Kunstsammlung NRW präsentiert in beiden Düsseldorfer Museen die bisher größte Werkschau des Ausnahmekünstlers
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ - Die Ethik und Ästhetik des Ai Weiwei

Bisher größte Werkschau des Ausnahmekünstlers Ai Weiwei in der Kunstsammlung NRW / K 20 und K 21 in Düsseldorf. Pressefoto: Andreas Endermann / Kunstsammlung NRW.
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  • Bisher größte Werkschau des Ausnahmekünstlers Ai Weiwei in der Kunstsammlung NRW / K 20 und K 21 in Düsseldorf. Pressefoto: Andreas Endermann / Kunstsammlung NRW.
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Düsseldorf. Die Schlange wurde immer länger. Schon Stunden vor der offiziellen „Eröffnung mit Künstlergespräch“ am 18. Mai, standen die Menschen am Grabbeplatz an, um sich Plätze für den „Artist Talk mit Ai Weiwei“ zu sichern.

Kuratorin und Chefin Susanne Gaensheimer und ihrem Team ist es mit gut eineinhalb Jahren Vorbereitung gelungen, die bisher größte Werkschau des chinesischen Weltkünstlers Ai Weiwei in beiden Häusern der Kunstsammlung, im K20 am Grabbeplatz und im K 21 am Ständehausplatz auf einzigartige Weise zu präsentieren.

„Unbelievable“ - unglaublich auch für den Künstler selbst, wie er offen zugab.

Denn auch er hatte bisher keine Möglichkeit, seine großen Werke „Straight“ und „Sunflower Seeds“ zusammen zu sehen. Ai Weiwei überzeugte im Gespräch mit wacher, witziger Gelassenheit und großer Dankbarkeit. Und diese nicht nur für die Möglichkeit dieser großen Werkschau hier in Düsseldorf. Er bedankte sich ausdrücklich bei ganz Deutschland, das ihn als politischen Flüchtling aus seiner Heimat Peking 2015 aufgenommen hat.

Auf Nachfragen berichtet er von den 81 Tagen seiner Einzelhaft:

Abgeschnitten von allen Informationen, wieso, warum? Ob er überhaupt und wann er wieder frei kommen würde. Ai Weiwei ist frei gekommen, auch weil sich sehr viele Menschen auf der ganzen Welt, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, für ihn eingesetzt haben. Und auf die Frage, warum er diese Zeit „künstlerisch“ in sechs Boxen (S.A.C.R.E.D.) so detailliert nachgebildet hat, gab Ai die finale Antwort: „Meine Mutter wollte wissen, wie es war.“

Durch Guckschlitze in die dunklen Kästen, alle verkleinerte Kopien seiner Zelle, sieht man Ai Tag und Nacht von zwei Wächtern auf Armlänge umstellt: Beim Essen, Schlafen bei grellem Licht, in der Dusche, auf der Toilette. Sinnloses, schikanöses Marschieren und Verhöre an den Stuhl gefesselt in der engen Zelle. Ai hat jeweils 3D-Drucker-Figuren, auch sich selbst, halb so groß wie in der Realität, in die Zellen-Boxen gepackt. Der Kunstgriff der 1:2 Verkleinerung hilft: Denn so wirkt alles verfremdet, so tödlich bedrohlich und schlimm es ist. Ai erzählt von einem jungen Wächter mit dem er eine geheime Kommunikation entwickelt hat. Der 19jährige wusste nicht, wen er bewachen muss und warum. Sie haben ohne Lippenbewegungen und sehr leise mit einander gesprochen, damit die Überwachungskameras und Mikrofone nichts aufnehmen konnten.

Schlüssel-Werke im K 20:

„Straight“ (entstanden 2008 bis 2012) wurde in Europa noch nie vollständig gezeigt. 164 Tonnen verbogenes und mit Betonresten behaftetes Armierungseisen, das Ai Weiwei nach dem verheerenden Erdbeben von Sichuan 2008 aus eingestürzten Schulgebäuden bergen ließ. Die Stangen wurden in seinem Auftrag wieder „gerade gebogen“, wieder „straight“ (mit allen weiteren Bedeutungen „zurechtgerückt“ oder „gerade heraus“). Sie liegen nun säuberlich nach Gewicht und Größe gebündelt für die Ewigkeit in ihren Transportkisten und in der riesigen Grabbe-Halle im K20 – Kunst-Museum des 20. Jahrhunderts. An den Wänden die sonst totgeschwiegenen Namen der über 5000 Schulkinder, die damals ihr Leben verloren. In den - eben nicht erdbebensicheren, weil mit minderwertigen Materialien gebauten - öffentlichen Schulgebäuden. Nicht nur in China (mit seiner Ein-Kind-Politik) für die betroffene Familien ein kaum zu überwindender Schmerz. Der sich hier unwillkürlich überträgt und aus Ausstellungs-Besuchern trauernde Verbündete macht.

Gegenüber in der noch größeren Klee-Halle liegen die berühmten „Sunflower Seeds“ (2010):

Über 60 Millionen handgefertigte und handbemalte Sonnenblumenkerne aus Porzellan, oft ist auch von größerer Mio-Zahl die Rede.

