Besuch am Ruhr - Kolleg – eine Einrichtung wird 60

Das Ruhr-Kolleg
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Aus einer Chronik:

In Essen – Huttrop, nahe dem idyllischen Siepental, ragt ein imposantes Gebäude aus rotem Backstein bereits von weitem über die Kronen hoch gewachsener Platanen und Buchen entlang der Seminarstraße. Grün eingefriedet liegt es da mit seinen Mauern, ruhig und beschaulich seit der Jahrhundertwende, mit einer riesigen, runden und in der Sonne goldgelb glänzenden Uhr in der Gaube, turmhoch über den Bogengängen des Eingangsportals. Und mitten im Blick, über der ersten Fensterreihe, die Zueignung des Hauses quer über die ganze Breite der Fassade: eingelassene Medaillons gleich aufgeprägten Wappen, welche in emblematischer Darstellung die Platonischen Tugenden in vier einander folgenden Reliefs mahnend erinnern.

Sprung in die Gegenwart:

Was vor guten hundert Jahren als Preußisches Lehrerseminar begann, beherbergt heutzutage eine Einrichtung der besonderen Art. RUHRKOLLEG verrät der geschwungene Rundbogen im Eingangsportal in Messingschrift, halb Kupfer, halb Zink, aber längst nicht mehr goldglänzend. Ruhr – Kolleg, eine Schule, in der Erwachsene das Abitur nachholen können, wie man uns versichert hat. Und das seit nunmehr 60 Jahren. Unbeschadet dem Wandel der Zeiten? Für uns Grund genug, dieser merkwürdigen Einrichtung einen Besuch abzustatten und mehr zu erfahren. Verabredet sind wir mit dem Leiter des Hauses, Herrn Dr. Dieler, seit nunmehr 22 Jahren im Amt, wie er uns am Telefon versicherte.

Der erste Eindruck ist alles andere als museal. Recht lebhaft geht es zu im Eingangsbereich des hochgewölbten Gebäudes. Scheint wohl gerade eine Pause zu sein. Dutzende junger Menschen im Alter zwischen zwanzig und dreißig drängen hinaus auf die Frontseite zur Straße und zu ihren Autos. Andere in die Wiesenflächen in den Innenbereich des Schulhofs. Auch hier gewachsener Baumbestand, der übergeht in die Parkanlage des benachbarten Friedhofs. Und direkt in unserem Blick ein ausladender Kinderspielplatz, die Außenanlage der namensgleichen Kindertagesstätte, die nahtlos an den Schulhof anschließt.

Der Schulleiter erwartet uns in seinem Dienstzimmer in der ersten Etage. Man merkt den ausgetretenen Steinstufen an, wie der Zahn der Zeit an ihnen nagt. Aber irgendwie hat man nie den Eindruck, in einer Schule zu sein. Da ist kein Geschrei, da gibt es keinen Schmutz, herumliegenden Abfall oder ähnliches. Die Böden und Wände wirken alt, aber gepflegt, verbreiten den Eindruck von Gediegenheit und Würde. Und niemand käme wohl auf die Idee, die schmiedeeisernen Geländer aus der Kaiserzeit zu verunzieren oder gar zu beschädigen.

Und dann sind wir da, werden freundlich empfangen und in ein Dienstzimmer geleitet, dessen Einrichtung die Umweltsünden der späten 60 – iger Jahre dokumentiert. Und den Geschmack jener Zeit. Schreibtisch, Konferenztisch und Wandschränke aus massivem Tropenholz, Mahagoni in Reinkultur, wie es dem Stil jener Jahre entsprach.

Wir stellen Fragen und Herr Dieler antwortet, haben wir vereinbart. Das ist immer besser, als die Hausherren reden zu lassen. Die finden bekanntlich selten ein Ende. Und reden schnell über Dinge, die vielleicht nicht sonderlich interessieren.

Was uns interessiert ist die Frage, warum diese Schule heute noch existiert, allem Wandel der Zeiten zum Trotz? Worin ihre Aktualität bestehen mag?
Und so bleiben wir in der gerade erlebten Gegenwart:

Herr Dieler, was sind das für Menschen, die heutzutage noch das Ruhr – Kolleg besuchen?

