Kastration hilft gegen Katzenelend - Appell von Tierschutzverein und Katzenschutzbund

Gewohnter Anblick für die Tierschützer in Essen: kranke, magere  Streunerkätzchen mit verklebten Augen und Parasitenbefall.    Foto: Tierschutzverein Essen
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  • Gewohnter Anblick für die Tierschützer in Essen: kranke, magere Streunerkätzchen mit verklebten Augen und Parasitenbefall. Foto: Tierschutzverein Essen
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Süße Schmusetiger auf der Couch, geliebt, verwöhnt, Gourmetfresschen im Napf - klavierspielende, schlafende, tapsige Samtpfötchen auf Youtube - tausendfach. So niedlich! Verklebte Augen, Katzenschnupfen, unbehandelte Tumore, nichts zu beißen, Kälte, Nässe - Elend!

Die Lebenswirklichkeiten des allerliebsten Haustieres der Deutschen könnten gegensätzlicher nicht sein. Das Dasein von Streunerkatzen ist oftmals leidvoll. Auf brachliegenden Grundstücken, in Schrebergärten und auf Friedhöfen beispielsweise sind sie zu finden. Ca. 2 Millionen gibt es bundesweit, schätzt der Deutsche Tierschutzbund. Sie sind der Witterung schutzlos ausgesetzt, leiden Hunger und sind oftmals durch Parasiten und Krankheiten geschwächt.

Streunerkatzen sind Nachkommen von Hauskatzen

Das Problem ist menschengemacht: Streunerkatzen sind keine Wildkatzen, die das Leben in der freien Natur gewohnt sind, sondern „ausschließlich verwilderte Katzen, die unter sehr, sehr schlechten Bedingungen leben und dringend auf Pflege, Hilfe und Zuwendung angewiesen sind“, erklärt Elke Esser-Weckmann, 1. Vorsitzende des Tierschutzverein Groß-Essen e.V. Die Streuner stammen von Hauskatzen ab, die von ihren Besitzern ausgesetzt worden sind sowie von unkastrierten Freigängerkatzen.
„Allein in Essen gibt es schätzungsweise 20.000 verwilderte Katzen“, berichtet Kira Koppin vom Katzenschutzbund Essen. Tendenz steigend.

„Angenommen, dass eine Kätzin wenigstens zweimal im Jahr Nachwuchs bekommt und jeweils nur drei Junge pro Wurf überleben, die allerdings im Alter von einem halben Jahr ebenfalls geschlechtsreif werden, und mit Partnern neuen Nachwuchs zeugen, dann ergibt sich rein rechnerisch nach zehn Jahren die stattliche Anzahl von 240 Millionen Nachkommen dieser einen Mutterkatze“, rechnet Elke Esser-Weckmann vor. „Kastration hilft gegen das Katzenelend!“, wird die Vorsitzende des Tierschutzvereins nicht müde zu appellieren.
Zusammen mit dem Essener Katzenschutzbund geht der Tierschutzverein Groß-Essen seit Jahren gegen die Problematik vor. In Wort und Tat: Sie führen Impfungs- und Kastrationsaktionen bei wild lebenden Katzen durch und fordern mit Nachdruck eine Kastrations- , Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Freigängerkatzen. Der Bundes- und Landesgesetzgeber verhält sich zögerlich, schiebt die Einführung einer Verordnung an die Kommunen weiter.
Bundesweit haben 256 Städte und Gemeinden (Stand: Dezember 2014) eine entsprechende Änderung der Kommunalverordnung schon umgesetzt, die Halter zum Chippen, Registrieren und Kastrieren ihrer Freigängerkatzen verpflichtet. In Essen will das bislang nicht gelingen: SPD und Grüne im Rat der Stadt brachten im Dezember 2010 einen gemeinsamen Antrag auf Einführung eines Kastrations- und Kennzeichnungsgebotes für freilaufende Katzen auf den Weg. Das Thema ging durch die politischen Gremien und scheiterte an ordnungsrechtlichen Hürden: Die Stadtverwaltung sah mit einer solchen Pflicht u.a. einen allzu großen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Katzenhaltern verbunden. Zudem läge gar keine Voraussetzung für eine ordnungsbehördliche Verordnung vor. Diese wäre nur gegeben, wenn von den unkastrierten Freigängerkatzen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausginge.

Seitdem hat sich das Tierschutzgesetz geändert. Der neue Paragraf 13b ermächtigt die Landesregierungen, freilebende Katzen durch Rechtsverordnung vor Schmerzen, Leiden oder Schäden zu schützen bzw. diese zu verringern. „Von Seiten des Bundes wird das Katzenelend also als großes Problem anerkannt“, begrüßt Elke Esser-Weckmann den Nachtrag von 2013. „Die Novelle ist ganz in unserem Sinne, nämlich gegen die Stigmatisierung der Tiere als Plage und mögliche Gefahrenquelle.“ Kira Koppin pflichtet ihr bei: „Das Tierleid steht nun im Vordergund und man versucht, dies einzudämmen“.

Damit ist die Kastrationsproblematik keine rein ordnungsrechtliche mehr und auch die politische Diskussion im Rathaus geht weiter. Inzwischen hat sich mit dem Runden Tisch „Wilde Tiere in der Stadt“ ein interfraktioneller Arbeitskreis gegründet, dem auch Elke Esser-Weckmann und Kira Koppin angehören. Die Verwaltung soll nun noch einmal die rechtlichen Möglichkeiten zur Regelung einer Kastrationspflicht für freilaufende Katzen ausloten. Hilfe erhofft man sich auch vom Land NRW, das eine Änderung der Ermächtigungslage bis zum Sommer 2015 angekündigt hat.

