Gute Aussichten für 2013: Netto-MitarbeiterInnen schaffen mit gewerkschaftlichen Vertrauensleuten eine Grundlage für bessere Arbeitsbedingungen

So leuchtend warm und strahlend ist das Innenleben einer Netto-Filiale leider nicht immer.
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  • So leuchtend warm und strahlend ist das Innenleben einer Netto-Filiale leider nicht immer.
  • hochgeladen von Walter Wandtke

Netto besaß in den vergangenen Jahren, was den Umgang mit seinen Beschäftigten betrifft, für viele Konsumenten durchaus noch einen besseren Ruf, als z.B. "Lidl" oder der mittlerweile untergegangene Schleckerkonzern. Dabei ist natürlich klar, dass in allen Discounterketten im Vergleich zum klassischen Einzelhandel die Einsparungen an Personaleinsatz und Lohn ein wesentlicher Grund für die oft extrem niedrigen Preise sind.

Allerdings existieren mittlerweile in vielen Wohnvierteln im Essener Norden und andernorts überhaupt keine Alternativen mehr zum Einkauf beim Discounter. Mehr als 5 Jahre nach der Übernahme der ehemaligen Plus-Läden durch den Edeka-Konzern und deren Umfirmierung in Netto ist der Stress für viele langjährig dort arbeitende, wie auch für neu eingestellte Kräfte über ein erträgliches Maß hinaus gestiegen.

Missachtung von Arbeitnehmerrechten und Tarifstandarts

Deshalb sollten potentielle Kunden die wiederkehrende Missachtung grundsätzlicher Arbeitnehmerrechte und Tarifstandarts u.a. in der Netto-Discount-Gruppe nicht reaktionslos hinnehmen. Abhilfe könnte es sicherlich bringen, wenn künftig nicht nur neugewählte gewerkschaftliche Vertrauensleute in den Filialen, sondern auch ein aktiver Betriebsrat der Geschäftsführung gegenübertreten könnte.
Ver.di-KollegInnen, die bei Netto in Essen arbeiten, treffen sich deshalb seit Anfang 2012 regelmäßig sonntags. Die betrieblichen Probleme sind ähnlich: Zu wenig Zeit um die Arbeit zu schaffen; keine Pausen; der Druck unbezahlte Überstunden zu machen; die AZUBIS können nicht richtig ausbildet werden. Weil sie sich mit ihrer schlechten Arbeitssituation nicht mehr abfinden wollten, richteten Netto-Beschäftigte mit Unterstützung der Gewerkschaft VERDI im vergangenen Jahr 2012 einen Forderungskatalog, verbunden mit einer Unterschriftenaktion an die Netto-Geschäftsführung in Essen. Erste Vorbehalte, offen mit dem eigenen Namen für diese Forderungen gegenüber der Geschäftsleitung aufzutreten, verwandelten sich eine überwältigende Beteiligung an der Unterschriftenaktion. Mit diesen Unterschriften besuchte eine große Gruppe die Netto-Regionalgeschäftsleitung in Bottrop, um die nachfolgenden Forderungen vorzutragen.