Dieler: „Das sind junge Erwachsene, die das Abitur nachholen möchten. Die zu alt geworden sind für die Jugendschulen. Die meisten zwischen zwanzig und dreißig. Sie kommen von überall her. Bei guter Anbindung selbst aus dreißig Kilometern Entfernung, und mehr. Es gibt für uns ja keine Schulbezirke für den Einzugsbereich“.

Was motiviert diese Leute?

Dieler: „ Die meisten sind in der Berufswelt nie richtig angekommen. Haben einen Beruf gelernt, der ihnen keine Freude macht. Sehen sich in einer Sackgasse, suchen den Ausstieg und wollen sich neu orientieren und noch mal starten. Andere trauen sich was zu, wollen den Aufstieg, wollen studieren. Wieder andere haben durch neue Umgebungen, Freunde oder Partner Anregungen erhalten, die sie motivieren. Da gibt es so manches“.

Kommt das denn so häufig vor?

Dieler: „Ja, sicher. Bedenken Sie, wie früh sich junge Menschen in beruflichen Richtungen festlegen, in technische, soziale oder wirtschaftliche Dimensionen zerlegt werden. Gut die Hälfte eines jeden Jahrgangs. Das kann nicht gut gehen, geht nicht ohne Rest. Und wie viele schmeißen irgendwann die Schule, bleiben hinter ihren Möglichkeiten, weil sie einfach keine Lust mehr haben. Die raus wollen ins Leben, genug haben von Schulpflicht und Zwängen. Viele kommen irgendwann zurück, geläutert und aus freien Stücken. Kommen zu uns, weil sie es inzwischen selber wollen, weil sie noch was werden, noch was aus sich machen wollen“.

Sind die denn nicht eher an beruflicher Bildung interessiert? An Ausbildung oder fachlicher Umschulung?

Dieler: „ Die gibt es sicher. Und die finden auch ihren Weg. Was wir allerdings bei uns beobachten ist das genaue Gegenteil. Beinahe schon eine Phobie vor allem, was sich nützlich gibt. Statt dessen dominiert der Wille, Lücken zu schließen, Versäumtes nachzuholen. Zurück zu den Wurzeln, lautet die Devise. Man will Grundlagen legen oder aber festigen. Etwa in den (Fremd) -Sprachen, in der Mathematik, in Naturwissenschaften oder in Geschichte, Erdkunde, in Soziologie oder Philosophie. Oder im literarisch künstlerischen Bereich“.

Wie lange dauert der Weg zum Abitur?

Dieler: “Das hängt von der individuellen Vorgeschichte ab. In der Regel vier bis sechs Semester“.

Sie arbeiten im Semesterbetrieb?

Dieler: „Ja, wir starten zwei Mal im Jahr. Nach den Sommerferien und jeweilig zum 01. Februar. Das hat große Vorteile für die Teilnehmer. Man gewinnt Zeit beim flexiblen Einstieg und Abschluss. Auch wenn man mal ein Semester wiederholen möchte, verbraucht man nicht gleich ein ganzes Schuljahr“.

Der Unterricht ist tagsüber?

Dieler: „ Zwischen 8.00 und höchstens 15.05. Tagsüber ist man frisch und leistungsfähig“.

Und der Beruf?

Dieler: „Bleibt wesentlich außen vor. Unser Lehrgang ist Beruf ersetzend, also vollzeitschulisch“.

Wovon leben die Teilnehmer?

Dieler: „Von einer besonderen und, wenn Sie so wollen, einzigartigen Form des BAFöG. Das ist eine Zuwendung, die in voller Höhe als Zuschuss gewährt wird. Also nicht rückzahlpflichtig, auch nicht in Teilen. Anders als bei Studenten. Und die auch unabhängig gewährt wird vom Einkommen der Eltern. Das ist dann eine Grundsicherung. Daneben kann man noch in Grenzen hinzuverdienen, wenn man möchte“.

