90. Geburtstag der Stadt Zabrze in Polen - Essener Ratsdelegation war dabei

90 Jahre Stadtrechte für die Stadt Zabrze in Oberschlesien, die dreissig Jahre lang 1915 - 1945 auch nach dem Generalfeldmarschall Hindenburg benannt war.
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Zabrze ist eine lebendige Industriestadt im oberschlesischen Industriegebiet, mit der die Stadt Essen bereits seit 1953 in der wechselvollen Geschichte einer "Patenschaft" verbunden ist. Insbesondere nach den Erfahrungen der beindruckenden Feierlichkeiten zum 90. Jahr der Stadtrechtsvergabe an Zabrze ist aber zu unterstreichen:
Die alte Patenschaft gilt es durch gleichberechtigte Kooperationen in Fachabteilungen und Institutionen beider Städte mit ihren demokratisch gewählten Gremien zu ersetzen. Leider ist hier bisher noch keine offizielle "Städtepartnerschaft" auf gleicher Augenhöhe zustande gekommen

Auch wenn Zabrze mit etwa 180 000 EinwohnerInnen und gut 80 q/km Ausdehnung nur etwas mehr als einem Drittel unserer Heimatstadt entspricht, gibt es vielfache Anknüpfungspunkte.
Die energiegeladene Stadtpräsidentin Malgorzata Manka-Szulik`, in ihrer Funktion unserem Oberbürgermeister Reinhard Pass entsprechend, hat mit ihrem Stadtverwaltungsteam bereits eine Reihe von Projekten angestoßen, die für die Stadtzukunft nach der Bergbauära wichtig sind.
Schon heute können interessierte Touristen auf 350 Meter Tiefe ins vor Jahren stillgelegte "Schaubergwerk Guido" einfahren und dabei aus erster Hand die Arbeitswirklichkeit im Steinkohlebergbau erleben.
Mehr noch, in großen leuchtend weiß verkleideten Kavernen, die früher als Ställe für die Grubenpferde gebraucht wurden, sind unter tage regelrechte Festsäle entstanden, die auch so genutzt werden.
Eine Idee, die in Essen trotz Kulturhauptstadtjahr und dem Welterbe Zollverein ( zu recht?) als nicht finanzierbar verworfen wurde.

Eine Zukunft nach dem Bergbau

Die touristische Nutzung alter Bergwerke, nicht mehr für die Wasserversorgung genutzter Wasserturmbauwerke oder unterirdischer Kanäle, die früher für den Kohlentransport gebraucht wurden, sind weitere Stichpunkte für den Stadtumbau, der in unserer "Patenstadt" begonnen hat.
Auch Bildungs- und Kulturinvestitionen bringen sichtbare Erfolge. Im Medizinbereich sind die Zabrzer Kliniken in Polen bekannt als Zentrum für Transplantationen. Es gibt Hochschulabteilungen für Biomedizin aber auch für Medien, Schauspiel und Regie. Von der Qualitäten des Philharmonischen Orchesters der Stadt konnte sich die Essener Delegation selbst beim Galakonzert im vollbesetzten 2000 Personen fassenden Kulturzentrum überzeugen.
Für den polnischen Fußball-Rekordmeister Gornik Zabrze wird aktuell ein neues Stadion gebaut. Wie die Stadt dafür an die notwendigen Investionsmittel kommt und wo sie wichtige Projekte vorerst begraben muss, danach fragt man natürlich als Gast einer Geburtstagsfreier nicht (- bei weiteren Treffen gehört das aber sicherlich dazu).

Warum Zabrze nach einem Generalfeldmarschall benannt wurde

Manchen EssenerInnen wird Zabrze noch als "Hindenburg" bekannt sein. Vom Februar 1915 und bis Ende 1945 trug Zabrze den Namen des Generalfeldmarschals Paul von Hindenburg, der 1914 im ostpreußischen Tannenberg die zaristischen russischen Truppen vernichtend geschlagen hatte.
Die damals in Zabrze noch nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht, das die Anzahl der Wählerstimmen eines Menschen nach dem Einkommensbescheid staffelte, bestimmten Gemeindehonoratioren hatten sich um diesen neuen Namen beworben. In einem Wettbewerb gegen ein Dutzend anderer Gemeinden im deutschen Kaiserreich hatten sie den Sieg errungen.
Ob diese Neubenennung nach dem Generalfeldmarschall dem Willen der einfachen "Malocher" in den vielen Berg- und Stahlwerken entsprach, die nicht selten polnische Wurzeln hatten, darf bezweifelt werden.
Wichtiger für ein besseres Leben wäre vielleicht gewesen, sie hätten bereits die Stadtrechte für ihre um die 100 000 Einwohner zahlende Gemeinde verliehen bekommen. Da teilten sie aber das Schiksal mit heutigen Essener Stadtteilen wie Altenessen oder Borbeck, denen trotz ähnlich hoher Einwohnerzahlen solange die Stadtrechte verweigert wurden, bis sie kurzerhand im ersten Weltkrieg eingemeindet wurden.
Auch unter dem Namen "Hindenburg" dauerte es noch bis 1922, bevor der preußiche Staat in der Weimarer Republik der Gemeinde die Stadtrechte verlieh.
Dafür war "Hindenburg/Zabrze" in den Nachwirkungen des verlorenen Ersten Weltkriegs jetzt zur Grenzstadt der 1918 neu erstandenen Republik Polen geworden.
Nach der NS-Machtergreifung 1933 wurde natürlich in Oberschlesien wie im Ruhrgebiet gleichermassen das Terrorregime der braunen Diktatur ausgebaut.

