Kantine Royal - eine Ära geht zu Ende

So wirds nie mehr sein
3Bilder

Seit nunmehr dreizehn langen Jahren gehöre ich diesem Verlag. Die Kantine ist, neben dem Content-Desk, das Herzstück der vielfältigen Medienwelt. Seit ich zum ersten Mal dort gespeist habe, hat sich dort nicht viel verändert. Einmal wurden die Stühle ausgetauscht mehr nicht. Jetzt soll dieses Kleinod retromodernen Designs seine letzte Ruhe finden, als Erdmöbel.

Vor vielen Jahren habe ich dazu bereits etwas geschrieben:
Die Kantine unseres Verlaghauses sollte eigentlich Teil der "Route Industriekultur" werden. Die Einrichtung ist so modern, dass jedermann vermuten könnte, es handelt sich um den perfekt nachempfundenen Retro-Look. Ist es aber nicht.

Es ist die ORIGINAL 70er Jahre-Einrichtung.
Orangefarbene Kacheln, mit türkisfarbenen Ornamenten aufgepeppt - das gleiche als Wandbehang.
Ein Teppich mit 4 Mio.Knoten pro Quadratzentimeter.
Tische und Stühle sind in dunklem "Eiche brutal" gebeitzt. Da fühlt man sich gleich zuhause.
Die Kunstblumen auf dem Salatbuffet stehen liebevoll in einer ehemaligen Weinflasche, die mit entzückender Alu-Folie ummantelt ist.

Nicht nur das Interieur vergangener Zeiten führt den hungrigen Besucher durch eine Zeitreise, die Menschen die dort verweilen sind ebenfalls modisch auf Stand von 1979.

Fräulein Müller aus der Debitorenbuchhaltung fühlt sich wohl in ihrer Mac-Karottenjeans.
3 x jährlich bekommen ihre blond-gebleichten kunststofffig aussehenden Haare eine neue Dauerwelle.

Karl-Heinz Deppmann, der hiesige Redakteur für "Lokales" liebt seinen Schnäuzer. Er trägt sein Sweatshirt gern in der engen Röhrenjeans und zeigt durch sein lässiges Outfit, daß er in seiner Freizeit gern mal das"Feuerroß" zwischen den Beinen hat.

Frau Ziselowsky von der Anzeigenannahme hat ein Poster in ihrem Büro "Wolle auf Schalke"!
In den letzten 25 Jahren hat sie ungefähr 37 Wolfgang Petry Konzerte gesehen. Sie hat sogar ein Foto, auf dem sie mit ihm zusammen um die Wette strahlt. Schließlich kennt sie den Fotografen, der sie "Backstage" mit Wolle abgelichtet hat - auf Schalke! Jawoll!
Bitterlich hat sie geweint, als er seinen letzten TV-Auftritt am 24. September 2006 bei der Verleihung der Goldenen Stimmgabel im ZDF hatte.
Ganz dezent trägt sie ein Freundschaftsbändchen am prallen Handgelenk.

Wer glaubt, daß Horst Schlämmer eine perfide Erfindung ist, lasse sich eines Besseren belehren. Ein Blick in die Kantine unseres kleinen Verlages bestätigt alle Vorurteile. Dort sitzen die Horst Schlämmers des Ruhrgebietes mit ihren veralteten Frisuren und zerknitterten Sakkos und lamentieren laut und lästig über die ganz große Politik.

Die Jacket-Kronen sind 70er Retro. Es gab den Zahnersatz damals nur in gelb und 5 cm dick. Eines Tages, in 200.000 Jahren findet man nur noch das Gebiss eines dieser Lokalredakteure und wundert sich, was es für leistungsfähige Batterien im 21. Jahrhundert gab.

An den Tischen des liebenswerten Restaurantbetriebes stehen noch Maggi-Flaschen mit einem Design, daß es seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gibt.
Ein Paradies für Anhänger vergangener Lebensmittel.
Es ist ein Erlebnis, ich kann es nur empfehlen.

Morgen geh ich wieder hin, es gibt "Toast Hawaii." (ALLE PERSONEN SIND FREI ERFUNDEN)
Text von 2006

Autor:

Beatrix Gutmann aus Essen-Süd

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

2 folgen diesem Profil

8 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.