Unterschriftenaktion und Forderungskatalog

„Wir Kolleginnen und Kollegen bei Netto in Essen möchten eine gute Arbeit machen. Wir wollen zufriedene Kunden und ein gutes Arbeitsklima. Wir wollen, dass die Filiale steht.
Wir reiben uns auf zwischen den Ansprüchen unserer Kunden und den nicht umsetzbaren Vorgaben der Geschäftsleitung. Wir schaffen die Arbeit oft nur bei ständiger Hetze und Dauerbelastung. Wir können unsere Pausen nicht nehmen. Wir müssen regelmäßig vor und nach unserer regulären Arbeitszeit weiter arbeiten – oft ohne, dass diese Zeit bezahlt wird. Viele von uns schieben Überstunden vor sich her, von denen wir nicht wissen, wann wir sie jemals ab bauen können.
Dieser Zustand ist nicht mehr tragbar. Er macht viele von uns krank. Die Belastungsgrenze ist erreicht und vielfach überschritten.
Es gibt Netto-interne Vorgaben, in denen geregelt wird, wie viele Arbeitsstunden einer Filiale bei einem bestimmten Umsatz zustehen. Z.B.:
60.000 € Umsatz in der Woche = 217 Stunden
75.000 € Umsatz in der Woche = 251 Stunden
85.000 € Umsatz in der Woche = 280 Stunden
Nach Netto-eigener Vorgabe darf keine Filiale unter 180 Stunden pro Woche gefahren werden. Dies ist das Stundenminimum unabhängig vom Umsatz. Permanent werden in vielen Filialen selbst diese Stundenvorgaben auf unsere Kosten unterlaufen.
Uns im Handel wird eine hohe Leistung abgefordert, die wir täglich in unseren Filialen erbringen. Wir erwarten jedoch auch von unserer Geschäftsleitung, dass sie Arbeitsbedingungen schafft, die uns nicht krank machen! Wir erwarten, dass wir genügend – bezahlte – Stunden bekommen, um unsere Arbeit erledigen zu können.
Deshalb fordern wir:
1. Offenlegung und Einhaltung der Netto-eigenen Stundenvorgaben. Diese dürfen nicht unterschritten werden. Zusätzlich müssen die Stundenvorgaben für zusätzliche Tätigkeiten (z.B. Kleben des Diebstahlschutzes, Pfandrückgabe, Aktionsware, längere Öffnungszeiten) einsehbar sein und verbindlich für alle Filialen gelten.
2. Als zweiten Schritt fordern wir eine realistische Überprüfung des wirklichen Zeit- und Stundenbedarfs in den Filialen. Hierfür erwarten wir, dass zusammen mit uns Beschäftigten der tatsächliche Stundenaufwand für die Tätigkeiten in der Filiale erfasst und zur Grundlage der Stundenvorgaben in den Filialen gemacht wird. "

Anscheinend reichte aber ein derartiger, den betriebswirtschaftlichen Kosten folgend, doch eher harmloser Forderungskatalog gegenüber der regionalen Firmenleitung nicht aus, um merkbare Veränderungen zu bewirken. Sichtbare gewerkschaftliche Organisation hat in solchen Fällen aber schon oft geholfen.

Schöner Adventsbeginn:ver.di-Vertrauensleute bei Netto in Essen gewählt

Statt isolierter Einzelgespräche in den Filialen wird es im neuen Jahr bessere Verhandlungen geben können, wenn unter den Beschäftigten jetzt gewählte gewerkschaftliche Vertrauensleute die Probleme mit den Vorgesetzten erörtern. Zu dieser Hoffnung berechtigt eine Meldung der Gewerkschaft Ver.di vom 2. Dezember. Dort wird berichtet, dass sich Ver.di.-Mitglieder bei Netto in Essen erstmals gewerkschaftliche Vertrauensleute gewählt haben.
Demnach wurden auf einer Mitgliederversammlung im Essener Gewerkschaftshaus an der Teichstraße 12 Netto-KollegInnen zu gewerkschaftlichen Vertrauensleuten gewählt. Damit sind sie für ihre KollegInnen offizielle gewerkschaftliche Ansprechpartner in den Filialen und repräsentieren ver.di vor Ort. Die ver.di-Aktiven bei Netto betreten mit dieser Wahl Neuland, denn Netto ist noch der einzige Discounter, in dem es gewerkschaftliche Vertrauensleute gibt. Die frisch gewählten Vertrauensleute können damit Vorbild und Ermutigung für KollegInnen in anderen Discountern sein. Sie zeigen in einer Branche, die von immer unsicherer werdenden Jobs, Lohndumping und Einschüchterungen geprägt ist, dass es möglich ist, sich selbstbewusst für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen.

