Nato-Miltärkongress in den Messehallen an der Gruga - keine gute Visitenkarte für die ehemalige Kultur- und Grüne Hauptstadt Essen

Ein kleiner Versuch der Friedensbewegung, damit zumindest Autofahrer und Passanten an der Norbertstrasse in Rüttenscheid erfahren, dass hier gerade drei Tage lang ein Kriegsstrategiekongress der Nato stattfindet.
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  • Ein kleiner Versuch der Friedensbewegung, damit zumindest Autofahrer und Passanten an der Norbertstrasse in Rüttenscheid erfahren, dass hier gerade drei Tage lang ein Kriegsstrategiekongress der Nato stattfindet.
  • hochgeladen von Walter Wandtke

Seit Dienstagabend tagen zum mittlerweile dritten Mal Nato-Offiziere, Generalstäbler und die Vertreter entsprechender Waffen- und Digitalfirmen in der runderneuerten Messe an der Gruga. Trotz der hochrangigen Besetzung taucht dieser - schon Traditionskongress in der Messewerbung nicht auf. Wer am späten Dienstagnachmittag noch zum Spaziergang in die Gruga wollte, wunderte sich nur, warum rund um die Gruga vor den Messegebäuden soviel Polizeiwagen postiert waren, die noch durch Feldjäger (eigene Polizeikräfte der Bundeswehr) verstärkt wurden. Natürlich hatten die Absperrungen vor dem Messeeingang durchaus noch den Haupteingang zum Grugapark freigelassen. Da es aber keinerlei konkrete Hinweise auf den Nato-Kriegsstategiekongress gab, waren doch viele Parkbesucher*innen stark verunsichert.

Nato-Thinktank - ein fester Bestandteil der Messekongressplanung

Dieser früher in Kalkar und seit 2016 jährlich in den städtischen Messehallen tagende militärische Nato-Think-Tank wird sich noch bis Donnerstag damit befassen, welche Offensiv-Kriegsstrategien künftig genauer auszuarbeiten sind. Es geht auch darum, wie mit kleineren nuklearen Waffensystemen künftig Kriege besser zu gewinnen sind. Jedes Jahr hatte es bisher auch Proteste von Seiten der Friedensbewegung gegen diesen Militärkongress gegeben. Nur leider wurden diese Proteste, Demonstationen und Reden, an denen 2018 nicht nur Aktive des Friedensforums Essen, der katholischen Friedensaktion Pax Christi, sondern z.B. auch Bundestagsabgeordnete der SPD und der Linken, und ein Ratsherr der grünen Ratsfraktion Essen teilnahmen, von WAZ/NRZ fast 100% ignoriert. Allerdings hatte zumindest der Lokalsender Radio Essen auf die Protestaktionen hingewiesen.

Protest ohne lokales Medienecho in WAZ/NRZ

Immerhin hatten sich bereits am Samstagmittag, dem 6. Oktober an die 200 Menschen zusammengefunden, um gegen den Militärkongress zu protestieren. Ein kleine stille Mahnaktion fand zusätzlich am Dienstagnachmittag unmittelbar vor dem sogenannten "Warm-Up" der Kongressteilnehmer statt.  Im Bereich zwischen den U-BahnTreppen und dem neuen repräsentativ vorgezogenen Dach des neuen Messehaupteingangs wurde an die schon bisher vorhandenen Toten diverser Militäraktionen von Natoeinsätzen erinnert. Als diese kleine Gruppe am geschlossenen Eingang zum Messe-Foyer ein größeres Transparent gegen diesen Kriegskongress anbinden wollte (alle Teilnehmer*innen waren durchaus frei von irgendwelchen Sprühdosen in der Hinterhand) rief das sofort anwesende Polizeikräfte und Bundeswehr-Feldjäger auf den Plan. Sogar der Geschäftsführer der Messe GmbH, Oliver P. Kuhrt, unterzog sich höchstselbst der Mühe, in Polizeibegleitung dafür zu sorgen, dass Friedenstransparente von seinen Eingangstüren zu verschwinden hatten. Mit gehörigem Sicherheitsabstand vom Gebäuderand konnte die Mahnaktion zwischen Norbertstr. und Messevorplatz dann aber doch über eine gute lang Stunde stattfinden.