Mao Zedong ließ sich auf Plakaten gern mit einer großen Sonne im Hintergrund darstellen. Sein Volk sollte sich nach seinem großen Vorsitzenden ausrichten, wie Sonnenblumen nach der Sonne. Auf hallenfüllenden 650 Quadratmetern und ungefähr 10 cm hoch glatt geschichtet ausgebreitet, bilden die Millionen Kerne ein unberührbar schimmerndes graues Feld. Gedanken schweifen, denn sie sehen so echt aus. In jedem Samenkorn steckt die Kraft für neues Leben. So wie in jedem von uns tausend Möglichkeiten und Ideen stecken.

Und was ist chinesischer als Porzellan?

Auf einem kleinen Monitor kann man die Entstehung der Kerne in einem traditionellen Porzellan-Kunsthandwerker-Dorf filmisch dokumentiert miterleben. Eine sterbende Kunst. Ai Weiweis „Sunflower Seeds“ werden die Zeiten überdauern und das Wissen bewahren. Tapeziert ist der Saal mit 13.000 chinesischen Schuldscheinen („I.O.U. Wallpaper“ genannt, die Abkürzung für „I owe you ...“ Ich schulde Dir...): Ai Weiweis Firma musste nach seiner Freilassung aus der Einzelhaft sofort eine angebliche „Steuerschuld“ von 1,7 Millionen Euro bezahlen. Dank privater Spenden aus der ganzen Welt konnte diese Summe aufgebracht werden. Revanchiert hat Ai sich mit künstlerisch gestalteten Schuldscheinen. Sämtliche Spenden wurden von Ai Weiwei zurückgezahlt.

Aber auch das neue, in jeder Hinsicht billigere Material, das nicht nur die Porzellankunst verdrängt oder unsere Meere verschmutzt, hängt hier in Form von Lego-Steinen, die, weil aus Entfernung pixelfähig, von Ai Weiwei zu großen bunten chinesischen Tierkreiszeichen-Bildern („Zodiac“, 2018) weiter verarbeitet wurden. Ein Themenkreis, der sich auch im K21 (ein Shuttle-Bus bringt Besucher alle 25 Minuten kostenlos vom K20 zu seinem Schwester-Museum K21 am Ständehausplatz - und zurück) als goldene Tierkreiszeichen-Kopf-Skulpturen („Circle of Animals“, 2011) wiederfindet.

Werke im Museum K21 im alten Landtagsgebäude / Ständehaus:

„Laundromat“ (2016) heißt die Sammlung von über 2000 Kleidungsstücken, die Flüchtlinge in einem aufgelösten Lager in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze eilig zurücklassen mussten. Ai und sein Team haben die Einzelteile aus dem Müll herausgeholt, sorgfältig gereinigt, geflickt, gebügelt und auf Kleiderbügeln wie in einer Reinigung aufgehängt. Die lange Stange mit Baby- und Kinderkleidung darunter sticht ins Herz. Die sorgsame Aufbereitung ist auch Trauerarbeit. Auf die Frage, ob das alles nicht unendlich viel Zeit gekostet habe (das jahrelange Gerade-Klopfen der zahllosen Armierungs-Eisenstangen („Straight“ im K20), das Waschen und Flicken der Kleidung „Laundromat“ im K21), antwortete Ai: Ich bin ja Künstler. Ich habe Zeit.

„Life Cycle“ (2018): Sein beinah 20 Meter langes, aus Bambus, Sisal und Seide geflochtenes Schlauchboot mit all seinen Details von den seitlichen Haltegriffen bis zu den Heck-Spitzen, mit seinen zahllosen Passagieren hat eine helle, fast goldene Aura. Vorne in der Mitte sitzen Kinder-Figuren. Man sieht ihre Augen und auch hoffnungsvolles Lächeln. Am Rand sitzen Tierfiguren zwischen den Passagieren in ihren Rettungswesten: Ein Pferd, ein Stier sind mit im Boot. Ganz hinten - das könnte Nofretete sein. Mehr als 100 überlebensgroße Figuren. Durchscheinend fast geisterhaft. Die Geschichte der Menschheit in einem Boot - im besten Fall wurden einst neue Zivilisationen auf den auch moralischen Trümmern gegründet.

Bei dieser Ai Weiwei Ausstellung von globalem Format erlebt man die große Gesamtwirkung seiner Werke unter Einbeziehung und bewußter Nutzung der großzügigen räumlichen Dimensionen aufgeteilt auf zwei Museen in einer Stadt. Und dann gibt es gleichzeitig eine Überfülle an unglaublichen Details, Namen, Fotos, Dokumentationen, ungewöhnlichen Ideen, Umsetzungen, Lösungen, Erklärungen oder plötzlich Assoziationen, die sich erst auf den zweiten Blick oder durch andere Blickwinkel ergeben.

Ai Weiwei tut auch weh, aber er inspiriert und motiviert auf großartige Weise. Absolut sehenswert und beeindruckend.

Ein hilfreicher Kurzführer durch die Ausstellung wird kostenlos zur Verfügung gestellt. Der gut gemachte Ausstellungs-Katalog mit starken Fotos, ausführlichem biographischen Teil, Interview und vielen weiteren Infos kostet 32 Euro.

Kunstsammlung NRW: „Ai Weiwei. Wo ist die Revolution?“ Noch bis zum 1. September 2019 in Düsseldorf im K 20 am Grabbeplatz und im K 21 am Ständehausplatz.

Weitere Infos unter: kunstsammlung.de oder telefonisch: 0211- 83 81 204.

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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