Bücherkompass - Rezension: Jordi Punti „Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz“

Foto: Kiwi-Verlag

Verlag: Kiepenhauer und Witsch; 1. Auflage 2013

Gabriel Delacruz, als Waisenjunge aufgewachsener Möbelpacker aus Barcelona, ist verschwunden. Sein Sohn Cristòfol hat Ihn zwar schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen, aber als er von der Polizei darüber benachrichtig wird, beginnt er behäbig dennoch eigene Nachforschungen nach dem Verbleib seines Vaters. Als er in dessen Wohnung einen Zettel findet, mit den vier Varianten seines Vornamens – Cristòfol, Christophe, Christopher und Christof – dauert es nicht lang, bis er herausfindet, dass es sich bei den letzten drei um seine Halbrüder handelt. Während seiner Dienstzeit bei einem internationalen Transportunternehmen hat Gabriel mit vier verschiedenen Frauen in Barcelona, Frankfurt, Paris und London vier Söhne gezeugt, ohne dass seine Familien etwas von einander wussten. Jede dieser Familien hat er nur sporadisch während seiner Lieferfahrten besuchen können, aber seit fast dreißig Jahren hatte keine seiner Frauen oder Kinder mehr Kontakt zu ihm. Nach dem die vier Christophs diesen ersten Schock verdaut haben, machen Sie sich gemeinsam daran, das jeweilige Wissen über Ihren Vater zusammenzutragen um, seinen aktuellen Aufenthaltsort herauszufinden.

Die Idee zu diesem Buch bietet grundsätzlich viel Stoff für eine kurios-spannende Geschichte, in welcher der Leser aus den Erinnerungen und Rechercheergebnissen der vier Halbbrüder schnell Spaß daran finden wird, mit Ihnen zusammen das Puzzle zusammenzusetzen, welches zu den Antwort führen soll, was in all der Zeit mit Gabriel geschehen ist und schließlich wo er sich gegenwärtig befindet. Der Autor stellt ihnen dafür satte 603 Seiten zur Verfügung. Ein zwar zunächst gewöhnungsbedürftiges, jedoch im Sinne der Handlung absolut passendes, Stilmittel, welches Punti dabei häufig verwendet, ist der „Wir-Erzähler“. In späteren Kapiteln wird schließlich auch noch jedem der Christophs Raum für die Erzählung aus der eigenen Perspektive gelassen. Weil aber die Erinnerungen des ungewöhnlichen Quartetts an ihren Vater viel zu weit zurückliegen und keiner bei seiner letzten Begegnung mit Ihm älter als zehn Jahre alt war, müssen schon frühzeitig andere Gestalten in die Ermittlungen einbezogen werden. Und genau diese Nebendarsteller sind es, die in Ihrer Vielzahl immer wieder das Tempo aus der Story nehmen und sie in Seitenpfade führen, deren Geschichten vermutlich ein eigenständiges Buch verdient hätten.

Zunächst vielleicht noch erschlagen von der Komplexität, mit welcher der Autor den Leser vermeintlich auf die Lösung des Rätsels führen möchte, stellt man als Leser bald fest, dass doch recht viele der Abschweifungen vom Hauptstrang leider nur in geringen Maße der Geschichte dienlich sind. Naheliegend ist, dass Gabriels Söhne die Informationen zusammentragen, welche Sie aus den Erzählungen ihrer Mütter haben, und später auch mit Gabriels früheren Möbelfahrerkollegen und seiner ehemaligen Vermieterin sprechen. Es bleibt aber auch nicht aus, dass jede Geschichte, welche von diesen Personen erzählt wird, wieder neue Figuren einbringt und das Buch dadurch an vielen Stellen unvorteilhafte Längen offenbart, wenn Freunde von Leuten, die jemanden kennen, der Gabriel Delacruz schon mal gesehen hat ihren Beitrag im Text einbringen.

Ein weiterer Aspekt, welcher die Lesefreude etwas einschränkt ist der zu weilen kitschige Sprachstil, der für ein Gegenwartsbuch, mit gelegentlichen Rückblenden in das späte 20. Jahrhundert deplatziert wirkt und seinen Tiefpunkt in dem geschwollenen Monolog einer Bauchrednerpuppe findet. Trotz einer gelungenen Übersetzung, in der auch die unterschiedlichen sprachlichen Hintergründe der Christophs Berücksichtigung finden, würde man aus den Erzählungen, nicht auf einen heutigen Mitt- bis Enddreißiger schließen.

Jordi Puntis Buch ist – entgegen seiner Bezeichnung auf dem Einband – kein Roman. Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Vielmehr ist es die Ansammlung von Büchern, die jeweils eigenständige Dramen enthalten und in denen zufälliger Weise dem eigentlichen Protagonisten des Buches eine Komparsenrolle zugeteilt wurde. Die vier Haupterzähler erzählen mehr oder weniger viermal die gleiche Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven. Ergänzt wird das Werk schließlich noch durch die Bücher des ein oder anderen freien Mitarbeiters und in seiner Gesamtheit wurde daraus „Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz“. Man könnte vielleicht den Mut des Autors loben, so eine ungewöhnliche und neue Idee in einem Buch umzusetzen. Aber wirklich neu ist diese Art von Buch auch nicht. Die Handlung mag sich zwar sehr unterscheiden, aber von einem Buch, dass auf vergleichbare Weise aufgebaut ist, habe ich schon mal gehört. Leider fällt mir der Name des Autors nicht mehr ein, aber der Protagonist war auch ein Herr Delacruz (wörtlich: „vom Kreuze“) und die vier Erzähler hießen nicht Christoph sondern, Lothar, Lanz, Podolski und… äh… Brahms.

Autor:

Sebastian Cappellacci aus Essen-Süd

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