Heitere und tiefgründige Geschichts-Revue der besonderen Art:
"DDR - Phantomschmerz“ im Hofspielhaus München

Spöttische Verwendung von DDR-Symbolen in "Phantomschmerz" im Hofspielhaus München mit Fritz Tiller, Maria Hafner und Franz Josef Strohmeier (Absolvent  Folkwang Hochschule Essen). Foto: Franziska Reng.
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  • Spöttische Verwendung von DDR-Symbolen in "Phantomschmerz" im Hofspielhaus München mit Fritz Tiller, Maria Hafner und Franz Josef Strohmeier (Absolvent Folkwang Hochschule Essen). Foto: Franziska Reng.
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MÜNCHEN. Unter den bundesweit zahlreichen Veranstaltungen zur Deutschen Einheit ragt das originelle und intelligente Projekt „Phantomschmerz – Ein Kessel Buntes aus Anlass des 70. Jahrestages der Gründung der DDR und des 30. Jahrestages des Verschwindens der DDR“ im Münchner Hofspielhaus angenehm heraus!

Das fanden viele: Daher ist es zunächst noch einmal am Donnerstag, 24. Oktober um 20 Uhr im Hofspielhaus zu sehen. Informationen und Karten unter: Telefon 089 / 24 20 93 33 oder info@hofspielhaus.de. Gastspiele im ehemaligen Ost-, aber auch West-Deutschland sind in Verhandlung.

Schauspieler und Sprecher Franz Josef Strohmeier, Maria Hafner (Gesang / Akkordeon) und Fritz Tiller (erlesenes Piano und gesammeltes DDR-Material) begeistern durch Spielfreude, Schlagfertigkeit und musikalisches Können!

Sie zeigen vierzig Jahre DDR-Geschichte vom optimistisch klingenden Aufbruch vieler und von dem seitens der SED behaupteten Anspruch der Gründungsjahre, über den Mauerbau bis zur Hybris des real existierenden Sozialismus und bis zum Untergang des „Arbeiter und Bauern-Staates“.

"Du hast den Farbfilm vergessen..."

Und von der ersten Minute an wird das Publikum durchs bestens gemixte Programm aus zeit-typischen Songs (Nina Hagens großem DDR- und gesamtdeutschen Hit „Du hast den Farbfilm vergessen – mein Michael“, oder Bechers Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“), Pionierliedern, Chansons, Schlagern, Gedichten und literarischen Texten von Wolf Biermann, Christa Wolf, von Heiner Müller und Bechers Genossen, in keiner Weise unkritisch mitten hinein in die DDR-deutsche Geschichte gezogen.

Das handfeste wie virtuose Akkordeon-Spiel von Maria Hafner ergänzt sich bestens mit dem Piano von Fritz Tiller und gibt dem Ganzen musikalisch den richtigen und mitreißenden Drive. Großartig auch ihre gesangliche Interpretation des „Liedes von der Stagnation“ !

Manch einer hätte im Hofspielhaus nie gedacht, wie schnell er selbst begeisterter Teil einer fähnchen-schwenkenden „proletarisch-solidarischen Volksgemeinschaft“ sein würde, wenn Franz Josef Strohmeier im Brustton „überzeugend“ DDR-Propaganda verkündet und dazu die passenden Fähnchen verteilt.

Fakten kontra DDR-Nostalgie: Wieviel Kilometer Stacheldrahtzaun?

Doch jeder Hauch von „DDR-Nostalgie“ bleibt im Halse stecken, wenn Revue-Initiator Fritz Tiller (Jahrgang 1949, Mediziner plus Jazz-Studium und seit 1988 im Westen) plötzlich seine eigene Stasi-Akte hervor holt, die er nach der Wende einsehen konnte und wie eine Antwort auf die DDR-Propaganda an Franz Josef Strohmeier zum Verlesen weiter reicht. Das spricht für sich.

Tiller übernimmt auch den Konter-Part nach dem ironischen „Abfeiern sozialistischer Errungenschaften der DDR“ durch Strohmeier, der die unbestreitbaren (wie auch immer erreichten) sportlichen Erfolge bei Olympia, die Errichtung der Berliner Stalin-Allee als ewiges Zeichen der Freundschaft zur Sowjetunion und vieles Andere mehr von Weltniveau zum Besten gibt. Ex-DDR-Bürger Tiller erinnert kontrapunktisch an die Mauertoten, die Länge des Stacheldrahtzauns, an Haft und Psycho-Repressalien. Die Mischung sitzt - und: Lachen öffnet den Kopf für Widersprüche.

Wohl selten genug erleben Künstler direkt nach einer Aufführung solches Feedback wie hier:

Wildfremde Menschen erzählen sich lange verschüttete Erlebnisse aus dieser Wahnsinns-Zeit der beiden Deutschlands. Persönliche Flucht-Geschichten, absurd Lustiges wie Trauriges. Für Schauspieler Franz Josef Strohmeier (Bayrischer Herkunft und somit Wessi) im Zentrum des Abends war das erkennbar sehr spannend zu erleben. Als Spezialist für besondere Themen: wie das Vor-Leben des Weltautors B. Traven als Münchner Räterevolutionär („Ter Traum des Ret Marut“, wobei das falsche Artikel-T das Anagramm des frühen Traven-Pseudonyms als roten Traum entschlüsseln hilft) oder „Karl Valentin und die laute Zeit“ (des Ersten Weltkriegs)“, auch im TV mit u.a. Franz Xaver Kroetz als stromkabel-bekämpfender Jung-„Bauer im Anzug“ Sepp Brenner (ZDF-Reihe „Über Land“) war Strohmeier hier fasziniert davon, dass „Ossis“ und „Wessis“ gleichermaßen „angezündet wurden“:

Alle „Ossis“ konnten natürlich die Lied-Texte der Jungen Pioniere auch drei Jahrzehnte danach allzeit bereit gleich mitsingen. Bei den „Wessis“ hat spätestens Nina Hagens „hoch stehender Sanddorn auf Hiddensee“ am Abend das Eis gebrochen.

Aber auch für „Nachgeborene“, die keine deutsche Teilung mehr kennen, war (und ist) dieser Abend sicher viel mehr als eine sehr lebendige, ganz andere „Deutsch-Stunde“. Lang anhaltender und fröhlicher Applaus belohnte die Künstler nicht nur am Premierenabend im Hofspielhaus. Und hoffentlich bald anderswo. (cd).

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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