Tierheim-Kapazitäten völlig ausgeschöpft

Elke Esser-Weckmann ist zuversichtlich, „dass es in Essen eine Regelung geben wird“. Wann das sein wird, ist indes fraglich. Dabei drängt das Problem auf eine schnelle Lösung: 2013 wurden insgesamt über 1.200 Katzen im Essener Albert-Schweitzer-Tierheim beherbergt. Im Sommer wurden monatlich über 100 Katzen neu aufgenommen. Durch den milden Winter 2013/2014 hat sich die Lage weiter verschärft.
„2014 hatten wir so viele Abgaben wie nie zuvor“, berichtet Elke Esser-Weckmann. „Wir hätten 150 Katzen am Tag aufnehmen können.“ Wenn denn die Kapazitäten und die finanziellen Mittel dagewesen wären. Nichts ging mehr. Ende Juli 2014 musste die Einrichtung an der Grillo­straße ein Aufnahmestopp für Katzen verhängen. Dabei sind im Tierheim nur die vermittelbaren Katzen untergebracht. Trächtige oder säugende Weibchen und Welpen werden von ehrenamtlichen Helfern extern versorgt. „Wir haben Pflegestellen bis ins Emsland“, berichtet Elke Esser-Weckmann.

Appell an die Vernunft von Katzenhaltern

Bis es eine gesetzliche Regelung geben wird, appellieren Katzenschutzbund und Tierschutzverein an die Vernunft der Essener: „Jeder Katzenhalter, der seine Katze oder seinen Kater ins Freie lässt, sollte sie/ihn kastrieren lassen und jeder Bürger, der verwilderte Katzen oder Kater füttert, sollte mithelfen, dass sie kastriert werden können“. Die beiden Tierschutzorganisationen haben einen Flyer mit diesem Appell und weiteren Informationen zum Katzenelend in Essen herausgegeben und in Tierarztpraxen, Zoohandlungen und städtischen Einrichtungen ausgelegt. „Wir wollen das Bewusstsein bei den Menschen wecken, dass jeder Katzenhalter etwas gegen das Tierleid tun kann“, erklärt Esser-Weckmann. „Dieses Elend kann niemand wirklich wollen.“

Kira Koppin, die als „Frau an der Front“, sprich: an den Futterstellen der Streuner, das Leid der verwilderten Katzen täglich vor Augen geführt bekommt, ist verwundert angesichts dessen, was nicht wenige Katzenhalter unter Tierliebe verstehen: „Die Leute argumentieren oft, mit der Kastration nähme man den Tieren die Lebensfreude. Im Gegenteil entfällt für Kätzinnen die Dauerrolligkeit mit entsprechenden Stresssymptomen. Viele Leute, die es gut meinen, wissen gar nicht, was sie damit anrichten.“ Die ehrenamtliche Katzenschützerin hält es für geboten, auch Katzen in Wohnungshaltung kastrieren zu lassen: „Wie oft bekommen wir Anrufe von Tierbesitzern, deren Katze nach draußen entwischt ist! Nicht selten kehren die Weibchen dann trächtig nach Hause zurück.“
Die Tierschützer wünschen sich eine umfassende Kooperation mit der Tierärzteschaft: Wenn Tierhalter mit ihrer Katze kommen, sollten sie auf die Kastration hingewiesen werden; ebenso auf die Kennzeichnung mit einem Mikrochip und die anschließende Meldung im Haustierregister oder bei Tasso. „Die Kennzeichnung würde auch für die Stadt eine viel bessere Kontrolle bedeuten“, erläutert Elke Esser-Weckmann. Fundtiere könnten schneller und einfacher ihren Besitzern zugeordnet werden. Das würde den Tierheim-Haushalt spürbar entlasten.
„Kastration ist praktischer Tierschutz“ appellieren die beiden Einrichtungen in ihrem Flyer. Nicht zuletzt verringert sie auch die Gefahr, dass das eigene Tier sich mit Leukose oder FIV („Katzenaids“) infiziert, die bei Katerkämpfen oder Bissen, etwa bei der Paarung, übertragen werden können.

Gefahr Straßenverkehr

Oder dass die geliebte Samtpfote im Liebesrausch auf der Suche nach einem Partner ihr Leben im Straßenverkehr verliert.
Kira Koppin: „Wer all diese Argumente immer noch nicht nachvollziehen kann, kann uns gerne einmal auf einer unserer Touren zu den Streunerkatzen begleiten.“

Hilfsangebote und neues Beratungstelefon

Der Tierschutzverein Groß-Essen und der Essener Katzenschutzbund haben ein Beratungstelefon rund ums Thema Katzenelend und Kastration in Essen eingerichtet: 0157/50 40 60 71.

Bürger, die herrenlose Katzen füttern, sollten dies beim Katzenschutzbund oder beim Tierschutzverein melden.

Für finanzschwache Bürger, die sich eine Kastration nicht leisten können (80 bis 90 Euro Kater, 110 bis 120 Euro Kätzin) bieten viele Tierärzte einen Sondertarif an.

Gewohnter Anblick für die Tierschützer in Essen: kranke, magere  Streunerkätzchen mit verklebten Augen und Parasitenbefall.    Foto: Tierschutzverein Essen
Der neue Flyer zum Thema Katzenelend in Essen und Kastration liegt in Tierarztpraxen, Zoohandlungen und städtischen Einrichtungen aus.
Autor:

Melanie Stan aus Essen-Ruhr

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