„Vergeben kann ich meinem Vater nicht!“ Vorab-Premiere der Fernsehdokumentation „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie….“

Autorin Erika Fehse und Tilman Röhrig vor der Film-Preview in Haus Fuhr.
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Das Böse musste ausgetrieben werden. Wie, zeigte das Alte Testament: „Wer seine Rute schonet, der hasset seinen Sohn“. Tilman Röhrig wurde geprügelt. In Werden.

Ein guter Grund, die Vorab-Premiere der 45-minütigen WDR-Dokumentation „Wer seine Kinder liebt…“ in Werden aufzuführen, die evangelische Kirchengemeinde und die ARD hatten eingeladen.
Das gut gefüllte Haus Fuhr – über 100 Menschen wollten sich diese Dokumentation nicht entgehen lassen - erlebte einen nachdenklich machenden Abend.
Der Film von Erika Fehse schockiert schon zu Beginn, als Tilman Röhrig fragt, wieso ihm Prügel - „warte nur, wenn Dein Vater nach Hause kommt!“ - angedroht werden. Die Antwort der Stiefmutter: „Damit Du nicht über die Stränge schlägst!“
Vater Udo Röhrig war Pfarrer, hatte im Krieg einen Arm verloren - mit der Holzprothese konnte man zuschlagen: „Das gab dann eine dicke Lippe!“ Die Mutter war fortgelaufen, durfte ihre Kinder nicht vor deren 21. Geburtstag sehen - und fehlte sehr, da die Stiefmutter wenig Liebe zeigte.

Hart wie Kruppstahl...

Auch war das Dritte Reich immer noch präsent: Hitler hatte eine gewalttätige, harte Jugend gefordert: „Hart wie Kruppstahl...“. Erniedrigen und erniedrigt werden, das konnte man schon aus dem Kaiserreich.
Während die Geschwister bibberten, wurde Tilman vom Vater „verdroschen“ - auch als mahnendes Beispiel für die anderen Röhrig-Kinder. Die Nachbarn? Die Kinderschreie aus der Röhrigschen Wohnung stören sie nicht...Da hieß es nur: „Die Röhrigs sind so eine nette Familie!“ Systematisch prügelte der Vater, überkreuz, bis die Haut aufplatzte.
Dann kam noch seelische Grausamkeit der Stiefmutter: „Tilman, liebst Du Deine Eltern?“ Was sollte der Junge da sagen, jegliche Vaterliebe war gestorben. Die Tränen seiner Kinder beeindruckten Udo Röhrig wenig - er sah sich in der Pflicht: „Wer seine Kinder liebt...“. Tilman Röhrig sah aber noch anderes in des Vaters Augen: „Es war auch die Lust, zu brechen!“
Schläge wurden noch in den 60er Jahren als „ordentliche“ Erziehungsmethode anerkannt - auch in der Schule waren Prügel Alltag. Zucht und Ordnung gab es auch im Werdener Gymnasium. Die Stiefmutter gab Tilmann eine Entschuldigung mit - ein unglaublicher Inhalt: „Mein Sohn kann heute nicht sitzen, da er gezüchtigt wurde!“ Und der Lehrer? Las die Zeilen und sagte eiskalt: „Dann stell‘ Dich hinten hin!“
Nun wusste der Junge: „Sieh zu, dass Du überlebst - dass Du hier rauskommst!“ Eine Laienspielschar war die Rettung, Tilman flüchtete, nächtigte auf Parkbänken, kam ins Heim, dachte an Selbstmord in des Vaters Kirche. Er wurde Schauspieler, später Autor, verarbeitete seine Erlebnisse in dem autobiographisch geprägten „Thoms Bericht“.
Seinen Frieden hat Tilman Röhrig gefunden, doch der Vater? „Ich habe gelernt, ihn nicht mehr zu hassen - meine größte Lebensleistung. Das Kind wurde zum Ventil der inneren Not. Aber vergeben kann ich meinem Vater nicht!“

Dokumentation fesselte

Die Dokumentation von Erika Fehse ist eine gelungene Mischung aus Spielszenen, Interviews und alten Filmausschnitten und fesselte die Zuschauer, die bei einigen besonders erschreckenden Szenen spürbar unruhig wurden.
Gut, dass an den Film anschließend nach einer kurzen Gesprächsrunde mit Autorin Erika Fehse und Zeitzeuge Tilman Röhrig das Publikum befragt wurde: „Wer ist geprügelt worden?“ Viele Hände gingen hoch…
Erschütternd, welche Schicksale in den nun gesammelten Wortbeiträgen durchschimmerten, oft brach die Stimme, übermannten die Tränen, auch nach so vielen Jahren: „Ich habe gewusst, dass bei Freunden und Klassenkameraden geprügelt wurde. Auch zuhause wurde geschlagen - dennoch hat man sein Elternhaus in Schutz genommen.“

Kindheit in Heidhausen

Auch der 1929 geborene Klaus Schlimm kommt im Film zu Wort, erlebte Kindheit von 1938 an in Heidhausen am Schiefenberg: „Ich wurde konfirmiert bei Pfarrer Röhrig, auch da hat er zugeschlagen. So traurig das ist, für uns war das Normalität!“ Klaus Schlimm erinnert sich an Züchtigung in der Schule: „Der Direx hatte uns bei verbotenen Reiterspielen auf dem Schulhof erwischt. Wir mussten hoch ins Büro und bekamen drei Alternativen der Bestrafung zur Auswahl: Aufsatz schreiben, nachsitzen oder 10 Schläge mit dem Stock. Wir haben uns für die Prügel entschieden....“
Oft kam fast so etwas wie Verständnis für die - überforderten? - Eltern auf: „Mein Vater war nicht nur Täter, er war auch Opfer, das im Krieg Orgien der Gewalt erleben musste.“ Aber nicht nur Väter schlugen zu, auch Mütter prügelten: „Mit dem Handfeger!“Einem Zeitzeugen kamen die Tränen: „Ich bin sogar vom Pfarrer in der Kirche geschlagen worden. Die Blamage saß in den Knochen!“

Ein anderer Gott?

Das Menschenbild der Kirche sei damals halt ein anderes gewesen: „Der Mensch ist ein Sünder - das muss ihm für sein Seelenheil ausgetrieben werden!“ Tilman Röhrig hat sich viel mit dem prügelnden Kirchenmann Udo Röhrig beschäftigt: „Ich dachte immer, ich bete zu einem anderen Gott als mein Vater. Früh habe ich begonnen, mir ‚meinen‘ Gott zu denken. Mein Gott ist wie ein schützendes Dach, wo ich mich unterstellen darf..“
Ein Ausblick? „Was können wir tun, damit so etwas heute nicht mehr passiert?“ Noch heute schlagen 40 Prozent aller Eltern ihre Kinder - unfassbar! Es ist also nicht vorbei...
Klaus Schlimm zog seine Lehren: „Das tust Du Deinen Kindern nicht an!“ Tilman Röhrig gar verzichtete völlig auf Kinder: „Das habe ich nicht gewagt!“

Termin: 7. April

Die 45-minütige Dokumentation „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie...“ zeigt die Historie von Prügel als Erziehungsinstrument.
Die Dokumentation wird am Montag, 7. April, um 23.30 Uhr in „Das Erste“ ausgestrahlt.

Autorin Erika Fehse und Tilman Röhrig vor der Film-Preview in Haus Fuhr.
Filmszene mit Tilman Röhrig im Werdener Gymnasium. | Foto: WDR/doc.station GmbH
Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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