wird Ihr Präventions-Programm kritisiert. Nicht die Bürger alleine sollen handeln / vorbeugen, sondern Sie sollen den Anteil der Kriminalpolizei am Gesamtpersonalstand erhöhen, der seit 30 Jahren unverändert ist.
Diese CDU-Kritik an unserem Präventionsprogramm ist mir bekannt. Allerdings widerspricht sie sich selbst (Anm. d. Red.: Der Minister hält eine CDU-Wahlwerbung hoch.), indem sie feststellt: „Prävention ist das beste Mittel gegen Einbruch“. Von jährlich 1,48 Mio. Straftaten landesweit sind 2,5 % Einbrüche. Aber: Es geht hierbei nicht nur um den materiellen Schaden. Ein Einbruch stellt einen Eingriff in die Privatsphäre dar, viele Opfer sind traumatisiert. Deshalb setzen wir in NRW längst auf neue Strategien. Denn südosteuropäische Banden haben sich auf Einbrüche in NRW spezialisiert. Die Täter sind mobil, gehen für einen geringen Erfolg ein großes Risiko ein und können über unsere Autobahnen sehr schnell wieder aus den Großstädten verschwinden. Was die Täter nicht haben, ist Zeit. Deshalb sind präventive Maßnahmen z.B. bei der Fenster- und Türensicherung so wichtig. Zur Bekämpfung dieser Täter haben wir 16 Schwerpunktbehörden eingerichtet, Datenbanken angelegt und die Zusammenarbeit mit dem LKA optimiert. Wir fahren mehr Streife. Wir rütteln diese Szene auf, indem wir ganz gezielt verdächtige Kleintransporter bzw. Kfz-Typen kontrollieren - auch über Landesgrenzen hinweg. Seit Januar haben wir 379-mal zugeschlagen, 130 Täter sitzen in Haft. Aber die Bürger müssen auch gegenseitig auf sich achten. Sie sollten der Polizei verdächtige Aktivitäten bzw. Personen melden, auch das gehört zur Verbrechensvorbeugung.

Die Essen-Mülheimer Polizeipräsidentin Stephania Fischer-Weinsziehr schließt gerade mehr oder weniger zwei Essener Wachen (Borbeck / Steele) nachts und an den Wochenenden. Somit wären in E und MH für 740.000 Einwohner nur noch vier Wachen im 24 h-Dienst tätig. In Dortmund gibt es für 670.000 Einwohner 13 24h-Dienst-Wachen, in Bochum/Herne/Witten für 640.000 Einwohner 8 24h-Dienst-Wachen. Wie bewerten Sie die Essener Wachen-Schließungen vor diesem Hintergrund? Funktioniert Polizeiarbeit von Stadt zu Stadt so unterschiedlich?
Nein, allerdings müssen die Entscheidungsträger vor Ort ganz genau und gemessen an den jeweiligen Rahmenbedingungen agieren. Dortmund mit Lünen und Umgebung ist daher nicht vergleichbar mit Essen und Mülheim. Polizeipräsidentin Fischer-Weinsziehr muss genau abschätzen, wie sie den Spagat zwischen dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung mit rund um die Uhr besetzen Wachen und der Präsenz vor Ort in den Stadtteilen durch Streifen hinbekommt. Das hängt immer ganz besonders von der Personal-Situation ab. Die Polizei in den Revierstädten sollte in der Fläche Präsenz zeigen, schnell und variabel einsetzbar sein. Damit das gelingt, müssen die Verantwortlichen vor Ort die Lage ganz genau bewerten. Da gibt es kein „Schema X“ seitens des Innenministers, das muss lokal situationsbedingt angepasst werden.

Gewalt in Fußballstadien bleibt ein Thema. Die Clubs kommen mit den Gewalttätern offensichtlich nicht klar, die Polizeieinsätze häufen sich und werden immer intensiver. Zuletzt auch beim Pokalspiel RWE-MSV in Essen. Was halten Sie von einer finanziellen Beteiligung der Fußballvereine an den Kosten solcher Polizeieinsätze?
Diese Frage kommt immer auf, wenn Ausschreitungen in Stadien besonders eskaliert sind. Für die Sicherheit in den Stadien sind in erster Linie die Vereine verantwortlich. Doch alles, was außerhalb des Stadions rund um ein Fußballspiel passiert, gehört zu den Aufgaben der Polizei. Die Polizei hat das gesellschaftliche Leben abzusichern. Würde man das am Rande eines Fußballspiels kostentechnisch in Frage stellen, müsste das z.B. auch für polizeiliche Präsenz bei Rockkonzerten, Kirmesveranstaltungen etc. gelten. Das kann es nicht sein. Für mich ist es wichtig, dass wir in Zukunft weniger Polizei bei Fußballspielen einsetzen müssen. 30 Prozent der Einsatzzeiten müssen unsere 18 Hunderschaften für die Sicherheit bei Fußballspielen aufwenden. Darüber sind wir mit DFB und DFL in guten Gesprächen. Es geht auch darum, dass die Sicherheitsdienste besser qualifiziert sind. Ich spreche hier durchaus von einer unabhängigen Zertifizierung. Und als Fußballfan sage ich ganz offen: Die Ultras sind nicht automatisch die Gewalttäter. Wir müssen aber die Ultras unter den Fans dazu bekommen, dass sich die wenigen Gewalttäter, denen es nur um Eskalation z.B. durch die Verwendung von Bengalos geht, nicht mehr in ihren Reihen verstecken können. In den Stadien muss Platz für Familien und für die eingefleischten Fans sein, die mit ihren Aktionen für tolle Stimmung sorgen. Gewalttäter müssen hier von beiden Seiten ausgegrenzt werden - das ist das Ziel.

Autor:

Beatrix von Lauff aus Essen-Ruhr

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