1952: Friedenskarawane gegen die Wiederbewaffnung endete vor der Gruga mit tödlichen Polizeischüssen

Die Bundeswehr hat sich mit den Messehallen an der Gruga einen geschichtlich durchaus belasteten Ort ausgesucht. Anfang der 50 Jahre musste durch die Adenauer-Regierung erst starker Widerstand in der Bevölkerung gebrochen werden, um nur sieben Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs bereits eine neue deutsche Armee aufzubauen. Gegen diese Pläne, die unter anderem auch in den "Pariser Verträgen" verankert werden sollten, gab es bundesweite Proteste. In Essen war dieser Protest gegen diesen "Generalvertrag" auf Druck der CDU-Landesregierung äußerst noch während der Anreisezeiten kurzfristig verboten worden.
Schon bei der Friedenskundgebung am 6. Oktober wiesen deshalb Redner darauf hin, dass im Mai 1952 genau hier vor den Toren des damals frisch nach den Kriegszerstörungen wiedereröffneten Grugaparks bei einer "Friedenskarawane" genannten Demonstration gegen die geplante Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland, die Polizei mit scharfer Munition auf die Teilnehmer geschossen hatte. 
Ein Teilnehmer, Phillipp Müller, wurde dabei durch Rückenschüsse tödlich verletzt, mehrere andere Teilnehmer erlitten starke Schußverletzungen. Seitdem hat Essen und das Umfeld des Grugaplatzes in Rüttenscheid das Privileg, den ersten Toten bei politischen Demonstrationen im Nachkriegsdeutschland beklagen zu müssen. Es folgte ein Jahrzehnte langer Streit um das "richtige" Gedenken an dieses tragische Kundgebungsende. Mittlerweile wurde durch einen Rot-Grün-Roten Mehrheitsbeschluß der örtlichen Bezirksvertretung II endlich auch quasi stadtoffiziell an das Ende der "Friedenskarawane"  erinnert. Der genaue Hergang in Kurzform ist jetzt zum Glück auch auf einer Gedenktafel an der Rüttenscheider Brücke nachzulesen.

Dokumentation eines der Redebeiträge anläßlich der Kundgebung am 6.10.2018

Aufstehen gegen die Kriegsplanungskonferenz in der Messe Essen

Liebe Freunde, Kolleg*innen,
gerade jetzt haben wir ja ein Wochenende mit besonders vielen Gründen, für eine unzerstörte Zukunft auf die Straße zu gehen. Sowohl Krieg wie auch eine falsch laufende Energiepolitik und das Ignorieren des überdeutlich drohenden Klimawandels kann unser Leben in Europa und den anderen Kontinenten akut bedrohen.
Deshalb freue mich über alle, die jetzt hier auch in Essen unweit der Zentrale des Braunkohle-, Steinkohle und Atomkonzerns RWE ein Friedenssignal setzen, bevor ab kommenden Dienstag etliche Militärs, Lobbyisten internationaler Rüstungsfirmen und deren politische Zuarbeiter im Kongresszentrum der städtischen Messegesellschaft drei lange Tage das Wort haben.

– Wir wollen kein Militär, dass mit neuen Kriegsstrategien und erst recht nicht mit neuen Atomkriegsstrategien Kriegführung wieder leichter möglich macht.
Genauso wenig wollen wir zulassen, dass ein kriegerischer Umgang mit der Natur unwiederbringliche Fakten schafft, - dass knappe Hundert km von hier entfernt der 12000 Jahre alte Hambacher Wald und weitere Dörfer für die Braunkohleverbrennung geopfert werden, nur damit RWE und Rheinbraun bessere Gewinne machen. Die aktuellen Gerichtsurteile haben dem Wald ja erst einmal nur eine Atempause und noch keine dauerhafte Rettung beschert.