Schwarze Seiten deutsch-polnischer Geschichte

Keine dreißig Kilometer von Hindenburg/Zabrze entfernt, entstand seit 1940 mit dem Konzentrationslager Auschwitz das unverdrängbare Symbol für den durch Deutsche veranlassten industriellen Massenmord an Juden, wie auch vielen anderen Menschen. Hier war am 27. Januar 1945 der Einmarsch sowjetischer Armeetruppen auf jeden Fall der Tag der Befreiung.
Im Gegensatz zum Ruhrgebiet überstanden die Städte des oberschlesischen Industriereviers die Kriegsjahre 1939 bis 1945 weitestgehend unzerstört. Um so härter traf viele Einwohner in den Jahren danach dann erzwungener Bevölkerungssaustausch und Vertreibung insbesondere derjenigen Oberschlesier, die sich jetzt nicht als Polen definieren wollten oder konnten.
Aber es ist wohl so - die nachfolgenden Grausamkeiten eines Weltkriegs hören nicht automatisch auf, wenn nur das formelle Kriegsende beschlossen ist.
Auf jeden Fall können wir heute nicht nur die von den Vertriebenenverbänden, schlesischen und anderen Landsmannschaften wachgehaltene Erinnerung an das Leid der nach 1945 aus dem Osten vertriebenen Deutschen aufrechterhalten. Es gehört genauso zu einem gerechten Geschichtsbild, daran zu erinnern, dass z.B. die Eltern oder Großeltern vieler Zabrzer Bürger nach dem 2. Weltkrieg oft selbst zwangsweise aus ihren weiter östlich gelegenen Heimatgebieten wegziehen mussten.

Patenschaftsgeschichten Ruhrgebiet/Oberschlesien

In den Jahren des kalten Kriegs und eiserner Vorhänge spielten derartige Differenzierungen aber wohl keine Rolle. 1953 ging die herrschende Politik auch in Nordrhein-Westfalen davon aus, dass Schlesien nur zeitweise unter "polnischer Verwaltung" stünde und der Tag der Rückkehr vorbereitet werden müsse. So wurde denn auch symbolisch das Land NRW zum Paten über das frühere Oberschlesien und die NRW-Gemeinden und Städte erklärten sich zu Paten über einzelne Orte dieser Region. Für Essen gut nachzulesen im Patenbrief Hindenburg, der im ersten Stock des Ratstrakts in einer Vitrine liegt. Über viele Jahrzehnte war dieses Patendasein hauptsächlich ein Austausch von Verbindlichkeiten gegenüber den Vertriebenenverbänden.
In Essen trafen sich mit Unterstützung der Stadt wechselweise gern die Landsmannschaft der Oberschlesier in der Grugahalle und im anderen Jahr der Hindenburger Heimatkreis in einer der Messehallen. Zumindest bei den Hindenburger Heimatreffen wurde im letzten Jahrzehnt sogar oft mehr Polnisch als Deutsch gesprochen.
Zum Glück gab es eine zunehmende Differenz der harten Töne und Ansprüche gegenüber dem polnischen Staat, der von den Festtagsreden der Vertriebenenfunktionäre herrührte und dem friedlichen Geplaudere und Futtern schlesischer Spezialitäten an den Tischreihen und Bänken.
Mittlerweile sind sogar unter offiziellen Funktionsträgern der Oberschlesischen Landsmannschaft einzelne Menschen nachgewachsen, mit denen über freundschaftliche deutsch-polnische und damit auch ruhrgebiets-schlesische Städtepartnerschaften nachgedacht werden kann.
Probleme aus unserer alten Geschichte, die noch auszuräumen sind, gibt es jedenfalls genug. Lösungen für unsere Regionszukunft nach Bergbau und Stahl gibt es bestimmt ebenso viele - und in ruhrgebiets-schlesischer Zusammenarbeit finden wir sie dann noch schneller.

Walter Wandtke

Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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