„Ta-ta-ta-taa“

Oliver Buslau präsentiert im Bürgermeisterhaus klassische Musik. 
Foto: Henschke
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Oliver Buslau über die 111 Werke der klassischen Musik, die man kennen muss

Ein Vortrag über klassische Musik? Kann das lehrreich und doch spannend, sogar belustigend skurril sein? Na klar kann das: im Bürgermeisterhaus klappte es jedenfalls bestens.

Oliver Buslau ist leicht nervös, immerhin ist dies hier die Premiere: er kommt mit seinem neuesten Projekt nach Werden. Als Musikwissenschaftler stöberte Buslau in staubigen Archiven nach wieder zu entdeckenden Musikstücken, arbeitete dann bei der Kölner Schallplattenfirma EMI Classics und als Verlagsredakteur, verfasst Kriminalromane. Auch welche, die im Umfeld der klassischen Musik spielen. Eingeladen von Buchhändler Thomas Schmitz, hat der Autor seine „111 Werke der klassischen Musik, die man kennen muss“ aus der bekannten Reihe des Emons-Verlags im Gepäck: „Es geht mir um die Geschichten, die uns die Musik erzählt.“

„Kommt immer gut“

Klassische Musik bietet oft Überraschendes. Wenn etwa der Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel erklingt, lächeln die Zuhörer. Immer wieder schön. Oft gehört. Das weiß auch Buslau: „Das wird gerne gespielt auf Hochzeiten. Kommt immer gut.“ Plötzlich setzt er sich ans Piano und spielt los: Wer kennt nicht „Go West“ von den Pet Shop Boys? Nur minimal verändert französischer Schmalz von Michel Sardou: „Elle court, elle court, la maladie d’amour…“. Aus der gleichen musikalischen Hexenküche die „Streets of London“, in genau der gleichen Harmonienfolge. Ein verblüffender Effekt, das Publikum staunt und Buslau strahlt: „Da haben wir wohl eine Song-DNA für Hits entdeckt.“ Die beschriebenen Komponisten und Werke werden immer auch in ihren historischen Kontext eingebettet. Vielleicht die berühmteste Symphonie der Welt: höchst unruhig war die Welt, als Beethoven seine Fünfte schrieb. Das hört man ihr an. Politisch unsichere Zeiten, es gab Revolutionen, Kaiserreiche erstanden und vergingen. Ludwig van Beethoven schien vom berühmten Motiv wie besessen: „Ta-ta-ta-taa“. Vier Töne nur, aber die ließen ihn nicht mehr los. Und wirklich: Beim Hören kann man sich in die Psyche eines verzweifelnden Komponisten hinein versetzen. Faszinierendes Experiment dann eine manipulierte Aufnahme, die Hörnerv-Schädigung und permanenten Tinnitus simuliert. So kann man miterleben, wie der fast taube Musiker seine Töne kaum noch hören konnte. Übrigens: Eine Elise gab es in Beethovens Leben nicht. Vielleicht war es eher eine Therese? Beethovens Sauklaue war halt kaum zu entziffern.

Schaurig-schöne Magie

Weiter geht es durch Raum und Zeit. Schnell springt der Experte zum Klavier und schlägt den Tristan-Akkord an. Hier hat Richard Wagner Unerwartetes, geradezu Ungeheuerliches geschaffen und die Musikwelt erschüttert. Eine Steilvorlage für andere Komponisten, alles ganz neu zu denken. So entstand unter anderem Schönbergs Zwölftonmusik. Oliver Buslau präsentiert ein wirklich berückendes Zeitdokument: Eine Originalaufnahme aus dem Jahr 1902. Der päpstliche Sänger der Sixtinischen Kapelle Allessandro Moreschi, einer der letzten Kastraten, singt im Vatikan das Ave Maria. Die Tonqualität der Plattenaufnahme ist miserabel, doch sie hat eine schaurig-schöne Magie. Buslau erklärt: „Moreschis Stimme war da schon komplett am Ende und es machte ihn natürlich nervös, in so einen Trichter rein zu singen. Das war etwas völlig Irrwitziges damals.“ Apropos: Das „Miserere“ von Gregorio Allegri durfte nur in der Karwoche und nur in der Sixtinischen Kapelle gesungen werden. Woher übrigens der Begriff „A cappella“ stammt. Das Kopieren der Partitur war unter Androhung der Exkommunikation verboten. Doch dann kam 1770 ein 14-jähriger Wunderknabe daher, hörte das Miserere beim Gottesdienst und schrieb es später aus dem Gedächtnis korrekt auf. Womit wir bei Wolfgang Amadeus Mozart gelandet wären. Der wiederum…

Gelbe, blaue und rote Karten

So springt und mäandriert es durch die Musikgeschichte, dass es eine Freude ist. Wir landen in Venedig, beim roten Priester: Antonio Vivaldi. Die vier Jahreszeiten, hier der Frühling, imitieren Naturerscheinungen. Oliver Buslau zückt mit Verve gelbe, blaue und rote Karten. Der Musikdeuter sieht das erstaunte Erkennen in den Gesichtern der Zuhörer. Wirklich, da zwitschern die Vögel (gelb), es murmeln die Bäche (blau), ein grollendes Gewitter (rot) zieht heran: „Steht alles so in der Partitur“. Wir hören natürlich die Einspielung mit Nigel Kennedy, immerhin das meistverkaufte Klassik-Album aller Zeiten. Das Publikum ist mitgerissen und spendet begeisterten Applaus.
Wer diesen lehrreichen, bezaubernden, spannenden Abend verpasst hat, kann sich mit Oliver Buslaus Buch „111 Werke der klassischen Musik, die man kennen muss“ weiterhelfen. Dort finden sich auch Antworten auf die Fragen, warum die Bachsche „Kunst der Fuge“ so abrupt endet, wieso die Leiche des Teufelsgeigers Paganini 36 Jahre lang auf ihre Beerdigung warten musste und wem der schroffe Beethoven so zärtliche Liebesbriefe schrieb…

Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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