Wir demonstrieren aber gerade heute hier in Essen, damit unter dem Schatten der wichtigen Auseinandersetzungen um die Braunkohle dieser gefährliche Kriegsstrategiekongress nicht völlig an der Öffentlichkeit vorbei seine Militärszenarien durchspielen kann.
Die WAZ hat vor 3 Jahren knapp formuliert:
„Das Joint Air Power Competence Centre (JAPCC), ist eine militärische Denkfabrik der Nato mit Sitz im niederrheinischen Kalkar.“ Um es noch einmal zu betonen, in der kommenden Woche geht es im Kongresszentrum an der Gruga, in den Räumlichkeiten der städtischen Messegesellschaft eben nicht darum, wie unsere Bundeswehr und die Nato Krieg verhindern kann, sondern um den „Fog of day zero“.
Dieser metaphorische Nebel am Tag eines Kriegsbeginns soll dort beseitigt werden, die Schlagkraft des Luft- und Raketenpotentials der Nato-Truppen soll ausgebaut werden. Man kann also nur Schlussfolgern, diese auszuarbeitenden Strategien dienen dann nicht zur Verteidigung, sondern sind auf die Offensive gerichtet. Bisher herrscht vertraglich ja noch immer der Grundsatz, es ginge beim Nato-Bündnis um Selbstverteidigung der Staaten gegen Angriffe von außen – so löchrig bei vielen Nato-Einsätzen diese Behauptung auch immer gewesen ist.

Ähnliches Thema – umgekehrte Zielsetzung: feldzugfreie Konfliktforschung
Auch wir wollen das Essener Kongresszentrum nicht leer stehen lassen. Ein Überblick über aktuell mögliche und diskutierte Militärstrategien, debattiert zwischen Zivilisten und Militärs ist sicher wichtig. Feldzugsfreie Konfliktforschung und Lösungen für Nato und Russland oder andere Kontrahenten tun Not, gern auch im jährlichen Rhythmus in den Rüttenscheider Messehallen.
Natürlich ist es wunderbar für die Bilanz der Messegesellschaft mit diesem derartigen dreitägigen Militärkongress über die Jahre sichere Mieteinnahmen und erhöhte Hotelbuchungen abzuhaken.
Was man bei einigen Stadthonoratioren so freudig an schwarzen Zahlen hinnimmt, kann aber schnell wieder die Erinnerung daran wecken, dass Essen und Krupp vom Kaiserreich bis zur Niederlage Hitlerdeutschlands sich einen internationalen Ruf als „Waffenschmiede des Reichs“ erworben hatten.

Essen hat bessere Inhalte zu bieten als Kriegswaffen
Es war nach 1945 ein sehr mühevoller Weg, zeigen zu können, dass unsere Stadt wie auch unsere Industrie sehr wohl bessere Inhalte zu bieten hat als Kriegswaffen. Gerade die jetzt für mehr als 80 Mio € weitgehend erneuerte Messe hätte es verdient, wenn sie in der Tradition einer Kulturhauptstadt Europas und einer Grünen Hauptstadt Europas weiter bekannt würde. Schwerpunktthemen sind genug vorhanden.
Referate zur Friedensforschung könnten in unserem Kongresszentrum kontrovers wie sachlich fundiert diskutiert werden. Dabei dürfte sich herausstellen, ein Ziel, künftig 2 % des deutschen Bruttosozialprodukts für Rüstung und die Bundeswehr auszugeben, sichert den Frieden eher nicht.

Kritisch bleiben gegen westliche wie östliche Friedensbeteurungen
Statt halb geheime Militärkongresse stattfinden zu lassen, wäre dort ein guter Ort, sowohl aktuelle Kriegsszenarien der Nato-Militärs, wie auch Friedensbeteuerungen Russlands kritisch und öffentlich zu hinterfragen. Was ist nach all den Kriegsjahren mit der Zukunft Syriens unter dem Alleinherrscher Assad und seiner Schutzmacht Russland; können deutsche Waffen oder Bundeswehrausbilder einen demokratisch regierten Irak stabilisieren; wie tödlich sind deutsche Waffen, genutzt von Saudi-Arabien im jemenitischen Bürgerkrieg.
Und natürlich dürften wir bei solchen Kongressen viele beschwichtigende Floskeln aus Russland nicht ernst nehmen, wenn es um die Abtrennung der Krim von der Ukraine oder die sogenannten autonomen Republiken an der Ukrainisch-Russischen Grenze geht.
Wenn die Absicherung militärisch-ökonomischer Einflusssphären mit im Spiel ist, sollten wir gleichermaßen den Aussagen von gewählten Autokraten wie Trump und Putin misstrauen.
Wir kennen zudem genug Beispiele aus der Geschichte der Nato, die mehrfach bewiesen hat, dass sie als nordatlantisches Militärbündnis zwischen Europa und den USA zwar einen Schutzwall gegen sowjetische und russische Interessen aufgebaut hat, mit der Verteidigung der Demokratie in ihren Mitgliedsstaaten aber wenig bis nichts zu schaffen hatte.