Wie kann man sich den Unterricht vorstellen, als eine Art gymnasiale Oberstufe?

Dieler: „Es gibt Ähnlichkeiten und Unterschiede. Das fängt schon an bei den Eingangsvoraussetzungen. Da erwarten wir Berufserfahrungen und / oder Ersatz – bzw. Anrechnungszeiten. Anderseits braucht niemand einen Q – Vermerk auf seinem mittleren Abschluss. Ohne den könnten Sie an keinem Berufskolleg landen, von Gesamtschulen und Gymnasien ganz zu schweigen. Nicht so bei uns, da ähneln wir eher schon einer Aufbauschule“.

Und sonst? Was den Unterricht anbetrifft?

Dieler: „Sie können sich das Ruhr – Kolleg vorstellen als ein System der Förderung unterschiedlicher Qualifikationsprofile. Da gibt es Vorkursangebote und Förderkonzepte in den Eingangssemestern, eine ganze Bandbreite allgemeinbildender Fächer und Projekte in den höheren Semestern“.

Aber ohne Berufserfahrungen kann niemand aufgenommen werden?

Dieler: „Das ist ein Thema für sich. Der Begriff ‚Beruf‘ ist weit gefasst. Eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf löst natürlich alle Probleme. Aber auch eine Laufbahnprüfung, etwa zum Unteroffizier bei der Bundeswehr, oder einschlägige Prüfungen in den Laufbahnen des öffentlichen Dienstes. Ersatzweise bedarf es des Nachweises von Berufstätigkeiten im Umfang von 24 Monaten, werden Zeiten der Arbeitslosigkeit zu einem Drittel mit eingerechnet, ferner gelenkte Praktika bis zu 12 Monaten. Oder ein freiwilliges soziales Jahr. Eine Besonderheit sind Kindererziehungszeiten. Die werden im vollen Umfang als Berufstätigkeit anerkannt. Sie sehen, hier ist vieles möglich, muss jeder Einzelfall in unserer hauseigenen Bewerberberatung geprüft werden“.

Eine Bekannte von uns hatte die Abendrealschule absolviert. Da gibt es für dieses Gruppe anscheinend eine Sonderregelung?

Dieler: „Abendrealschulen bilden einen vorgelagerten Ausbildungsgang der Weiterbildungskollegs, gehören also zum System. Insofern gelten bei der Übernahme dieser Absolventen deren Aufnahmebedingungen. Im Gegenzug kann allerdings kein Abitur vergeben werden, sondern lediglich der schulische Teil der Fachhochschulreife.
Abendrealschulen gleichgestellt sind im Übrigen die Volkshochschulen mit ihren mittleren Schulabschlüssen, da auch sie als Einrichtungen der Weiterbildung zu einem Zweiten Bildungsweg gehören“.

Jetzt wird es aber langsam sehr speziell.

Dieler: „Ja, das bleibt nicht aus. Dafür ist die schulische Bildungslandschaft einfach zu komplex. Aber vor diesem Hintergrund haben wir ja unsere hauseigene Beratung. Die hilft, die Fäden zu entwirren und jeden Interessenten individuell zu betreuen. Das machen wir übrigens das ganze Jahr über, dienstags von 17.00 – 18.30 und donnerstags von 9.45 – 11.15. Und dann nehmen wir auch gleich zum nächsten Termin auf, wenn gewünscht und die Unterlagen vollständig sind. Auch hier unterscheiden wir uns von anderen, wartet bei uns niemand auf spezielle Anmeldungswochen“.

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Und dann war das Gespräch denn doch zu Ende, wollten wir uns nicht in Details verlieren. Das müsste man sich einmal ganz von innen anschauen, war unser erstes Resümee. Also mal hinein schauen in den Unterricht, mit den Studierenden reden, ihre Erfahrungen abrufen. Auch über Facebook, wie uns abschließend geraten wurde. Und, wer weiß, vielleicht gibt es ja auch mal wieder einen „Tag der offenen Tür“ mit der Möglichkeit, ein bisschen Atmosphäre live zu schnuppern!

Autor:

Silke Kreft aus Essen-Nord

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