Bericht einer Netto-Beschäftigten

„Fangen wir mal mit einem normalen Dienstag Morgen an
Der erste Gang führt mich ins Lager. Die Obstreste aus dem Kühlhaus holen, die meine Kollegen am Vorabend dort eingelagert haben, damit sich das Grünzeug noch ein paar Stunden länger hält. Diese finden zuerst den Weg auf die Obst- und Gemüsetische. Natürlich stets unter kritischem Blick auf die Frische. Mehrere Paletten Neuware warten auch bereits seit der letzten Nacht auf ihren Einsatz. Die Ware wird selbstverständlich einzeln in kleinere Kisten umgepackt, um dem Kunden ein schönes Bild zu präsentieren. Dazu gehört, dass an jeder Kiste ein eigenes Schild mit exakter Herkunft und Handelsklasse des Artikels steht. Die Preisleiste, die das Schild halten soll, muss sauber und intakt sein. Der Boden auf dem der Artikel steht, muss blitzblank sauber sein. Der Boden vor dem Regal muss ebenfalls blitzblank sauber sein. Die Tische müssen eine Ebene bilden. Gammel darf nicht zu finden sein in der Theke. Unser Aushängeschild: die Obsttheke. Blumen haben in den entsprechenden Abgießschalen immer gut bewässert zu stehen. Nun noch die alten Preisschilder austauschen von den Waren, die am Vortag ermäßigt waren. Sicherstellen, dass keine Lücken in der Theke sind. Ups... schon neun Uhr. Wo ist nur die Zeit geblieben?
Die leeren Kartons fliegen, die Aktionsflächen sind abgegrast. Zwei Aufsteller sind so leer, dass sie aufgelöst werden müssen. Drei Halbpaletten sind leer und müssten gefahren werden. Der einzige Mitarbeiter, der mir dabei helfen könnte, sitzt an der Kasse und macht eine Pausen-Ablösung. Also bleibt wieder alles an mir alleine hängen. In diesem Moment ist der Leergut-Automat voll und von vorne werde ich gerufen, weil die Geldentsorgung da ist. Wieder einmal kommt alles auf einmal. Lieferscheine sind da noch gar nicht kontrolliert, weil die Zeit einfach fehlt. Bis zehn Uhr haben wir Zeit,die Frische komplett erledigt zu haben. Eine Stunde für drei Paletten? Alleine? Da kann man schon mal ins Schwitzen kommen.
Preisänderungen vom Vortag durchführen? Weihnachtsaufbau komplett überarbeiten ? Diese Woche ist die Tiefkühl-Truhe Nummer 12 dran mit abtauen. Ach ja und die Fuhre steht ja auch noch im Lager.
Jeden Artikel auf Kante ziehen und die Dosen auf Bild drehen. Hochpreisige Artikel mit Warensicherung versehen. Zwischendurch jeden Kunden zum Regal begleiten, wenn er einen Artikel sucht und stets freundlich sein, dafür gab es ja extra Freundlichkeitsschulungen. Warum sind wir gleich wieder so wenig Mitarbeiter? Ach ja, wir sind ja ein Discounter: Wenig Personal = kleine Preise.
Aber bei der ganzen Masse an Artikeln und Ansprüchen ist das mit so wenig Leuten nicht zu schaffen. Und schon ist Besuch von oben da. Die netten Herren Anzugträger bemängeln Staub auf den Feuerlöschern. Verzeihung, wie konnte ich das nur übersehen?“

Soweit ein Bericht aus der Innensicht einer Netto-Mitarbeiterin, der wahrsacheinlich bei Aldi, Penny oder Lidl ähnlich kritisch ausgefallen wäre.
Inzwischen ist die Mehrheit der 32 Essener Netto-Filialen auf den Gewerkschaftstreffen präsent. In der Gruppe sind Marktleitungen, Stellvertretungen, VerkäuferInnen, KassiererInnen und Azubis vertreten. Sie haben alle verschiedene Rollen in der Filiale und diskutieren deswegen oft leidenschaftlich. In einem aber sind sich alle einig:

Es muss sich bei Netto etwas ändern!

Die ver.di-Aktiven bei Netto in Essen haben PatInnen aus Politik und Öffentlichkeit. Die PatInnen unterstützen die Aktiven in ihrem Engagement für bessere Arbeitsbedingungen. Wer hier selbst Unterstützung leisten möchte, kann sich dafür regelmäßig neue Information schaffen, z.B auf der web-side: http://www.neulich-bei-netto.de

Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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