Die Nato ist leider kein Schutzhort der Demokratien
Keine Probleme hatte die Nato mit ihren spanischen, portugiesischen, griechischen oder türkischen Mitgliedsländern in den vielen Jahren, als sie eindeutig Diktaturen, genauer gesagt Militärdiktaturen waren, die zwar Menschenrechte kaum achteten aber jeweils die südost- oder Westflanke des Bündnisses absicherten. Viele rechtfertigende Lügen begleiteten auch die Militäreinsätze der Bundeswehr in ehemaligen Jugoslawien – eine Tatsache die trotzdem die blutigen Strategien des damaligen serbischen Präsidenten Milosevic nicht reinwaschen kann.
Militärs achten eben auf Kampfkraft und nicht auf demokratische Prinzipien. Schauen wir deshalb auf ein anderes Thema, das dringend diskutiert werden muss.

Nicht 2% des Bruttosozailprodukts für Rüstung ausgeben!
Nach kurzer Zeit des Schrumpfens geben wir mit den letzten Bundeshaushalten wieder jährlich mehr Gelder für den Verteidigungshaushalt aus. Wenn trotzdem jede Menge nicht funktionsfähiger Marineschiffe, Panzer , Hubschrauber oder Kampfflieger Teile der Armee lahmlegen, hat das sicherlich mehr mit Organisation als fehlendem Geld zu tun.
Dass Deutschland aber seit etlichen Jahren sogar das minimale Selbstverpflichtungsziel reißt, zumindest 0,7 % seines Bundeshaushalts für Entwicklungshilfe auszugeben, ergibt leider keinen lauten Aufschrei.
Wenn aber die sogenannte „wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den ärmsten Staaten dieser Welt“ mit mehr Geld, mit wirklich nachhaltig langfristigen Projekten versehen würde statt zu oft nur als i Strohfeuer zu enden, - ja dann dürften viele Krisenregionen besser befriedet werden, als mit modernen Nato-Kampffliegern oder Leopard-Panzern.

Kriege produzieren Flüchtlinge, die Anspruch auf Schutz haben
Damit bin jetzt auch beim dritten Thema, das Menschen heute aus wichtigem Grund auf die Straße treibt – die Seenotbrücke. In unserer Nachbarstadt Bochum setzen sich jetzt unsere Kolleg*innen dafür ein, dass Menschenrettung aus dem Mittelmeer nicht weiter kriminalisiert und verhindert wird, dass nicht noch mehr Flüchtlinge namenlos im Wasser ersaufen müssen.
Lieber als für Entwicklungsprojekte geben Deutschland und die EU mehrstellige Millionen €-Beträge dafür aus, die Südgrenze der EU an die afrikanische Küste zu verlegen und sie dort mit irgendwelchen Milizen oder libyschen sogenannten Küstenwachtschiffen immer besser abzuriegeln.
Aber wir haben überhaupt nicht das Recht, unsere wertvollen Ressourcen für militärische Lösungsversuche zu verschwenden. Deshalb müssen wir verhindern, das Militärkongresse wie dieser „fog of the day zero“ unsere Köpfe oder die öffentliche Meinung vernebeln. Das Trauerspiel solcher „Nato-Think-Tank-Kongresse wollen wir nicht noch einmal erleben müssen. Wir fordern Friedenskongresse ein – am besten gleich im nächsten Jahr in der Grugahalle.

Hier gibt es über das Essner Friedensforum detailiertere Informationen Link zur originalen Nato-Think-Tank Seite

Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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