Ex-Kaufmann zieht's in den Knast

Das Muss für Franz-Nüsse ist der Gang in die Justizvollzugsanstalt!
Immer wieder montags geht der frühere Frohnhauser Geschäftsmann Franz-Josef Nüsse in die JVA , Krawehlstraße.

Das hat er sich selbst auferlegt. Seit sieben Jahren. Und zwar öffnet sich dort das Tor nur für ihn, weil er eine wunderbare „weiße Weste“ trägt. Sonst dürfte er nämlich nicht ehrenamtlich Häftlinge betreuen. Er macht’s wohl sehr gut. Post aus dem Gefängnis erhielt er jüngst von zwei „schweren Jungen“: Arzt und Banker…

Warum tut sich Nüsse, im Berufsleben Franz Dampf in allen Gassen, nun Rentner, das an? Wöchentlich alle Facetten anhören vom kleinen Dieb bis zum Mörder – freiwillig! Der Essener hat einfach ein inneres gutes Gefühl dabei. Der fit-flotte 75-Jährige belegte für die Tätigkeit vor Jahren ein Wintersemester in der VHS Essen. „Danach gab es einen intensiven Sicherheitscheck. Mit Flecken auf der Weste hat man gar keine Chance.“

Wählen konnte er zwischen Einzel- oder Gruppenbetreuung. „Im Wesentlichen entschied ich mich für die Gruppenbetreuung, gelegentlich aber auch für die Einzelbetreuung – wenn sie gewünscht wird. Ich betreue beispielsweise eine offene Gesprächsgruppe. Da geht es nicht nur darum, Häftlinge zu unterhalten. Es gibt auch Betreuer, die beispielsweise Mathematikkurse oder andere Fächer den Inhaftierten anbieten. Die JVA ist ein Kurzstrafen-Gefängnis. Inhaftierte sind dort bis zu zwei Jahren untergebracht. Häftlinge mit Langzeitstrafen werden zu gegebener Zeit an andere Gefängnisse überstellt.“

Was sind das für Häftlinge? „Ich lernte in der Gesprächsgruppe die ganze Bandbreite von Delikten; vom einfachen Diebstahl bis zum Totschlag oder Mord. So hatte ich den sogenannten Apothekenmörder aus Essen längere Zeit in der Gesprächsgruppe, der sich als ausgesprochen „netter“ Mann zeigte…Ein gewisses Manko dieser Gesprächsgruppe ist, dass aufgrund der kurzen ‚Verweildauer‘ in der JVA die Fluktuation in dem Team sehr groß ist. Folge, man lernt sich nur oberflächlich kennen.“

Außergewöhnliches für Nüsse? „Umso mehr überraschte es mich jetzt nach sieben Jahren Tätigkeit, von zwei ehemaligen Gruppenmitgliedern Post erhalten zu haben.“ Sein Gesicht erhellt sich bei dem Gesagten um etliche Nuancen. „Das hat mich vor Weihnachten am meisten gefreut. Für mich ein Zeichen, dass trotzdem noch eine Form von Mitmenschlichkeit und Dankbarkeit bei den Verurteilten erkennbar ist. Wie heißt es so schön: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Beileibe sind diese Häftlinge keine leichten Jungen. Irritation steigt hoch beim Lesen; der Inhalt klingt traurig. Sehr ausgeprägte, ordentliche Schrift. Nüsse erklärend: „Der Briefschreiber hatte einen Killer gedungen, der seinen Vater und seine Exfrau umbringen sollte. Strafe 6 1/ 2 Jahre (weil das sogenannte Tatopfer noch lebt, könnte also gefährdet sein). Aufgrund einer Information des beauftragten Killers an die Polizei wurde der Plan aber vereitelt.“

Ausatmen. „Es gibt natürlich bei den Verurteilten gelegentlich die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung. Man spricht von Halb- oder zwei Drittel Strafe. Der Rest wird dann auf Bewährung ausgesetzt. Voraussetzungen sind dafür unterschiedlich: Die Personen dürfen nicht mehr kriminell in Erscheinung treten; darüber hinaus müssen sie während der Haftzeit beweisen, dass sie zukünftig einen ordentlichen Lebenswandel führen können – das auf der anderen Seite in der Regel von Psychologen und Gutachtern bestätigt sein muss.“

Zurück zum „Briefschreiber“: „Ein Arzt, der vorher nie kriminell auffiel - waren zwei Psychologen tätig gewesen. Der eine sagte Ja, der andere Nein – also 50 % zu Lasten des Häftlings. Somit wird seine vorzeitige Entlassung zunächst zurückgestellt.“

Der „Kartenschreiber“ wurde wegen Anlagebetrugs (Millionenhöhe) zu über sechs Jahren verurteilt. Fröhlich, flott, von großem Optimismus geprägt, schreibt er an Nüsse: „Ich bin dankbar, dich kennengelernt zu haben. Du bist Mensch, was dich ausmacht. Grüße auch an deine Frau. Bleibt beide gesund, denn so Gott will, werden wir uns sehen (in Freiheit), und ich freue mich so drauf…“ Was machte der Post-Empfänger? „Ich antwortete natürlich!“

Übrigens, ein selbst auferlegtes Muss für „Knast-Gänger“ Nüsse in der Adventzeit ist das Beschenken seiner Betreuungsgruppe. Wenn er also Heiligabend in die „Krawehle“ kommt, schleppt er was im Gepäck. „Jeder Mann meiner aktuellen Gesprächsrunde erhält ein Päckchen von mir bei einer kleinen Weihnachtsfeier. Da fast alle Raucher sind, bekommen sie Tabak, Zigarettenpapier; ferner Pulverkaffee, Süßigkeiten, Schokoladen und von meiner Frau gebackene Plätzchen…“

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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